Während des ersten Lockdowns machte bei Twitter ein Running Gag die Runde: Nicht mehr lange, dann habe – angesichts der schier endlos verfügbaren Zeit und unseres wenig befriedigten Sendungsbewusstseins – bald mehr oder weniger jede*r einen eigenen Podcast. Das war zuerst ein bisschen witzig, irgendwann war es ermüdend.
Trotzdem ist da was dran. Schon seit einigen Jahren ist ein Hype entstanden, Prominente, Medienhäuser, Stiftungen, Firmen werfen immer mehr Podcasts auf den Markt. Ich persönlich bin hin- und hergerissen. Einerseits ist an neuen Formaten erst einmal nichts verkehrt. Andererseits ist da die Sorge, dass der sehr spezielle Zauber der Podcastwelt verloren geht, wenn immer mehr große Akteure mitmischen.
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich meine ersten Podcasts abonniert habe. Es dürfte 2015 gewesen sein. Das war die dritte Welle – und ich im Grunde Spätzünder. Die erste Welle, Podcast-Urgestein Tim Pritlove hat das mal nachgezeichnet, setzte um das Jahr 2005 ein, als iTunes erstmals die Möglichkeit anbot, Podcasts zu abonnieren. Die zweite Welle folgte etwa von 2008 bis 2011 – dank der Smartphones und immer schnellerem Internet. Und dann eben die dritte Welle, nicht zuletzt angetrieben durch den Erfolg in den USA.
Es mag an dieser stufenweisen Entwicklung liegen, dem gemeinsamen Entdecken und Weiterentwickeln, dass sich die Podcastszene immer noch stark ihren szenigen Charakter bewahrt hat. Es gab und gibt Nerds und Techies, die Podcastplayer, Alternativen zu Skype oder von und für Podcaster*innen optimierte Schnittprogramme entwickeln, oftmals gegen Spende – wenn überhaupt. Sendegate, ein Forum für Podcaster*innen, ist eines der entspanntesten und freundlichsten Foren, die ich im Netz kenne. Wer hier fragt, dem wird geholfen. All das hat dazu geführt, dass man heute leichter denn je einfach ausprobieren, rumspinnen, loslegen kann, was eben auch bedeutet, dass potenziell jede*r gehört werden kann. Das Versprechen des Internets von einst – hier wird es noch gelebt.
Klar, was dabei herauskommt, ist nicht immer ein Hörgenuss, den Begriff „Laberpodcast“ gibt es nicht umsonst. Aber das ist auch das Schöne: Anfangen kann jede*r. Und so entstehen echte Besonderheiten. Zum Beispiel der Podcast Zeitsprung – Geschichten aus der Geschichte mit inzwischen über 260 Folgen. Die Historiker Daniel Meßner und Richard Hemmer erzählen sich immer im Wechsel Woche für Woche eine Anekdote. Mal geht es um die Geschichte des Oxford English Dictionary, mal um den Straw Hat Riot in New York.
Mein Einstieg war der Fußballpodcast Rasenfunk. Dort bietet der Moderator Max-Jacob Ost einen Sportjournalismus, den es so wohl nur im Podcast geben kann. Ausführlich, kritisch und mit vielfältigen Gästen spricht er regelmäßig über die Bundesliga-Spieltage oder führt stundenlange Interviews zu Fußballthemen. Auf diese Weise bin ich auf eine ganze Reihe von Podcasts aufmerksam geworden. Weil es beim Rasenfunk nicht nur zum guten Ton gehört, auch andere Podcasts zu empfehlen, sondern weil viele der Gäste ihrerseits Podcasts haben. Podcasts wie etwa FRÜF – Frauen reden über Fußball. Die Idee stammt von Rebecca Görmann und Kristell Gnahm, inzwischen spricht hier ein ganzes Kollektiv von Frauen über Fußball. Ein überfälliges Projekt! Dass es das endlich gibt, hat, denke ich, viel mit der Offenheit der Podcastszene zu tun. Davon bitte gerne mehr.
Kommentare 2
Bei mir persönlich – obwohl ich nachgerade **stark** netzaffin bin – war die Reaktion bislang stets: kalt. Reingehört habe ich in diverse Formate immer wieder (und tue das gelegentlich bis heute). Das Attribut »Laber-Podcast« scheint mir allerdings auf mindestens 98 Prozent der einschlägigen Produktionen zuzutreffen.
