Jetzt lasst uns doch mal

Mietenwahnsinn Der Ruf der Immobilienbranche ist ramponiert. Ein Besuch bei leidenden Lobbyisten
Ausgabe 27/2019

Am Ende gibt es noch einmal Balsam für die geschundene Seele der Immobilienwirtschaft. Und wer würde sich dafür besser eignen als Christian Lindner, der Mann, der in Problemen nur dornige Chancen sieht? Eben. Der FDP-Chef schreitet beschwingt zum Rednerpult.

Ja, sagt er, die Immobilienwirtschaft habe eine Verantwortung für die Gesellschaft. „Sie bauen die Häuser in denen wir leben, Sie gestalten unsere Umwelt.“ Applaus brandet auf. „Es gibt aber auch eine Verantwortung von Gesellschaft und Politik für den wirtschaftlichen Fortbestand Ihrer Branche“, fährt Lindner fort. Die Immobilienwirtschaft sei kein Problem. „In Wahrheit ist sie Teil der Lösung, wenn sie sich entwickeln kann.“ Applaus.

Draußen brutzelt schon das Fleisch, werden Weinflaschen geöffnet, die Cocktails für das Get together vorbereitet. Das Publikum bleibt im Saal und klatscht. Solche Worte kommen gut an, hier beim Tag der Immobilienwirtschaft, zu dem der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA) geladen hat. Der begreift sich als „die ordnungs- und wirtschaftspolitische Interessenvertretung der gesamten Immobilienwirtschaft.“ Anders gesagt, der ZIA ist ein einflussreicher Lobbyverband. Gegründet 2006, davor „gab es kaum eine Interessenvertretung für kapitalmarktorientierte Immobilienunternehmen“. Inzwischen hat der ZIA, der für 37.000 Immobilienunternehmen sprechen will und dem 28 Verbände angehören, veritablen Einfluss im politischen Berlin.

Was das eigene Image angeht, läuft die Lobbyarbeit derzeit allerdings nicht so toll. Der Ruf der Immobilienwirtschaft ist ramponiert. Und zwar so dermaßen, dass sich nicht nur viele Mieterinnen-Initiativen gegründet haben, sondern auch die Politik eine härtere Gangart gegen gewinnorientierte Immobilienkonzerne anschlägt. Die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ will Immobilienkonzerne mit mindestens 3.000 Wohnungen im Bestand vergesellschaften und hat dafür bereits über 75.000 Unterschriften gesammelt, der Berliner Senat beschloss jüngst einen Mietendeckel. Laut Medienberichten plant der börsennotierte Immobilienkonzern Aroundtown mit Sitz in Luxemburg eine Klage gegen den Mietendeckel. Das Unternehmen ist als Mitglied des ZIA gelistet. Einige der Unternehmen gegen die sich diese Maßnahmen richten, sind Mitglieder des ZIA. Die Deutsche Wohnen etwa sponsert eine VIP-Lounge, Vonovia, deren Vorstandschef auch im Vorstand des ZIA sitzt, steht ebenfalls auf der Unterstützerliste, aber auch Konzerne wie Siemens oder SAP. Am aktuellen Immobilienboom verdienen viele. Das Ambiente ist dabei Sinnbild. Der Kongress, bei dem sich „2.000 Entscheider und Experten mit Politikern treffen“, wie der Verband stolz mitteilt, findet in Berlin, unweit der Eastside Gallery statt, die schon seit Jahren von immer mehr Luxusbauprojekten eingeengt wird. Um die Ecke steht die Mercedes-Benz-Arena, daneben wurde ein neues Einkaufszentrum aus dem Boden gestampft. Was hier gedeiht, sind Restaurantketten, große Unternehmen und sonst nicht viel. So sieht sie aus, die neoliberale Stadt, die Umwelt, die hier gestaltet wird, wie Lindner sagen würde.

Nichts als Ödnis im Quartier

Drinnen lässt man es sich gut gehen, Schnittchen, Wraps, Macarons, Fritz-Cola, Mate, Cappuccino. Austauschbarer urbaner Industrial Chic, eine Mischung aus Starbucks und durchgestyltem „Street Food“-Stand-Charme. Vom Balkon aus blickt man auf die Ödnis des Mercedes-Benz-Platzes, der wirklich so heißt und das Herzstück des neuen Quartiers sein soll. Und schaut auf die Mahnwache des Bündnisses gegen Mietenwahnsinn herab. Viele sind es nicht, die da demonstrieren, bewacht werden sie von ähnlich vielen Polizisten.

Das ist noch so ein Sinnbild. Die Immobilienwirtschaft hat gemerkt, dass die Stimmung ihr gegenüber schon mal besser war, der Tag steht denn auch unter dem Motto „Miteinander statt gegeneinander“. „Irgendetwas ist in diesem Land ins Rutschen gekommen“, beklagt ZIA-Präsident Andreas Mattner. „Mangelsituation in den Ballungsräumen, Fehlverhalten einzelner Marktteilnehmer, polarisierende Berichterstattung auf dem Boden einer sich ein Stück weit radikalisierenden Parteienlandschaft führen zu Überspitzung überbordender Regulierung, kurzfristigem Aktionismus ohne Folgeabschätzung.“ Dann folgt tatsächlich eine Art kritischer Selbstbefragung. „Hat die Wohungswirtschaft alles richtig gemacht? Haben wir die richtigen Antworten und Strategien auf die Herausforderungen?“ Hätte man schon, wenn man doch nur dürfte. Sicher, ein paar „schwarze Schafe“ gebe es, auch wenn die tunlichst nicht genannt werden. In Wahrheit sieht sich die Immobilienbranche selbst als die eigentliche Leidtragende. Als wirtschaftlicher Motor, dem die Anerkennung verweigert wird. Dabei sagen eine Bruttowertschöpfung von 500 Milliarden Euro und 3 Millionen sozialversichert Beschäftigte im Jahr 2016 doch wohl alles.

Man fühlt sich missverstanden. Manchmal kann man das fast nachvollziehen. Nicht jeder bei diesem Treffen ist CEO eines börsennotierten Immobilienkonzerns oder Fondsverwalter. Da gibt es auch den Leiter einer Firma für Heizkostenabrechnungen, dem egal ist, wie teuer der Quadratmeter ist. Geheizt wird immer. Was die Versammelten eint, ist der Glaube daran, dass Wohnungen ein legitimes Investitionsgut sind. Dass man mit ihnen Gewinne macht. Steigende Mieten gehören dazu.

Hier nimmt man für sich in Anspruch, mehr Lösung als Problem zu sein. Mindestens drei Viertel aller Wohnungen werden laut ZIA von privaten Immobilienunternehmen gebaut. Dass die allzu oft nicht bezahlbar sind, ist aus Sicht der Anwesenden nicht ihre Schuld, sondern die Folge von Überregulierung, schwerfälliger Bürokratie, fehlenden Baugenehmigungen, zu hohen Grunderwerbssteuern – und natürlich dem Quasi-Sozialismus des Mietendeckels und der Unterstützung von Enteignungsfantasien. Letztere hat beim ZIA aber auch der Deutschen Wohnen immerhin dazu geführt, sich selbst Grenzen setzen zu wollen. So hat die Deutsche Wohnen kürzlich einen eigenen Mietendeckel ins Spiel gebracht. Das Problem: Selbstkontrolle kann man auch wieder bleiben lassen. Das Misstrauen vieler Mieterinnen und Mieter hat man sich lange erarbeitet. Die Lösung sei ohnehin eine andere: „Bauen ist der beste Mieterschutz“, sagt ZIA-Präsident Mattner. Doch was ist, wenn am Bedarf vorbei gebaut wird? Sind Mikroappartments und Luxuslofts das, was Städte derzeit brauchen?

Da verlässt man sich gern auf den Markt, denn der, auch eine Botschaft des Tages, läuft prächtig. Darum eben: „Bauen, Bauen, Bauen“, wie Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus dem geneigten Publikum zuruft. Ähnlich wie Lindner scheinen die Immobilienverbände es ihm angetan zu haben. Beide haben ihre Botschaften bereits Anfang Juni beim Deutschen Immobilientag unter die Leute gebracht. Damals gab es als Geschenk ein Brett – wirklich – als Symbol für die dicken Bretter, die es zu bohren gilt. Jetzt sind es Kaffeebecher, auf dass man sich bald mal auf einen Kaffee treffe.

Parole: „Bauen statt Klauen“

In den Genuss der herzlichen Selbsteinladung kommen noch weitere Gäste an diesem Tag. SPD-Umweltministerin Svenja Schulze oder CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, der seinen Namensvetter Mattner, bayerisch-kumpelig Andi nennt. Man kennt sich, man schätzt sich. Gemeinsam der Zukunft zugewandt.

Später an diesem Tag sammeln sich ein paar mehr Teilnehmer vor der Mahnwache. Die Geschichten, die man dort hört, sind Teil der Erklärung für die aufgeheizte Stimmung. Es geht um Modernisierungen, um Wohnungen, die deshalb leerstehen, Zwangsräumungen, Mieten bis zu 42 Euro pro Quadratmeter, Wohnungen, als Anlage. Zum Treffen der „Entscheider drinnen“ sagt eine Frau: „Sie sollten die Entscheidungen lieber uns überlassen.“ Die Entscheider sind auch vom Rest der Lindner-Rede begeistert. Er fordert weniger Regulierung und die Bebauung von Freiflächen wie dem Tempelhofer Feld. Er warnt: „Wir haben in Deutschland eine rechtspopulistische Bedrohung, die eminent gefährlich ist. Aber es gibt auch einen Linkspopulismus in Deutschland, der einfache Antworten auf komplizierte Fragen gibt und für jedes Problem schnell einen Sündenbock zu Hand hat. Und genau das vergiftet auch das gesellschaftspolitische Klima.“ Lindner fordert, den Vergesellschaftungsparagrafen 15 im Grundgesetz zu streichen. „Bauen statt Klauen!“, ruft er und klagt, es werde die Axt ans Privateigentum gelegt, die wirtschaftliche Freiheit beschnitten. Applaus.

Zum Abschluss hat Lindner noch eine Botschaft: „Ich will Sie ermuntern, nicht defensiv zu werden!“, ruft er, bevor er die Bühne verlässt. Darauf lässt sich anstoßen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

Benjamin Knödler

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