Mehr Chlorgeist wagen

Soziotop Immer mehr Schwimmbäder machen dicht. Im Sommer 2018 ist das eine besonders schlechte Nachricht. Denn im Freibad begegnet sich die Gesellschaft als Gesellschaft
Ausgabe 31/2018
Freibäder sind ein Zuschussgeschäft, doch das sollte es uns wert sein
Freibäder sind ein Zuschussgeschäft, doch das sollte es uns wert sein

Foto: Teutopress/Imago

Spike Lee hat im Jahr 1989 einen Film gemacht, den er als ein Statement gegen den Rassismus in den USA verstand: Do the Right Thing handelt – vordergründig und grob zusammengefasst – davon, wie unter dem Einfluss brüllender Hitze in einer Nachbarschaft in Brooklyn, die bis dahin irgendwie funktioniert hat, Konflikte innerhalb eines Tages eskalieren. Noch bevor es zum großen Knall kommt, zapfen die Bewohner der Straße die Hydranten an. Sie sind ein Ventil, an deren Fontäne sich Kinder und Jugendliche abkühlen.

In Deutschland gehen selten Hydranten hoch, stattdessen gibt es Freibäder – zumindest noch. Kürzlich berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, dass die Zahl der öffentlichen Schwimmbäder drastisch sinkt. Waren es im Jahr 2000 noch 6.716, sind es heute nur noch knapp 6.000. Laut Tagesschau wurden in Deutschland allein im vergangenen Jahr 175 Schwimmbäder geschlossen, darunter 62 Freibäder. Für die Kommunen ist der Kostendruck oft zu hoch, der Bund betrachtet die Förderung nicht wirklich als seine Aufgabe. Freibäder sind ein Zuschussgeschäft, doch das sollte es uns wert sein. Der gegenwärtige Zustand ist jedenfalls ein gesellschaftliches Problem. Dies gilt insbesondere in diesem heißen Sommer, der von Debatten über Rassismus in Deutschland und die Identität der Gesellschaft als einer multikulturellen geprägt ist.

Das Schwimmbad ist ein Ort mit Geschichte. Die reicht weit zurück – im Grunde bis in die Antike, doch die Freibäder von heute versprühen vor allem den ästhetischen Charme der 1950er bis 1980er Jahre. Waschbeton, das sonnenverblichene Bunt der Wasserrutschen, eine atemberaubende Farbgebung bei Kachelung und Kabinentüren. Nicht zu vergessen der obligatorische Kiosk mit Wassereis und Pommes, deren Untergang qua Kartoffelpreissteigerung vor Kurzem übereilig prognostiziert wurde.

Pommes weg, Freibad weg – Nachtigall, ick hör dir trapsen. Geht es hier wieder einmal Heimat und Identität an den Kragen? Wer mit diesen Kategorien etwas anfangen kann, könnte sich diese Frage stellen. Dabei sollte er bei aller baulichen Reminiszenz jedoch nicht an die Bäder von einst denken – was allerdings leider allzu viele Menschen hierzulande zu tun scheinen. Denn was auf dem Spiel steht, ist vielmehr das Schwimmbad als ein Soziotop, an dem die Menschen sich wie kaum woanders als Gleiche begegnen. So sind die Bäder heute multikulturelle Orte – einer ebensolchen Gesellschaft entsprechend. Die Kacheln, Rutschen und Sprungtürme sind geblieben, doch sie werden neu angeeignet, anders belebt.

In Berliner Schwimmbädern treffen sich heute alteingesessene Berliner, Einwanderer und deren Kinder und Enkelkinder – oftmals längst mit deutschem Pass – sowie Hipster. Es begegnen sich Yuppies und Familien, die sich keine Urlaubsreise leisten können. Die Betonung liegt dabei auf: Begegnung. Natürlich gibt es Konflikte, aber anders als bei Debatten in den sozialen Medien, begegnet man sich persönlich. Das kann schon einen Unterschied machen und ist – so scheint es – derzeit nötiger denn je.

Die Hydranten in Do the Right Thing haben einen direkten Rassismusbezug: Die Tatsache, dass Afroamerikanern der Zutritt zu Stränden oder Pools verwehrt war, führte zu den Unruhen, die Stadtregierungen installierten daraufhin Sprinkleraufsätze auf den Hydranten. Statt solch eines Ausschlusses bieten die kommunalen Schwimmbäder Raum für echten Austausch, sie sollten nicht aufgegeben werden. Schon dafür hätte sich die Hitze dieses Sommers gelohnt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

Benjamin Knödler

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden