„Der Dildo fürs Ohr“

Podcasts Berlins erste queere Radioshow stammt aus dem Jahr 1985. Ein neues Format widmet sich diesem Stück Rundfunkgeschichte
Ausgabe 14/2021
1985 startete das Magazin „Eldoradio“. Damals war der Radioempfang noch ein recht analoges Unterfangen
1985 startete das Magazin „Eldoradio“. Damals war der Radioempfang noch ein recht analoges Unterfangen

Foto: agefotostock/IMAGO

„Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf.“ Vielleicht kennen Sie diesen Slogan, mit dem die Vorzüge der Radiowerbung angepriesen werden. Schon viele Jahre vorher, von 1985 bis 1991, gab es in Berlin indes eine Radiosendung, die sich ihren Weg in die Köpfe der Zuhörer*innen weitaus direkter bahnte: „Der Dildo fürs Ohr“, so brachten die Macher*innen von Eldoradio, Berlins erstem queerem Radiomagazin, ihr Programm in einem ihrer Jingles auf den Punkt.

Eldoradio ist ein Stück Radiogeschichte, das viele Jahre auf Tonkasetten im Archiv schlummerte. Jetzt aber befasst sich der Eldoradio-Podcast damit. In sieben Folgen nähern sich der Journalist Tobias Sauer und Manuela Kay, Journalistin und Verlegerin des queeren Magazins Siegessäule und des lesbischen Magazins L-Mag, der Geschichte der Sendung an. Sie können sich dabei auf einen großartigen Fundus an Geschichten verlassen. Weil Manuela Kay selbst Eldoradio-Macherin der fast ersten Stunde ist und eine großartige Erzählerin mit Berliner Schnauze obendrein. Aber auch, weil das Podcast-Projekt auf viele Stunden Originalmaterial bauen kann. Insgesamt wurden 250 Stunden auf Kassette aufgezeichneter Sendungen im Rahmen des Projektes digitalisiert. Die ausgewählten Ausschnitte katapultieren Zuhörer*innen in das (West-)Berlin der späten 80er und frühen 90er Jahre, etwa wenn es um den Hinweis auf engagierte Gruppen geht: „Neu in Berlin, immer noch nicht schwul? Dem kann abgeholfen werden. In der Friedrichstraße 12, nämlich bei der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft.“

Daneben sind in den verschiedenen Folgen auch Eldoradio-Macher*innen von einst zu Gast, zum Beispiel Angela Gobelin, die erste lesbische Mitarbeiterin von Eldoradio, das von schwulen Männern gegründet worden war. Die Erinnerung an die Zeit führen im Laufe der Podcast-Folge zu einer intensiven Debatte zwischen Gobelin und Kay um die Frage, ob die „Homoehe“ nun ein wirkliches Ankommen Homosexueller in der „Mitte der Gesellschaft“ bedeutet – oder doch Verspießerung und Kapitulation vor dem heteronormativen Establishment.

In einer anderen Episode ist mit Stefan Reiß der erste offen schwule Abgeordnete in einem deutschen Parlament zu Gast und erzählt unter anderem davon, dass die Themen der homosexuellen Community im Berliner Abgeordnetenhaus in den 80er Jahren kaum auf der Agenda waren.

Nun könnte solch ein Projekt Gefahr laufen, zu einer Aneinanderreihung nostalgisch vorgetragener Anekdoten zu werden. Doch dem ist nicht so. Denn en passant wird auch Zeitgeschichte mit erzählt. Da sind natürlich West-Berlin und der Mauerfall: So war Eldoradio auch in Ost-Berlin empfangbar und für Schwule und Lesben dort wichtig, wie Hörer*innenpost aus der Zeit belegt. Und als Eldoradio Mitte November 1989 eine Lesbenparty schmeißt, kommt auf einmal knapp die Hälfte der Frauen aus Ost-Berlin. Auch die HIV- und Aids-Krise wird im Podcast sehr intensiv behandelt.

Dieser besondere Blick auf eine rebellische Subkultur ist jedoch auch in Bezug auf heute spannend – und das nicht nur, indem er daran erinnert, was erkämpft werden musste und wurde. Die Gegenwart kommt gemessen an der Eldoradio-Zeit nicht immer gut weg. Gerade Manuela Kay erinnert sich an die lebendige Club-Landschaft, an den anderen Umgang mit Sexualität, aber auch an den „Arsch“, den sie damals beim Radiomachen in der Hose gehabt hätten. „Wir haben uns Dinge getraut, da werde ich manchmal heute noch rot, wenn ich die höre.“

Dabei tut ein Format wie Eldoradio mit seiner Unerschrockenheit und Experimentierfreudigkeit auch heute gut. Gerade im Podcast ist dafür noch Platz. Das zeigen auch die sieben Eldoradio-Folgen. Sie bleiben im Kopf.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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