Elchtests: eben mit dem Geschichts-Podcast »Zeitsprung«. Thematisch durchaus eine interessante Sache. Deren Inhalte – in redigierter, gekürzter und thematisch gestraffter Form – jedoch, meine Meinung, weitaus besser in einem Buch aufgehoben wären. Ein weiteres Negativbeispiel ist meines Erachtens der »Rote-Brause«-Blog beim ND. Ich glaube, der Kardinalfehler dieser Formate ist das verströmte Wohnzimmerfeeling. Die Macherinnen und Macher vergessen fast stetig, dass – idealiter – nicht nur die eigene Fancloud angesprochen werden soll, sondern doch ein etwas breiteres Publikum.
Nicht ganz verstehe ich (in dem Punkt vielleicht doch nicht rückhaltlos »netzaffin«), was den Unterschied zwischen Podcasts und gut gemachten Radiofeatures ausmachen soll. Öffentlich-Rechtliche bieten in dem Bereich ebenso massig Nischen wie freie Radio-Projekte, von denen es immer noch eine gute Reihe gibt. Okay – der Do-it-yourself-Gedanke ist sympathisch. Wenn letztlich dabei jedoch nicht viel mehr rumkommt als alternative Varianten von Katzenfotos, dann frage ich mich schon, was an dem ganzen Unternehmen so fortschrittlich sein soll. (Gilt meines Erachtens ebenso für Rezo und den Rest der Influencer-Szene auf YT. Aber vielleicht bin ich für das Alles entweder zu alt oder eben zu altbildungsbürgerlich drauf.)
Lieber Richard Zietz, das mag schon stimmen, dass es viele Podcasts gibt, die vor allem auf das Gespräch abzielen. Das liegt sicherlich auch daran, dass Podcasts in Deutschland (noch) nicht das große Geld anziehen. In den USA, wo Podcasts – finanziell betrachtet – in ganz anderen Sphären unterwegs sind, finden sich auch andere Produktionen. Die sind ohne Zeit und Geld aber nicht so leicht zu stemmen wie ein Gespräch. Ich persönlich empfinde die Wohnzimmer-Atmosphäre häufig auch als angenehm. Nicht zuletzt, weil ich glaube, dass in diesem einigermaßen geschützten Raum auch viele gute Ideen entstehen – und umgesetzt werden. Wobei ich zustimmen würden, dass ich das vor allem bei der „freien Podcastszene“ als sympatische empfinde. Im Idealfall wird das dann aber auch zum Ideentreiber für größere Medien. Das finde ich ohnehin einen wichtigen Aspekt: das die „freie Podcastszene“ immer wieder neue Ideen einbringt – gepaart auch mit technologischen Weiterentwicklungen. Ein beachtlichter Teil der Podcast-Infrastruktur, die es heute gibt und die einen niedrigschwelligen Zugang zum Medium ermöglicht, ist eben auch dieser „Szene“ zu verdanken. Oder, wie es die Podcast-Produzentin Maria Lorenz neulich mal drüben bei Twitter geschrieben hat: „Die großen Brandmoneycashunternehmen, die sich nun Podcastgeldbadewannen einlassen, können sich bei allen tollen privaten Podcastpionieren bedanken, die so hartnäckig-liebevoll über Jahre eine Basis an Wissen & Technik aufgebaut haben. Jetzt mitzumachen ist dank denen einfach“.
Und ja, selbst Radiofan, wäre ich bei Ihnen in der Einschätzung, dass die deutschsprachige Radiolandschaft enorme inhaltliche Vielfalt bietet. Aber ich würde schon sagen, dass bestimmte Perspektiven (zu) wenig vertreten sind. Das bietet die freie Podcast-Szene – auf einem qualitativ immer besser werdenden Niveau (gerade auch technisch. Gute Mikros werden erschwinglicher, remote-Aufnahmen besser, etc.). PS: Ich erinnere mich an Ihren Dolly Parton Blogbeitrag. An den musste ich denken, als ich diesen Podcast im Frühjahr gehört habe: https://www.wnycstudios.org/podcasts/dolly-partons-america