In Kens Kaninchenbau

„Cui Bono?“ Der Podcast über Ken Jebsen, einen der bekanntesten deutschen Verschwörungserzähler, fesselt. Am besten ergibt man sich seinem Sog am Stück
Ausgabe 30/2021
Ken Jebsen taugt nicht zum tragischen Helden
Ken Jebsen taugt nicht zum tragischen Helden

Foto: teutopress/imago

Ich grüße Sie frisch zurück aus dem Kaninchenbau, in dem ich mich befunden habe. Hineingelockt hat mich Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen?, ein Podcast über den Werdegang des Moderators Ken Jebsen, der zunehmend in die Welt der Verschwörungstheorien abgleitet und sie zugleich mitprägt. Ich habe gewartet, bis alle Folgen des Podcasts erschienen sind, bevor ich ihn mir angehört habe. Die Pausen im seriellen Erzählen zu ertragen, hat man ja seit Netflix und Co. verlernt. Es hat sich gelohnt. Denn Cui Bono entwickelt eine Sogwirkung, der man am besten am Stück nachkommt.

Host Khesrau Behroz und sein Team begeben sich also auf die Spur von Ken Jebsen. Der heißt eigentlich Kayvan Soufi Siavash, galt einst als Nachwuchsstar des Radios. Unangepasst, experimentierfreudig, schnell. Im Berlin der 90er und frühen nuller Jahre hat er dafür die perfekte Spielwiese. So macht Jebsen Karriere beim rbb und hat schließlich seine eigene Sendung KenFM. Doch auch in der zeigt sich schon seine Affinität zu Verschwörungsideologien, etwa als er in einer Sondersendung zu den Anschlägen vom 11. September deren Echtheit anzweifelt. 2011 stehen Antisemitismus-Vorwürfe gegen Jebsen im Raum, die Sendung wird ausgesetzt und wieder aufgenommen. Zwei Wochen später verkündet der rbb die Trennung von Jebsen – wegen der Nichteinhaltung journalistischer Standards.

Illustriert wird Jebsens Weg auch durch die Erinnerungen vieler Weggefährten und Fans der ersten Jahre. So wird er nicht dämonisiert, vielmehr ist da echtes Interesse an der Figur Ken Jebsen – und der Frage, was zur Hölle mit ihm passiert ist. Die Suche nach einer Antwort entwickelt auch deshalb so einen Sog, weil sie hervorragend produziert ist. Die Collagen mit Ausschnitten aus verschiedenen Jebsen-Sendungen oder -Reden mit Archivmaterial von diversen Demos unterstreichen ebenso das rätselhafte Bild wie die eigens komponierte Musik. Voller Dissonanzen erinnert sie auf schräge Weise fast an Karussell-Musik. Wie aus einer anderen Welt voller trauriger, gruseliger Clowns.

Das passt auch zur nun folgenden Phase von Jebsen. KenFM wird zu einem Youtube-Channel mit am Ende 500.000 Followern. Doch da steht das Format längst für Verschwörungsmythen, antisemitische Äußerungen („Israel strebt in Palästina die Endlösung an, klassischer Genozid.“), Geraune und für krude Thesen über Corona und Bill Gates. Im November 2020 wird KenFM schließlich von Youtube gelöscht.

Jebsens Weg verläuft nicht im luftleeren Raum. Er hängt mit den Friedensdemos rund um die Ukraine-Krise 2014 ebenso zusammen wie mit dem Erstarken von Algorithmen-getriebenen Plattformen wie Youtube und den sie perfekt bespielenden Protagonisten wie Alex Jones. Genauso spielen der Einsatz von Fake News in der Geopolitik, der Rechtsruck in Deutschland und schließlich die Corona-Krise und das Erstarken der Querdenker eine Rolle.

All das wird bei Cui Bono? miterzählt, die Macher:innen haben mit Expert:innen gesprochen, sind auf Demos gegangen und betrachten aber auch, was ein Medium wie KenFM und dessen Verschwörungserzählungen mit Familien machen kann. Das sind viele Fäden, die aufgenommen werden, jeder einzelne würde Stoff für weitere Episoden liefern. Am Ende entsteht so jedoch ein Blick auf die Gesellschaft, der weiter geht als die sensationsheischende Erzählung über „Aufstieg und Niedergang“ eines Einzelnen.

Denn Ken Jebsen bleibt bis zum Schluss ein Rätsel, was sicher auch damit zu tun hat, dass er nie auf Interviewanfragen reagiert hat. Fest steht: Jebsen taugt nicht zum tragischen Helden, zum unerschrockenen Aufklärer schon gar nicht. Und dennoch hat man das Gefühl, einen besser ausgeleuchteten Blick in diesen Kaninchenbau erhascht zu haben.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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