Hoch die Braue

Doku Gerd Conradt befasst sich mit Gesichtserkennung. Wer den Film sieht, macht bald eine finstere Miene
Ausgabe 30/2019

Dass das Gesicht ein Abbild der Seele ist, hat Cicero schon vor über 2000 Jahren aufgeschrieben und damit einen Ausspruch geprägt, der bis heute überdauert hat. In Zeiten der Digitalisierung, der omnipräsenten Videoüberwachung und der Datenanalyse ist das Gesicht jedoch längst auch ein gesellschaftliches wie kulturpolitisch spannendes Untersuchungsobjekt. Ihm will der Videokünstler und Filmemacher Gerd Conradt in Face_It! – Das Gesicht im Zeitalter des Digitalismus auf den Grund gehen.

Wie interessant ein solches Projekt ist, bestätigen gegenwärtige politische Entwicklungen: 2017 hat die Bundespolizei am Berliner Bahnhof Südkreuz begonnen, bei drei der insgesamt 77 installierten Überwachungskameras Gesichtserkennungssoftware zu testen. Es sind neue Analysemöglichkeiten mit großer Tragweite, denn, so Conradt: „Wenn die Individualität eines Gesichtes von einem Code gelesen und von Algorithmen zu verwertbaren Informationen aufbereitet wird, stellen diese Daten eine Ressource dar, deren Besitz zu Macht von bisher ungeahntem Ausmaß führen könnte.“

Also begibt sich Conradt – mit Smartphone und Selfiestick ausgestattet – auf die Suche, unterhält sich unter anderem mit der CSU-Politikerin und Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, mit dem Künstler und Vorsitzenden des Datenschutzvereins Digitalcourage, padeluun, oder der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel, die die Ausstellung Das Gesicht – Eine Spurensuche im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden kuratiert hat.

All diese Protagonisten nähern sich der Frage unterschiedlich an. Nicht immer ist das überraschend, beispielsweise wenn Dorothee Bär den Sicherheitsaspekt als großen Pluspunkt in die Waagschale wirft. Padeluun betrachtet Überwachungskameras dagegen als auf die Menschen gerichtete Waffen: „Wir müssen diese Geräte aus dem Alltag, aus der Öffentlichkeit herausbekommen. Sie zerstören unser Zusammenleben, unsere Demokratie und den Rechtsstaat.“

Durch die Gesichtserkennung bekommen diese „Waffen“ eine neue Komponente, die allerdings auch Lücken hat. Denn selbst ausgeklügelte Gesichtserkennungsysteme weisen Lücken auf, worauf Wissenschaftlerin Sigrid Weigel hinweist. Seelenspiegel hin oder her – das Gesicht sei nicht der einzige Indikator für Emotionen, es werde in der herausgelösten Betrachtung vielmehr zur Maske.

Conradt spielt den verschiedenen Gesprächspartnern dabei die Aussagen der jeweils anderen vor, sodass ein indirekter, wenngleich sprunghafter Dialog entsteht. Immer wieder werden dabei auf die Gesichter der Sprechenden zu Masken verknüpfte Erkennungspunkte gelegt, ganz so, als solle der Zuschauer den Faden nicht verlieren.

Angerissen wird so manches

Das tut auch dringend not, denn so groß die Ausgangsfrage ist, so vielfältig die Ansätze der Gesprächspartner sind, so viele Fragen tun sich auf. Nach der Individualität und ihrer Auflösung in Algorithmen; nach der Möglichkeit, Emotionen messbar zu machen; danach, wie die zunehmende Vermessung des Menschen die Gesellschaft beeinflusst und wie die Kunst darauf reagieren kann. All das wird angerissen, wirklich ausdiskutiert wird es nicht.

Es mag ehrenwert sein, nicht mit der einen abschließenden Antwort um die Ecke zu kommen, doch am Ende entsteht so vor allem ein gerüttelt Maß an Konfusion. Und es bleiben viele offene Fragen, etwa nach der Rolle großer Tech-Konzerne – man denke nur an die Gesichtserkennung der Smartphones.

Sinnbildlich für dieses Gefühl steht eine Szene im Überwachungsraum am Bahnhof Südkreuz. Die Bundespolizei präsentiert die neue Technologie recht stolz einigen Journalisten. Conradt meldet sich zu Wort: Ihn interessiere der Aspekt, welchen kulturpolitischen Wert die Gesichtserkennung eigentlich darstelle. Der befragte Techniker schaut erst reichlich irritiert drein, dann lächelt er und sagt, er sei die falsche Ansprechperson. Dem Gesicht nach zu urteilen ist die Seele dieses armen Mannes in diesem Augenblick etwas verwirrt.

Info

Face_It! Gerd Conradt Deutschland 2019, 80 Min.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

Benjamin Knödler

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