Politisches Erdbeben. Das ist der abgedroschene Medienbegriff für das, was in der vergangenen Woche in Thüringen geschehen ist – mit all seinen bundespolitischen Folgen, Nachbeben quasi. Und es ist nicht nur diese Begrifflichkeit. Die mediale Auseinandersetzung mit der Ausnahmesituation folgt ihrerseits einer gewissen Routine.
Im Anfang ist die Eilmeldung, es folgen der Liveticker und heiß laufende soziale Medien, die sich gegenseitig befruchten. Abends dann der ARD-Brennpunkt, an den Abenden darauf gibt es dann die Talkshows. Wie im Fernsehen, wie in den Serien House of Cards oder Borgen, nur eben im echten Fernsehen. Das ist nicht zwingend kulturpessimistisch gemeint. So sind nun einmal die Mechanismen, und längst nicht alles war schlecht.
Ein Highlight der Berichterstattung, das im allgemeinen Getöse eines angenommenen politischen und medialen „Ausnahmezustands“ nicht untergehen sollte, waren in den letzten Tagen die Interviews, die Marietta Slomka geführt hat. Dass sie Spitzenpolitikerinnen und -politiker im heute journal auf äußerst unnachgiebige Weise grillen kann, ist schon länger bekannt – man denke zum Beispiel an jenes Gespräch mit Sigmar Gabriel aus dem Jahr 2013, in dessen Verlauf Gabriel Slomka anherrschte: „Tun Sie mir einen Gefallen, und lassen Sie uns diesen Quatsch beenden. Das hat doch mit der Wirklichkeit nichts zu tun.“
In der traurigen Wirklichkeit des „politischen Erdbebens“ von Thüringen knöpfte sich Marietta Slomka nun Thomas Kemmerich, Annegret Kramp-Karrenbauer und Christian Lindner vor. Sie legte den Finger in die Wunde, fragte Thomas Kemmerich, ob er geahnt habe, dass der dritte Wahlgang zum Ministerpräsidenten diesen Verlauf nehmen würde, ob er am Ende gar nicht überrascht gewesen sei und wie eng er sich mit Christian Lindner abgestimmt habe.
Kemmerich versuchte zwar wacker, dagegenzuhalten, ja, er bemühte sogar das rhetorische Stilmittel der direkten Ansprache mit Namensnennung, das – ähnlich wie die Wendung „Schauen Sie“ – immer dann besonders häufig Anwendung findet, wenn der oder die Befragte auf verlorenem Posten steht. „Frau Slomka“, sagte Kemmerich immer wieder. Es half ihm wenig.
Ähnlich erging es wenig später Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich zwar von der Thüringen-CDU schnell distanziert hatte, sich dafür aber fragen lassen musste, ob sie ihre eigene Partei nicht im Griff habe. Tags darauf war Christian Lindner an der Reihe, der nach einigem Gegenwind den Kurs geändert hatte, was Slomka ihm ebenso wenig durchgehen ließ wie Lindners Versuch, das Gespräch auf andere Politikfelder zu lenken. Einwurf Slomka: „Jetzt wollen wir hier aber nicht über Klimapolitik reden.“
Mit Interviews wie diesen leistete und leistet Marietta Slomka gleich mehrere Dinge. Sie kanalisierte die Wut vieler Menschen in Deutschland ebenso wie das Gefühl der Machtlosigkeit, ohne dabei zur reinen Anklägerin zu werden. Stattdessen zeigte sie, was mit nüchternem Nachfragen zuweilen auch eine ganze Menge zu erreichen ist.
Nicht nur, dass am Ende der Gespräche Antworten stehen, hinter die die Befragten nicht mehr zurückkönnen. Das Ganze geschieht überdies, ohne das Rad der Empörung rhetorisch weiterzudrehen – und sorgt zugleich dafür, dass das Empörende, dass der Skandal nicht so schnell vergessen wird. Es ist ein Signal an die Mächtigen: „Ihr, die ihr mit euren Entscheidungen viel Einfluss habt, ihr werdet dafür zur Rechenschaft gezogen.“ „Mehr davon!“, möchte man sagen, auch – und gerade – dann, wenn das Empörende vielleicht einmal nicht ganz so offensichtlich ist.
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