Party im Kabuff

Unverhoffte Freude Ein Vorhang, ein futuristischer Sessel, eine Ein-Quadratmeter-Zelle und die starrende Linse – fertig ist die Laube

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Party im Kabuff

Foto: bennyk

Nur mal eines vorneweg. Ich finde Sicherheit schon ziemlich gut. Ist doch angenehm. Und damit meine ich nicht tausende Kameras, die einen verfolgen oder unverhältnismäßig strenge Vorschriften oder biometrische Passbilder. Nein, ich meine dieses Gefühl der Geborgenheit. Zu wissen wo man hingehört und wie es morgen weitergeht. So in etwa das, was bei der Maslowschen Bedürfnispyramide auf dem Weg zum "Glück" des Menschen das Etikett Sicherheit trägt, und ein ziemlich basales Element ist.

Ich glaube nicht, dass es die Sicherheit sonderlich erhöht, wenn meine Passbilder biometrisch sind, es kostet höchstens Arbeitsplätze in der Verwaltung. Darum habe ich auch keine Lust auf diese Chose. Doch man kommt trotzdem nicht drum herum und nach sieben Jahren ist es eben mal wieder Zeit für einen neuen Pass. Beim letzten Mal saß ich im Hinterzimmer eines kleinen Krämerladens und der arme Mann musste sich verrenken, um mich in die gesetzlich vorgeschriebenen Formen zu pressen.

Doch heute nicht. Heute macht das der Automat am Bahnhof Friedrichstraße. Futuristischer Sessel (orange beleuchtet like a glühend Erdball) in der obligatorisch winzigen Zelle, ein Minivorhang schützt mich vor der Außenwelt. Eine Stimme nuschelt. Anweisungen, ich solle mich gerade hinsetzen. Auf dem Display erscheint ein Portrait meiner selbst, ein Ei, in das mein Kopf reinpassen soll und ein Balken. „Die Augen müssen im Balken liegen“ nuschelt die Stimme. Ich kann nur ahnen, was sie sagt, gerade fährt oben ein Regionalzug ein. Ich hoffe, ich habe sie richtig verstanden. Der Balken rahmt mein Kinn ein. Gerade so höre ich noch, dass man per Knopf die Kamera noch weiter nach oben fahren kann. Jetzt ist immerhin schon meine Nase dort, wo eigentlich die Augen sein sollten. Na immerhin. Die geforderte aufrechte Haltung kann ich trotzdem vergessen. Ich sacke in mich zusammen und bekomme gleich schiefe Schultern. Nun hänge ich also recht krumm herum und höre mir die weiteren Vorschriften an. Nicht lachen, nichts runzeln, ganz neutral sein. Kopf in den Kreis (Ja wie denn?, frage ich mich. Mit Ohren im Kreis oder nicht? - Selbstredend erhalte ich keine Antwort), keinen Hut, kein Kind, keine Brille. Es saust der Kopf vor Vorschriften und ich merke, dass ich nun schon eine Weile verharre, die Luft anhalte auf weitere leise Befehle warte. Die kommen nicht und irgendwann lese ich: hier drücken. Der Auslöser. Ich müsste mich hinunterbeugen, doch sobald ich mich auch nur ein wenig bewege, ist meine gesamte Biometrie-Statik dahin. Kann man vollkommen vergessen. Außerdem muss ich dazu nach unten schauen. Ist natürlich nicht erlaubt. Also versuche ich blind den Auslöser zu treffen, steche wild und erfolglos auf dem Display herum und beginne es ziemlich witzig zu finden. Irgendwann spickel ich doch einmal ganz schnell nach unten, treffe den Auslöser, reiße hektisch meine Kopf wieder in die Biometrische Pose – und der Countdown beginnt. Hätte die Stimme mir das nicht früher sagen können? Und dann muss es man auch erst mal schaffen, drei Sekunden ruhig zu halten, wenn man es wirklich muss. Schlimmste Familienfest-Gruppenfoto-Erinnerungen werden wach. Während ich mich selbst verspannt und verstört da starren sehe habe ich innerlich ziemlich großen Spaß. Bei "eins" reiße ich meine Augen extra weit auf.

Heraus kommt ein Bild bei dem ich unglaublich böse und gefährlich aussehe.

Zwei Versuche habe ich noch. Beim einen bin ich schräg und lächele unerlaubterweise, beim dritten ist mein Kopf zu klein. Ich feiere in meinem Kabuff meine ganz persönliche one-man-show. Ich bin mein Publikum. Das reicht. Sonst wäre es mir wahrscheinlich peinlich. Vielleicht wundert sich draußen jemand, ich kriege es nicht mit, dem Vorhang sei Dank.

Nach dem dritten Versuch ist der Spaß leider vorbei und ich muss mich entscheiden. Es wird das erste Bild, das gefährliche. Ich finde, dass ich wirklich furchteinflößend aussehe. Sicherheit? Vermittelt das Bild nicht. Eher eine, von mir ausgehende unmittelbare Bedrohung. Aber vielleicht ist das ja der Plan. Alle Welt misstrauisch machen. Wenn einer meinen neuen Ausweis sieht, dann nimmt der mich direkt fest oder lässt mich durch keine Schleuse am Flughafen. So könnte es gedacht sein. Lieber auf Nummer sicher gehen. Vielleicht ist es auch ganz anders. Vielleicht ist das einfach staatlich verordneter Selbstschutz. Egal welcher Gefahr ich mal begegnen sollte. Ich zeige einfach meinen Ausweis und die Gefahr ergreift die Flucht, wie der Teufel beim Weihwasser oder der Vampir beim Knoblauch. Wie auch immer. Ich habe was ich brauche.

Nachdem ich wieder völlig hilflos auf dem Bildschirm herumgedrückt und vergeblich auf die rettende Stimme aus dem Off gewartet habe (und sei sie noch so leise) gelingt es mir doch irgendwie zu bezahlen. Ich winde mich aus dem Kasten und bin fast ein bisschen traurig, dass der Spaß jetzt schon vorbei ist.

Als die Fotos ausgedruckt sind, überwiegt die Freude am Erlebten die Furcht bei meinem eigenen Anblick. Was für ein Potential in diesem Foto-Hüttchen steckt. Man muss die Bilder ja nicht kaufen. Man kann seine drei Versuche verbraten, ein wenig Spaß haben und danach wieder gehen. Vergesst die Typisch-Berlin-Schwarz-Weiß-Fotoautomaten, macht doch lieber mal was biomtrisches. Der Spaßfaktor ist riesig! Auf dem Heimweg lache ich. Vielleicht machen die biometrischen Fotos die Welt nicht sicherer, dafür aber froher.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

Benjamin Knödler

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