Jedes Jahr um diese Zeit werde ich mit einer meiner Schwächen konfrontiert: Ich kann mich nicht gut von Dingen trennen. Mir fällt das immer beim obligatorischen „Frühjahrsputz“ auf. Ich weiß nicht, wie es Ihnen da geht. Bei mir in der Wohnung haben sich über die Jahre mehrere Kisten Krams angesammelt. Da verstaubt dann Münzgeld aus dem Ausland neben einer Ballpumpe oder einer schon vor Jahren stehen gebliebenen Uhr. Und wenn diese Kartons überhandnehmen, dann schleppt man sie in den Keller, zu all dem anderen Gerümpel, das dort lagert.
Eigentlich sollte der Ratschlag sein: Halten Sie sich fern von Kisten und Kellern! Sie bringen nur Verdruss. Aber wenn Frühjahrsputz ansteht, dann weiß man es besser. Dann sagt man sich übermotiviert: So, jetzt sortiere ich das. Ordnung muss her. Und da steht man dann und fragt sich: Was tun?
Ich habe mich dieses Jahr für einen positiven Ansatz entschieden und mir gesagt: Am Ende sind das Kisten voller Geschichten. Denn was sich so an gesellschaftlichen Fragen und Phänomenen hinter banalen Dingen verbirgt, haben gleich mehrere Podcasts erkundet.
Zum Beispiel Die Sache ist die …, ein Podcast aus der Zündfunk-Redaktion von Bayern 2. Einmal pro Woche besuchen Reporter:innen die Podcast-Hosts Ann-Kathrin Mittelstraß und Caro Matzko mit einem Gegenstand im Gepäck. Anhand dessen werden dann „die gesellschaftlich relevanten und popkulturellen Geschichten“ dahinter erzählt. Da wird etwa die Yoga-Matte zum Symbol für Selbstoptimierung in der Leistungsgesellschaft oder das Revival der Audio-Kassette Ausgangspunkt, um über Musik und Originalität in Zeiten von Big Data nachzudenken. Auf einmal ist der ganze alte Kram eben kein Ärgernis mehr, sondern Anregung. So muss man das nämlich sehen. Kram ist auch nur ein Mindset.
Ein Highlight ist die Doppelfolge zum Moog-Synthesizer, die zu einem Ritt durch die beeindruckende Biografie des Dirigenten und Musikers Eberhard Schoener wird. So führt beinahe jede Folge zu einem Aha-Moment, nach dem man anders auf die Dinge schaut. Einziger Wermutstropfen: Zuweilen geraten die Objekte selbst arg in den Hintergrund. Dann wird die Sache eher zur konstruierten Einleitung für ein theoretisches Gespräch. Das bleibt zwar interessant, doch das besondere Etwas, das die Annäherung über die Gegenstände mit sich bringt, fehlt.
Wie die Verbindung zwischen Objekt und gesellschaftlichen Fragen perfekt funktioniert, ist bei der sechsteiligen Podcast-Serie Monobloc zu hören, in der Journalist Hauke Wendler den berühmtesten Plastikstuhl der Welt aus allen Perspektiven erkundet. Gerade jetzt, wo man sich wieder öfter im Freibad, an der Imbissbude oder am Minigolfplatz auf diesem Stuhl niederlässt, lohnt es sich, den Podcast zu hören.
Und auch in den USA schaut ein Podcast ganz genau auf die Dinge der Welt: In 99% Invisible widmet sich Host Roman Mars Design und Architektur und der Frage, wie sie unser Leben beeinflussen. In aufwendig erzählten Folgen voller O-Töne und Atmo wird beispielsweise die Vuvuzela zum Ausgangspunkt, um über Kolonialgeschichte, den Blick des Nordens auf den Süden und die Verquickung von Fußball und Minenarbeitern zu sprechen. Hörenswert ist auch die Folge über die Gesellschaftsgeschichte der Zimmerpflanze.
Apropos Pflanzen. Ich habe das Chaos des vergangenen Jahres dann doch recht schnell in die Kiste gestopft. Nächstes Jahr werden all die Dinge Andenken sein. Statt auszumisten, habe ich mich darangemacht, den Balkon zu bepflanzen. Das gehört nämlich auch in diese Zeit.
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