Am Anfang steht die Würdigung. Sie kommt daher in Form eines Briefes der Youtube-Geschäftsführerin Susan Wojcicki, vorgelesen von einer Frauenstimme, die in ihrer Gleichgültigkeit an künstliche Intelligenzen à la Alexa erinnert. „Du hast etwas geschafft, das nur wenige Youtuber erreichen. Erstaunliche 100.000 Menschen haben deinen Kanal abonniert. Jeder, der deinen Kanal abonniert hat, war davon berührt, was du gemacht hast.“ Dazu sind schemenhaft Ausschnitte aus eben jenen Videos zu sehen und Wortfetzen zu hören – aufgeregt, übertrieben, schrill. Es sind die Videos von Max „Adlersson“ Herzberg, 21-jähriger Youtuber aus Dresden und mit über 300.000 aktiven Fans ziemlich erfolgreich.
Was Herzberg und seine Freunde – von denen viele eigene Youtube-Kanäle betreiben – so tun, will Lord of the Toys zeigen. Einen Sommer lang haben Regisseur Pablo Ben Yakov und Kameramann André Krummel die Gruppe begleitet. Einer wirklichen Geschichte folgt das nicht. Zu sehen ist vielmehr, wie die Jugendlichen ziel- und haltlos vor sich hin leben. Der nächste Suff wird dabei zur ordnenden Konstante, zusammen mit dem Smartphone, das omnipräsent ist. Einerseits, um alles filmen und streamen zu können, andererseits, um permanent zu kommunizieren – untereinander und mit den Fans. Von denen gibt es offensichtlich einige, sie erkennen ihn auf der Straße, schenken ihm Kleingeld, bitten um Selfies, sie schicken Herzberg Fanpost, die er vor der Kamera auspackt.
Generell ist das Auspacken von Produkten eines der zentralen Formate des jungen Youtubers. „Unboxing“ heißt das, wenn Herzberg Messer testet oder Rap-Alben auspackt und kommentiert. Der andere Markenkern von Herzberg, ebenso wie der seiner Freunde, das ist ein Umgang und eine Sprache, die schwer zu ertragen sind. Weil die Clique so redet, wie es im Netz oft zugeht, weil die Freunde mit antisemitischen und homophoben Äußerungen nur so um sich werfen, weil sie damit kokettieren, rechts zu sein. Man bezeichnet sich untereinander als „Schwuchtel“, man bepöbelt Passanten, Herzberg erniedrigt einen Freund, indem er ihm Deo ins Gesicht sprüht und ruft „Jetzt vergas ich dich!“. Sind das bewusste Grenzüberschreitungen im Dienste der Aufmerksamkeitsökonomie, bei der das Gesagte am Ende eben „gar nicht so gemeint“ sein soll? Oder ist es einfach rassistisch, homophob, antisemitisch?
Eine Einordnung liefert Lord of the Toys nicht. Weder gibt es Off-Kommentare noch wird ein Umfeld jenseits des Youtube-Kosmos interviewt. Die Bilder sollen bewusst für sich stehen: „Wir wollten ja den Blick darauf lenken, dass im Netz eine gefährliche De-Kommunikation entsteht, mit einer sinnlosen Sprache, die eine enorm aggressive Stimmung kreiert. Diese aggressive Stimmung ist das, was gefährlich ist“, sagt Pablo Ben Yakov.
Szenen von großer Leere
Diese Herangehensweise hat den beiden Filmemachern auch viel Kritik eingebracht. Beim DOK Leipzig im vergangenen Jahr hatte das Bündnis „Leipzig nimmt Platz“ kritisiert, der Film könne auch affirmativ verstanden werden. Die Kritik ist durchaus nachvollziehbar; Hauptfigur Max Herzberg soll, das sagt etwa der Journalist Alexej Hock, mit den Identitären und Rechtsradikalen vernetzt sein.
Das Festival zeichnete Lord of the Toys indes mit dem Hauptpreis aus. In der Begründung heißt es: „Die Filmemacher haben eine Grenzüberschreitung geleistet; sie lassen sich vollständig auf ein anderes Milieu, eine andere Generation, eine andere politische Haltung ein … Sie versuchen dabei, nicht nach vorgefertigten Schemata zu werten.“
Tatsächlich zeigen sich die Youtuber in Lord of the Toys von sehr intimen Seiten, wobei Teil der Wahrheit auch ist, dass sie das ohnehin ständig tun. Es sind Szenen großer Traurigkeit und Leere – zwischen Wienerwurst im Ofen, Smirnoff-Alkopop, Dosenravioli und Internetporno. Das kann man durchaus als Nähe verstehen, Affirmation muss es deshalb allerdings noch nicht sein. Zumal diese Bilder weniger Verständnis und Mitgefühl auslösen als vielmehr Fassungslosigkeit.
Eben hier liegt jedoch auch eine Schwierigkeit. Denn wenn der Anspruch ist, Strukturen der Aufmerksamkeitsökonomie offenzulegen, dann wird er nicht wirklich eingelöst. Zu viele Fragen bleiben offen, vor allem aber sind die Empfänger dieser Kommunikation, die Fans, erstaunlich vage. Warum verfangen Videos wie die von Herzberg überhaupt? Die Annahmen, die das zu Beginn verlesene Schreiben der Youtube-Geschäftsführerin Wojcicki aufstellt, werden nicht genauer beleuchtet. Man wüsste gerne mehr über die Strukturen. Was sie aus Menschen machen können, wird indes sehr deutlich. Schön anzusehen ist das nicht. Aber in Zeiten wie diesen sollte man es trotzdem tun.
Info
Lord of the Toys Pablo Ben Yakov, André Krummel Deutschland 2018, 95 Minuten
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