Holpriger als Onkel Heiko

Audio Lohnsteuer, Anglerzeitung, Trockenfrüchte: Podcast-Werbung ist zum fremdschämen
Ausgabe 17/2021
Klar, auch Podcaster müssen Geld verdienen. Aber muss Werbung immer gleich so peinlich sein?
Klar, auch Podcaster müssen Geld verdienen. Aber muss Werbung immer gleich so peinlich sein?

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Kennen Sie das? Dieses Gefühl, das sich an runden Geburtstagen einstellt, wenn Onkel Heiko und Tante Saskia ein Nümmerchen vorbereitet haben? Voll guter Absicht stehen sie da, haben ABBA umgetextet und tanzen dazu oder haben selbst eine holprige Ballade gedichtet, meinen es gut, während im Publikum so manch einem die Gänsehaut der Fremdscham den Nacken hinaufkriecht.

An Fremdscham ist wenig nobel, sie hat etwas Herablassendes, zugleich stellt sie sich meist just in Bezug auf die Menschen ein, die einem am Herzen liegen. Weil eben doch auch eine Spur Mitgefühl im Spiel ist. Dieses Gefühl von Fremdscham überkommt mich dieser Tage häufig. Was – Sie ahnen es – nicht mit meiner Anwesenheit bei Familienfesten zusammenhängen kann. Für den kleinen Schauer zwischendurch sorgen Podcasts. Genauer gesagt die aufgesagten Werbespots, die dort immer öfter zu hören sind. Im Grunde ein gutes Zeichen. Podcasts sind inzwischen so verbreitet, dass sich Unternehmen denken, es lohne sich, dort Spots zu schalten. Wobei die Tatsache, dass in vielen der mir am Herzen liegenden Podcasts inzwischen Werbung zu hören ist, natürlich auch am Ego kratzt. Mit meinem individuellen Geschmack ist es wohl nicht so weit her, wenn Werbekunden dort genug Publikum für ihre Botschaft vermuten. Schmerzhafter als diese Selbsterkenntnis sind allerdings die Werbespots selbst. Denn die werden von den Podcastern eingesprochen.

Die Werbung wird zwar hörbar als solche gekennzeichnet – medienethisch alles so weit korrekt –, aber ansonsten klingt es nach Podcast. Unangenehme Sekunden folgen, in denen mir ein ganz normales Podcast-Gespräch vorgegaukelt wird. Statt um Fußball, Politik oder Zeitgeschichte geht es allerdings um Apps, die mich dabei unterstützen sollen, den Überblick über meine Versicherungen zu wahren, um Lohnsteuerhilfe, Hörbuch- oder Magazin-Apps oder, mein persönliches Highlight, eine Online-Drogerie, die ökologisch bewusst in besonders großen Mengen verkauft. Kiloweise will man Cashewnüsse oder Trockenfrüchte schmackhaft machen – und erst die Dattel-Haselnuss-Creme! So kämpfen sich die Podcast-Hosts und ich gleichermaßen wacker durch diese arg an Laientheater erinnernden Momente.

Lohnsteuer, Anglerzeitung, Trockenfrüchte – für welche Zielgruppe soll ich hier stehen? Da hilft es auch nicht, wenn das Ganze in einen scheinbar wild daherimprovisierten Sketch verpackt wird. Derlei Schauspiel findet sich vor allem in „Indie-Podcasts“ ohne große Medienhäuser im Rücken. Aber seien Sie versichert: Die Werbung, die man in den Produktionen großer Verlage hört, ist nicht besser. Hier werden die Spots zwar nicht von den Podcast-Hosts selbst eingesprochen, dafür dominiert einfallsloser Marketingsprech: „Audiothriller-Fans dürfen sich freuen!“ Warum? Weil es „mit Hochspannung“ weitergeht. Na dann.

Sehnsüchtig denke ich da an die US-Produktionen, in denen Podcast-Werbung weit verbreitet ist. Mit weltläufiger Nonchalance wird mir mitgeteilt, von wem die jeweilige Podcast-Episode präsentiert wird. Klar, Werbung bleibt Werbung, aber dieses Peinlich-berührt-Sein entwickelt sich hier nicht.

Womit wir wieder bei der Fremdscham wären. Beim nicht noblen Teil. Denn wer bin ich, mich zu beklagen? Mit seinem Podcast Geld verdienen zu wollen ist legitim. Und Selbstausbeutung ist auch im Medium der Stunde daneben. Zumal die meisten „Indie-Podcasts“ ohnehin auch Bezahlmodelle ohne Werbung anbieten. Und wenn man ganz solidarisch ist, bezahlt man und hört sich die Werbung trotzdem an. Der Abrufzahlen wegen. Und weil die unter Mühen eingesprochenen und lieb gemeinten Werbespots nach der dritten Episode auch irgendwie dazugehören. Wie der Auftritt von Onkel Heiko und Tante Saskia.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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