Hausbesetzung in Luzern

Schweiz Bei den Eidgenossen steht dem Privateigentum nichts im Wege. Nicht einmal die Pressefreiheit
Ausgabe 27/2019
Hier kommst du nicht rein. Auch nicht mit Presseausweis
Hier kommst du nicht rein. Auch nicht mit Presseausweis

Foto: Imago Images/Steinach

Clickbaiting gehört sich eigentlich nicht. Aber in diesem Fall würde der Satz, der vor allem in Sozialen Medien besonders gern verwendet wird, um neugierig zu machen, doch recht gut passen: „Was dann passierte, werdet ihr nicht glauben“.

Es geht um eine Geschichte mit sehr verschiedenen Akteuren. Da ist zum einen Jørgen Bodum, Chef des Haushaltswaren-Herstellers Bodum. Da sind linke Aktivist*innen, die in Luzern eine Villa besetzt haben, um sie zu einem offenen Begegnungszentrum zu machen. Und da ist die Journalistin Jana Avanzini, die über die Besetzung berichtet und am Ende vor Gericht steht.

2013 kauft die Bodum Invest AG, die wiederum Jørgen Bodum gehört, in Luzern eine Villa, die unter Ortsbildschutz steht. In der Folge steht sie leer. Laut Süddeutscher Zeitung kursiert in Luzern daraufhin „ein Gerücht, wonach Bodum das Haus verfallen lassen will, um es dann trotz Schutzstatus abreißen zu dürfen.“ 2016 besetzen Aktivist*innen die Villa. Für ihre Reportage „Auf ein Bier mit Besetzern und Alt-68ern“, die beim Luzerner Online-Magazin zentralplus erscheint, betritt die Journalistin Jana Avanzini das besetzte Haus. Und was dann passiert, ... Sie wissen schon.

Denn die Bodum Invest AG zeigt nicht nur die Besetzer*innen wegen Hausfriedensbruch an, sondern auch Avanzini, die dort ihrer Arbeit als Journalistin nachgegangen ist. Nach einigem Hin- und Her hat nun das Kantonsgericht entschieden und Avanzini wegen Hausfriedensbruch zu einer Buße von 500 Franken verurteilt. Zudem muss die Journalistin die Gerichtskosten und die Anwaltskosten der Bodum Invest AG tragen – laut SZ-Bericht zusammen etwa 4.300 Franken.

Ein solches Urteil ist auf verschiedenen Ebenen denkwürdig. Zum Beispiel mit Blick auf die Argumente, die der Anwalt der Bodum Invest AG laut einem Bericht des Schweizer Magazins Republik vorgetragen hat. Unter anderem habe er argumentiert, die Reportage sei von keinem öffentlichen Interesse, da die relevanten Informationen über die Besetzung schon vorher öffentlich gewesen seien. „Avanzini gönnte sich das Erlebnis Hausbesetzung und wollte die Leser daran teilhaben lassen.“ Es sei auch nicht Aufgabe der Medien, die Baufälligkeit eines Gebäudes abzuklären: „Es gibt noch vieles, worüber Journalisten nicht berichten dürfen.“ Anscheinend sah das Gericht das ähnlich. Denn in der Kurzbegründung des Urteils, die der SZ vorliegt, heißt es, das öffentliche Interesse, das eine strafbare Handlung rechtfertige, liege im Fall der Luzerner Villa nicht vor. Das gibt schon zu denken. Denn wenn ein Artikel zum Beispiel deswegen nicht mehr von öffentlichem Interesse ist, weil der Sachverhalt von anderen bereits geschildert wurde, dann wäre das fatal. Es würde vor allem Anspruch an die Presse, alles – auch Medienberichte – kritisch zu hinterfragen, in Frage stellen.

Besorgniserregend ist das Urteil aber auch, weil es natürlich das Zeug hat, freie Journalisten und kleine Redaktionen einzuschüchtern. Und schließlich ist da noch die Botschaft, die lautet: Privateigentum schlägt Pressefreiheit, selbst dann, wenn sie Gegenstand einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist. Dabei ist das genau der Grund, weshalb man der Presse gewisse Rechte und Freiheiten gibt, auch wenn das andere Rechte einschränkt. Um zu recherchieren, was ist, um sagen zu können, was ist. Und vielleicht gehört manchmal auch dazu, die Baufälligkeit eines Gebäudes abzuklären.

Natürlich haben die Befugnisse der Presse auch Grenzen und das ist in Ordnung. Sie jedoch so eng zu ziehen, geht zu weit. Man kann nur hoffen, dass das Beispiel aus der Schweiz nicht Schule macht. Denn das wäre wirklich unglaublich.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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