Innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings, da ist rote Zone – so zeigt es die interaktive Karte der Initiative Mietenwatch –, da ist für viele kein Platz mehr. Die Berliner Innenstadt ist exklusiv – im wörtlichen wie schlechtesten Sinne: Sie schließt viele aus. Zumindest, wenn man von der gängigen Definition einer „leistbaren“ Wohnung ausgeht, deren Gesamtmiete nicht mehr als 30 Prozent des Netto-Haushaltseinkommens übersteigt.
Zu diesem Ergebnis kommt Mietenwatch, nachdem die Gruppe um Tilman Miraß, der sonst im Peng-Kollektiv aktiv ist, in den vergangenen knapp 18 Monate die Daten von etwa 80.000 Wohnungsinseraten im Netz ausgewertet hat. Für dieses Projekt wurde die Initiative auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die so erhobenen Daten machen das Gefühl vieler Mieterinnen und Mieter in Berlin, Wohnen würden unbezahlbar, auf erschreckende Weise anschaulich – und widersprechen all jenen, die noch allen Ernstes behaupten, der Mietmarkt regele das. Außer der sukzessiven Verdrängung, so scheint es, regelt er überhaupt nichts.
In Berlin liegt das Durchschnitts-Nettoeinkommen eines Single-Haushalts laut Mikrozensus von 2016 bei monatlich 1.375 Euro. Damit waren laut Mietenwatch 4,4 Prozent aller angebotenen Wohnungen „leistbar“ – wohlgemerkt in ganz Berlin, inklusive der Randbezirke. Innerhalb des S-Bahn-Rings konnte sich ein Single mit Nettoeinkommen gerade einmal ein Prozent aller angebotenen Wohnungen leisten.
Besonders hart trifft es Fünf-Personen-Haushalte. Mit ihrem durchschnittlichen Haushaltseinkommen von 3.000 Euro netto konnten sie sich ein Prozent aller angebotenen Wohnungen mit mindestens fünf Zimmern leisten. Wer dennoch umziehen muss oder will, aber nicht mehr Miete Zahlen kann, muss mit weniger Platz auskommen. