Berlin ist eben immer für eine Überraschung gut. Gerade erst entdeckt die Berliner CDU „die kleinen Leute“ für sich, mehr noch: Sie will sie vor der Verantwortungslosigkeit der drei Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne schützen. Genau wie die FDP: Deren Abgeordneter Henner Schmidt beklagt, Rot-Rot-Grün lasse „die Leute im Regen stehen“. Die Leute, das sind in diesem Fall Berlins Mieterinnen und Mieter – eine Klientel also, die FDP und CDU bislang eher als Hemmschuh für Investoren oder als brave Finanzierer der Altersvorsorge anderer auf dem Zettel hatten. Doch wenn es darum geht, den geplanten Mietendeckel zu attackieren, entstehen zuweilen seltsame Partnerschaften. Und tatsächlich hat die Berliner Regierung dem Mietendeckel eine Änderung verpasst, die für die Mieterinnen nicht ganz optimal ist – aber eins nach dem anderen.
Vergangene Woche beschloss Rot-Rot-Grün in einer gemeinsamen Sitzung von Haupt- und Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordntenhauses letzte Änderungen am Gesetz, nun kann der Mietendeckel kommen: An diesem Donnerstag stimmt das Landesparlament ab. „Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung“ heißt der Deckel offiziell, was aber nicht über die soziale Wirkkraft hinwegtäuschen sollte. Denn an den Inhalten hat sich auch nach den letzten Verhandlungen nicht viel geändert: Für Mieterinnen, die schon vor dem 18. Juni 2019 in ihrer Wohnung gelebt haben, wird die Miete dieses Stichtags für fünf Jahre eingefroren. Außerdem gelten Obergrenzen bei der Nettokaltmiete, die bei Wiedervermietung nicht überstiegen werden dürfen.
Die Mietobergrenzen orientieren sich am Baujahr und der jeweiligen Ausstattung der Wohnung. So darf etwa die Miete bei einem vor 1918 gebauten Haus mit Sammelheizung und mit Bad maximal 6,45 Euro pro Quadratmeter betragen; bei einer Wohnung, die zwischen 2003 und 2013 erstmals bezogen wurde, beträgt sie 9,80 Euro. Das bedeutet schon eine bemerkenswerte Entlastung für eine Stadt, in der die Miete über zehn Jahre in manchen Stadtteilen um fast 150 Prozent angestiegen ist.
Dazu gibt es noch ein bisschen Kleingedrucktes: Zusätzlich zu diesen feststehenden Mieten können die Kosten für bestimmte Modernisierungen mit höchstens einem Euro pro Quadratmeter umgelegt werden; bei Wohnungen mit moderner Ausstattung (wenn es zum Beispiel einen Aufzug, eine Einbauküche und hochwertige Sanitärausstattung gibt) kann noch einmal ein Euro draufgeschlagen werden. Von all diesen Regelungen ausgenommen sind Neubauwohnungen, die von 2014 an bezugsfertig geworden sind.
Grundsätzlich gilt jedoch: Eine über die jeweilige Mietobergrenze hinausgehende Miete ist laut Gesetz verboten. Bei Verstößen gegen den Mietendeckel können Strafen von bis zu 500.000 Euro verhängt werden. Das Gesetz gilt für insgesamt rund 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin. Insgesamt ist der Mietendeckel auf fünf Jahre begrenzt, von 2022 an soll sich die Miete im Rahmen eines Inflationsausgleichs um maximal 1,3 Prozent erhöhen können.
Besorgter Dregger
Was passiert aber mit jenen bestehenden Mieten, die 20 Prozent über der Mietobergrenze liegen? Die, so sieht es das Gesetz vor, sollen tatsächlich abgesenkt werden. Doch eben da liegt auch die Schwäche im neuen Gesetzentwurf; jene Schwäche, die FDP und CDU veranlasst, mit den „kleinen Leuten“ zu argumentieren. Denn Mieter können sich zwar von offizieller Seite bestätigen lassen, dass ihre Miete zu hoch ist – am Ende müssen sie selbst ihre Vermieter verklagen, das übernimmt die Stadt nicht für sie. „Da wird es vom Geldbeutel des Mieters abhängen, ob er das Klagerisiko auf sich nimmt“, befürchtet die Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger in der taz.
In den vergangenen Tagen bestimmte vor allem diese Änderung die öffentliche Debatte in Berlin. Denn das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis. Dass sich Mieter deshalb oft nicht trauen, zu klagen, konnte man schon bei der Mietpreisbremse sehen, wie eine Kurzanalyse für das Bundesjustizministerium aus dem Jahr 2016 zeigt: Auf die Frage, warum Mieter keinen Widerspruch einlegen wollen, nannten 75 Prozent die Angst vor einem belasteten Verhältnis mit dem Vermieter, die Angst vor Kündigung nannten 63 Prozent.
