Wohnen ist immer noch ein Menschenrecht

Kapitalismus Verdrängung, Zwangsräumungen, unbezahlbare Mieten. Eine Dokumentation will die Mechanismen beleuchten, die Städte für viele unbewohnbar machen

Undichte Fenster, Androhung von Zwangsräumung, Mieterhöhungen, Verdrängung. Es sind die Zutaten, aus denen die Geschichten gemacht sind, die man in diesen Zeiten allzu oft hört, wenn es um steigende Mieten in den Städten geht, während zugleich teure Mikroapartments oder Luxuswohnungen gebaut werden. In Deutschland, aber auch überall sonst auf der Welt – in Valparaíso, in Uppsala, in Toronto, in Barcelona. In Städten rund um den Globus zeigen sich die Symptome eines Systems, das für einen Großteil der Menschen offensichtlich dysfunktional ist.

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Dieses System zu beleuchten, „dem Geschehen einen Namen geben“, wie Regisseur Fredrik Gertten es sagt, ist das Ziel des aktuell in den Kinos laufenden Films Push. Er begleitet Leilani Farha bei ihrem Kampf für ein Menschenrecht, denn Farha ist UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen. Sie hat einiges zu tun, denn die Entwicklung ist schon längst alarmierend. Was auch in Deutschland immer mehr Menschen auf die Straße treibt, was zu Initiativen und Protesten führt, ist ein globales Problem.

Das machen auch einige Zahlen deutlich: Der Wert aller Immobilien weltweit, die als Vermögenswerte gehandelt werden, liegt in Summe bei 217 Billionen Dollar. Das ist mehr als das globale Bruttoinlandsprodukt aller Länder der Welt. In Toronto und Umgebung sind die Immobilienpreise in den letzten 30 Jahren um 425 Prozent gestiegen, das durchschnittliche Familieneinkommen hingegen nur um 133 Prozent. Das betrifft vor allem arme Menschen, – „arme Menschen haben es heute so schwer wie noch nie”, sagt Leilani Farha – zunehmend aber auch die Mittelschicht. Die konkreten Beispiele finden sich auf der ganzen Welt. Da ist etwa der Bewohner eines Wohnblocks im New Yorker Stadtteil Harlem. Das Haus ist von einem Investor gekauft worden, jetzt wird die Miete um 900 Dollar pro Wohnung erhöht – kaum bezahlbar, eigentlich unbezahlbar für Menschen wie ihn. Was mehr oder weniger zwangsläufig in die Frage mündet, die man in vielen Städten derzeit hört: „Wo soll ich denn sonst hin?“

Dass eine Wohnung in einem Wohnblock in Harlem oder in einer Sozialbausiedlung in Uppsala plötzlich schier unbezahlbar werden, ist mehr als bloß die Konsequenz von Gentrifizierung, wie die Soziologin Saskia Sassen klar benennt. Es ist Resultat eines veränderten Verständnisses dessen, wozu Häuser eigentlich da sein sollten. Sie sind Vermögenswerte geworden, Spekulationsobjekte, Geldanlagen. Mieter und Bewohner, stören da eher.

Am Ende stirbt die Stadt als Ort der Diversität

Und so entstehen Luxusapartments, gläserne, gesichtslose Hochhaustürme – für die oftmals alte, gewachsene Strukturen weichen müssen –, werden bereits bestehende Häuser für zig Millionen aufgekauft, um dann leer zu stehen. In einer Szene führt ein Mann durch ein Londoner Nobelviertel. Die Häuser hier haben zwischen 20 und 50 Millionen Pfund gekostet. Doch die Gegend, in der, so erinnert sich der Mann, einst Zeitungsstände, Kneipen und ein paar Restaurants waren – mithin eine lebendige Stadt –, ist heute wie ausgestorben.

Das ist eine weitere Erkenntnis, die Push deutlich herausstellt. Neben den Einzelschicksalen (die im Film zuweilen etwas oberflächlich geschildert werden, man würde gerne mehr über die jeweiligen Menschen erfahren) werden Städte zunehmend ihres Essenz beraubt. Ihres Trubels, ihrer Vielschichtigkeit, der Möglichkeit, Begegnungsstätten zu sein, an denen alle ihren Platz finden. Stattdessen werden sie zu Orten, an denen es vorwiegend ums Geschäft großer Konzerne geht. Das gilt nicht nur für Immobilieninvestoren, sondern auch für andere Bereiche: Statt beim Café um die Ecke kann man sein Geld bald nur noch bei Konzernen wie Starbucks lassen. Die Austauschbarkeit dieser Orte, sie fügt sich perfekt ein in die leb- und gesichtslosen Fassaden.

„Dafür braucht man eine globale Finanzkrise“

Das hat schon etwas sinnbildliches, denn auch diejenigen, die mit all dem viel Geld verdienen, sind schwer zu greifen. UN-Sonderberichterstatterin Leilani Farha möchte mit Jonathan Gray sprechen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen ist er Leiter der Immobiliensparte der Blackstone Group, einem der großen Player. Das Unternehmen selbst bezeichnet sich als die größte Immobilien-Beteiligungsgesellschaft der Welt. In Schweden etwa ist Blackstone seit 2014 in aktiv. Vier Jahre später ist der Konzern der größte Eigentümer von Sozialwohnungen im Land. Ein anderer großer Markt sind Einfamilienhäuser. 50.000 soll Blackstone besitzen. Wie man 50.000 Einfamilienhäuser finde, wird Gray bei einer Podiumsdiskussion gefragt. „Dafür braucht man eine globale Finanzkrise“, entgegnet er. Da stellen sich tatsächlich ein paar Fragen. Doch das Gespräch zwischen Farha und Gray kommt nie zustande, Blackstone sagt ab.

Dafür redet Farha den Vertretern eines südkoreanischen Pensionsfonds ins Gewissen, der in Immobilienprojekte investiert, für die Menschen zwangsgeräumt wurden. Und sie treibt das Projekt “The Shift” voran, ein Zusammenschluss von Städten aus aller Welt, der Antworten auf dieses fundamentale Problem finden will. Es sind kleine Erfolgsmomente in einem zermürbendem Kampf. Denn bei den nationalen Regierungen, die eigentlich verantwortlich wären, das Recht auf Wohnen durchzusetzen, scheint Farha nur schwer durchzudringen – ebenso wie bei einigen ihrer Kollegen: Als Farha in einem großen UN-Saal über die gegenwärtige Misere spricht, sind viele der Anwesenden im Plenum eher mit ihrem Handy beschäftigt, ein Mann im Auditorium sucht im Netz nach teuren Uhren.

Szenen wie diese sorgen dafür, dass Push nicht unbedingt Hoffnung macht, sondern vielmehr wütend. Weil er wenigstens eine Idee davon vermittelt, wie ungezügelter Kapitalismus, die Verödung vieler Städte und vor allem die Not vieler Stadtbewohner auf der ganzen Welt zusammenhängen. Es ist ein Zustand – und das ist die Botschaft, die immer wieder betont wird –, der fundamentale Rechte angreift – überall auf der Welt. Denn Wohnen ist keine Ware wie jede andere, Wohnen ist ein Menschenrecht.

Push Fredrik Gertten Schweden 2019, 92 Minuten

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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