Kein schöner Welt

Natur Jedediah Purdy zeigt in „Die Welt und wir“, wie eine räuberische Politik den Planeten verändert
Ausgabe 42/2020
Die Geschichte, die er erzählt, ist die der Aneignung der Erde ebenso wie die des Raubbaus an der Natur – sei es durch umweltverschmutzende Chemikalien, sei es durch die Wunden, die der moderne Bergbau reißt
Die Geschichte, die er erzählt, ist die der Aneignung der Erde ebenso wie die des Raubbaus an der Natur – sei es durch umweltverschmutzende Chemikalien, sei es durch die Wunden, die der moderne Bergbau reißt

Foto: Norberto Duarte/AFP/Getty Images

Im Herbst 2016, nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, stößt der Jura-Professor und Autor Jedediah Purdy auf Zeilen von Henry David Thoreau: „Ich habe den letzten Monat (...) in dem Gefühl gelebt, einen riesigen und unbestimmten Verlust erlitten zu haben. (…) Schließlich wurde mir klar, dass das, was ich verloren hatte, mein Land war.“ Thoreau schrieb dies 1854 in sein Tagebuch, empört vom Unrecht der Sklaverei in den USA. Selbst Thoreau, der nicht nur für zivilen Ungehorsam, sondern auch den Rückzug in die Natur steht, kann nur festhalten: „Was bedeutet die Schönheit der Natur, wenn die Menschen niederträchtig sind?“

In diesen Sätzen Thoreaus stecken gleich mehrere Anknüpfungspunkte, auf die sich Jedediah Purdy in seinem Essay Die Welt und wir. Politik im Anthropozän bezieht. Da ist zum einen die Verzweiflung über eine verrohte Welt, die sich im Jahr 2016 in der Wahl Trumps und der darin sichtbar werdenden Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft äußert. Zum anderen ist da aber auch der Bezug auf das Land im wörtlichen Sinne, auf die Erde, die Natur. So stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der politischen Zerrissenheit der USA auf der einen Seite und dem ökologischen Raubbau auf der anderen Seite. Und auch wenn Purdy selbst schreibt, es sei keine gänzlich neue Idee, dass sich das Verhältnis zur Natur und das Verhältnis zur Politik wechselseitig beeinflussten, so lohnt es sich doch, ihm zu folgen. Die Geschichte, die er erzählt, ist die der Aneignung der Erde ebenso wie die des Raubbaus an der Natur – sei es durch umweltverschmutzende Chemikalien, sei es durch die Wunden, die der moderne Bergbau reißt. Es sind die Folgen eines Systems, das per se ausbeuterisch ist, was sich entsprechend im politischen wie gesellschaftlichen Zusammenleben zeigt.

Hier werden Menschen deklassiert, vergessen – und Opfer der Folgen von Umweltzerstörung. Das hat etwa eine klassistische oder rassistische Komponente, wenn die Gegenden, in denen das Grundwasser oftmals von den Abfällen der Massentierhaltung kontaminiert ist, vor allem von armen, häufig nicht weißen Menschen bewohnt werden. Beispiele wie diese machen Purdys Analyse und Herangehensweise greifbar. Die Welt und wir ist voll von Schilderungen historischer und gegenwärtiger Begebenheiten, die unseren Umgang mit der Welt und die daraus resultierenden Folgen illustrieren und die Menschen greifbar machen – ebenso wie die Natur. Und es liest sich wie eine Hommage an Thoreau, wenn Purdy etwa die Landschaften der Appalachen beschreibt.

So wird das Buch zum Streifzug, der diverse Stränge aufmacht. Mitunter kann das etwas unübersichtlich sein, meistens regt es aber zum Weiterdenken an. Besonders spannend sind etwa die Einlassungen zur Infrastruktur, die der Mensch der Erde übergezogen hat wie eine zweite Haut: die Straßen, Stromtrassen und Häuser, mithin das, was als „Anthroposphäre“ bezeichnet werden könnte, ebenso wie etwa die ökonomischen Beziehungen. All das zeigt, dass Menschen abhängig voneinander sind.

In die Infrastruktur eingeschrieben sind auch die Ungleichheiten der Welt. Doch weil sie menschengemacht sind, müssen wir sie, so Purdy, „als grundsätzlich unserer Beurteilung unterworfen und revidierbar ansehen“. Geht es nach ihm, bedeutet dies, dass ein neues, ein wahres, „Commonwealth“ möglich ist. Mit großem Aufwand zwar, aber dennoch. Sodass am Ende eine Gesellschaft steht, in der niemand ausgebeutet oder entwürdigt wird – auch nicht die Natur – und in der die Tätigkeiten besonders wertgeschätzt werden, die dem Gemeinwohl dienen. Da ist es passend, dass sich in Die Welt und wir auch ein abgewandeltes Rosa-Luxemburg-Zitat findet: „Commonwealth oder Barbarei“.

Info

Die Welt und wir. Politik im Anthropozän Jedediah Purdy Frank Jakubzik (Übers.), Suhrkamp 2020, 187 S., 18 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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