Es gibt Geschichten, die in den letzten Jahren zur traurigen Normalität geworden sind. Die Berichte über steigenden Mieten, Verdrängung, Zwangsräumungen oder Sanierungen gehören mit Sicherheit dazu. Ali hat auch so eine Geschichte zu erzählen. Sie spielt sich in der Berliner Gropiusstadt ab, einer Hochhaussiedlung am Rand Berlins im Bezirk Neukölln und lässt sich so zusammenfassen: Einst waren die Hochhäuser Teil des sozialen Wohnungsbaus – bis sie aus der Bindung herausfielen. Seitdem ist auch das Wohnen dort zur Ware geworden. Nun haben viele Bewohner die Ankündigung der energetischen Sanierung erhalten, Teile der Kosten darf der Hausbesitzer auf die Miete umlegen – perspektivisch winkt für ihn ein gutes Geschäft. In der Realität bedeutet das für einige Bewohner Mietsteigerungen von 30 bis 40 Prozent. “Wir sparen fünf Euro an Heizkosten und müssen 180 Euro mehr Miete zahlen”, sagt Ali. “Wie geht denn das?”
Wie so etwas sein kann, fragt sich nicht nur Ali. Tausende Menschen haben am Samstag in Berlin gegen den “Mietenwahnsinn”, wie sie es nennen, demonstriert. Medienberichten zufolge waren über 13.000 Demonstranten vor Ort, die Organisatoren zählten sogar 25.000 Teilnehmer. “Angemeldet waren nur 4.000, doch es sind sehr viel mehr Menschen gekommen”, hieß es in einer Erklärung des Bündnisses. “Sie demonstrieren in nie da gewesener gesellschaftlicher Breite gegen die Wohnungskrise, die in allen großen Städten zum bestimmenden Lebensgefühl geworden ist.”
Die Demonstration war der abschließende Höhepunkt von zehn Aktionstagen, während derer viele Initiativen mit den Problemen der Wohnungspolitik auseinandergesetzt und auf die Missstände hingewiesen hatten. Ob in Berlin-Neukölln, Kreuzberg oder Lichtenberg – die Folgen eines Systems, das Wohnen vor allem als Ware, nicht aber als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge begreift, betreffen viele in ihrem Alltag. Laut einer Caritas-Studie gaben 74 Prozent der Befragten an, dass zu hohe Wohnkosten die Gefahr von Obdachlosigkeit erhöhen. 61 Prozent stimmten der Aussage zu, hohe Wohnkosten bedrohten den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Was die vergangenen zehn Tage jedoch bemerkenswert gezeigt haben ist: Die Menschen organisieren sich, engagieren und wehren sich dagegen – gemeinsam.
Eine “Selbstermächtigung”
“Erst die Krise hat diese ganzen Initiativen entstehen lassen”, sagt Magnus Hengge von der Kreuzberger Initiative Bizim Kiez, die sich gegen Verdrängung von Menschen und Kleingewerbe aus Innenstädten einsetzt. Bizim Kiez ist eine von 254 Gruppen, die die Aktionstage und die Demonstration unterstützt hatten. Ein breiteres Bündnis habe es noch nie in Berlin gegeben, meint Hengge. Gerade diese Vielfalt an kleinen Initiativen, die sich mit den konkreten Fällen befassen, war in Hengges Augen ein Schlüssel des Erfolgs: “Wir haben auf diese Weise sicherlich mehr und andere Leute erreicht.” Das sei eine Form der Selbstermächtigung.
Mit seiner Geschichte passt Ali ziemlich genau in diese Erzählung. Unterstützt von der Partei “die Linke” haben sich einige Bewohner in Gropiusstadt organisiert und versuchen, sich gegen die steigenden Mieten zu wehren. Auch Ali kommt immer wieder vorbei. Die Demonstration am Samstag war die erste seines Lebens. Warum er dort hingegangen ist? Das Geld reiche ja gerade einmal für die Miete, meint er. Das hat auch mit Sanierungen zu tun. “Die reißen bei uns alles ab, was stabil ist und fest ist, nur damit sie dann mehr Miete verlangen können. Das finde ich ungerecht. Und keiner von den Politikern macht da etwas.”
Immer mehr zahlen zu müssen, damit andere Profit aus ihren Investitionen ziehen können und die daraus folgende Frage, wer es sich noch leisten kann, in einer Stadt wie Berlin zu leben, machen Menschen wie Ali zu politischen Akteuren, die sich organisieren, die sich wehren, die auf die Straße gehen und die ihre Themen lautstark in die öffentliche Debatte einbringen.
Kaum überhörbare Signale
Das Signal ist gesendet. Es wäre höchste Zeit, dass auch seitens der Bundesregierung darauf reagiert würde. Zumal der Zeitpunkt günstig wäre, um wirklich etwas zu verändern, steht die Demonstration doch am Ende einer Woche, die die Frage nach bezahlbarem Wohnraum wieder einmal explizit auf die Agenda gesetzt hat. Vergangenes Wochenende war eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie veröffentlicht worden, derzufolge in den 77 deutschen Großstädten gut 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen. Das Problem, es ist ein bundesweites. Am Dienstag erklärte das Bundesverfassungsgericht zudem die Grundsteuer für verfassungswidrig. Bis Ende 2019 braucht es eine Überarbeitung. Es wäre die Chance, ein Modell zu etablieren, das Spekulation mit Boden oder leerstehenden Wohnungen besonders teuer macht. Zentral dabei ist jedoch auch der politische Wille, zu verhindern, dass eine mögliche steuerliche Mehrbelastung für Grundbesitzer direkt an die Mieter weitergereicht werden kann.
Die Antworten der Bundesregierung sind indes bislang wenig ermutigend. Horst Seehofer, Bundesminister für Inneres, Bauen und Heimat, hat sich bislang vor allem um Abschiebezentren und Heimatdebatten gekümmert. Das Bauen scheint ihm nicht so sehr am Herzen zu liegen. Es sei denn, es geht um Familien mit hohem Einkommen. Denn auch das Vorhaben eines Baukindergeldes hilft vor allem jenen, die ohnehin schon gut verdienen. Justizministerin Katharina Barley hat vor zwei Wochen im Bericht aus Berlin zumindest angekündigt, vor der Sommerpause einen Gesetzesentwurf zur Verschärfung der Mietpreisbremse vorzulegen. Auch die Modernisierungsumlage soll verschärft werden. Doch um wirklich etwas zu ändern, bräuchte es Maßnahmen ganz anderen Kalibers – eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit zum Beispiel. Davon ist freilich nichts zu hören, in der Regierung scheint man weit davon entfernt, das Thema Wohnraum offensiv anzugehen und zum persönlichen Aushängeschild zu machen. Das ist ärgerlich und verkennt – die vergangenen Tage haben es gezeigt – die aktuelle Gemengenlage.
“Wenn es um das Recht auf Wohnen geht, bleibt Mieterinnen und Mietern nur eines: sich auf sich selbst zu verlassen und den nötigen Druck für eine soziale Wohnungspolitik aufzubauen”, hat Stadtsoziologe Andrej Holm kürzlich im Freitag geschrieben. Mit der Demonstration und den vorangegangenen Aktionstagen haben die Menschen und Initiativen in Berlin ein Zeichen über die Stadt hinaus gesetzt und den Druck zumindest etwas erhöht. Sie haben gezeigt, was weit oben auf die politische Agenda gehört. Es geht um eine fundamentale gesellschaftliche Frage.
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