Um die Absenkung der Miete durchzusetzen, müssen sich die Berlinerinnen jedoch überwinden, trotz dieser Ängste zu klagen. Immerhin werden sie hier, anders als bei der Mietpreisbremse, in ihrem Klagerecht von der Stadt bestärkt.
Der Berliner CDU-Politiker Burkard Dregger macht sich dennoch Sorgen. Der taz sagte er: „Mit der Änderung wälzen die Koalitionäre alle Risiken des rechtlich höchst umstrittenen Gesetzes auf die Mieter ab. Die Konsequenzen jetzt auf die kleinen Leute schieben zu wollen, ist eine miese Nummer.“ Ein erstaunliches Urteil – vor allem, wenn man bedenkt, dass die CDU bereits eine Klage gegen den Mietendeckel angekündigt hat. Haben es die Mieterinnen und Mieter wirklich leichter, wenn sie nicht selbst klagen müssen, weil sie erst gar kein Recht bekommen, das sie einklagen können?
Beim Berliner Mieterverein sieht man sich unterdessen schon nach Verstärkung bei den Vertragsanwälten um. Reiner Wild, Geschäftsführer des Vereins, sieht diese Änderung im letzten Gesetzentwurf zwar ebenfalls kritisch. Trotzdem warnt er, man solle den Fokus nicht vorrangig auf die Absenkung legen: „Wichtig ist, dass Mietenstopp, Begrenzung bei Wiedervermietung und Modernisierung zum Zuge kommen.“ Immerhin ist die Durchsetzung von Obergrenzen, auch wenn sie erklagt werden muss, ein politisches Novum.
Dass die Debatte in schrillen Tönen geführt wird, ist daher nachvollziehbar. Einerseits geht es um die Interessen von Investoren und der Immobilienwirtschaft, auf der anderen Seite aber auch um die Frage, wie sehr ein Staat für seine Bürger da sein sollte. Die Botschaft des Mietendeckels ist da eindeutig: Der Staat kümmert sich wieder mehr. So sieht das auch Reiner Wild: „Was den Mieterschutz betrifft, hat der Mietendeckel eine neue Qualität. Insofern ist das schon ein Meilenstein.“
Ein Meilenstein, der nun gesetzt scheint – aber noch nicht felsenfest steht. Denn auch wenn die Regierungskoalition in Berlin auf Rechtssicherheit hofft – und dafür auf eine Sonderstellung der Genossenschaften verzichtet hat –, werden es Gerichte sein, die dies festzustellen haben, wenn CDU und FDP, wie angekündigt, klagen werden.
Wer deckelt als Nächstes?
Und auch die letzte Schlacht im öffentlichen Diskurs ist noch längst nicht geschlagen. Schon vor dem Beschluss des Mietendeckels haben sich verschiedene Interessengruppen wie „Mut Stadt Wut“ oder „Neue Wege für Berlin“ warmgelaufen und zumindest versucht, Stimmung dagegen zu machen. Dass sie jetzt damit aufhören, ist mehr als unwahrscheinlich. Die Gutachten, die wahlweise die Recht- und Unrechtmäßigkeit des Projektes bescheinigten, werden sicher wieder ausgegraben, Schreckensszenarien von verfallenden Wohnungen, abgeblasenen Sanierungen und stagnierendem Neubau wieder aufgewärmt werden.
Zumal vom Berliner Gesetz Signalwirkung ausgeht. Der Berliner Mieterverein hat bereits Einladungen aus Porto, Bilbao, dem Jemen und Schweden erhalten, um über den Mietendeckel zu berichten. Für Deutschland stellte kürzlich der Immobilienexperte der Beratungsfirma EY fest, dass auch andere Städte wie München und Hamburg in Berlin beobachten, ob der umstrittene Mietendeckel dort Bestand vor Gericht hat. Und nicht nur die Städte, sondern auch ihre Mieterinnen und Mieter. In Hamburg waren im Januar laut einer Umfrage von Infratest dimap immerhin 69 Prozent der Befragten der Meinung, ein Mietendeckel gehe in die richtige Richtung. Und in München endet dieser Tage die Unterschriftensammlung für das „Volksbegehren 6 Jahre Mietenstopp Bayern“.
So fängt es an, daran darf man sich auch in Berlin gerne noch einmal erinnern. Denn auch wenn der Mietendeckel am Ende das Ergebnis politischen Ringens zwischen Parteien ist, so ist er dem Druck der vielen mietenpolitischen Initiativen in Berlin zu verdanken. Der Mietendeckel markiert einen Zwischenstopp; eine angenehme Überraschung. Berlin eben.
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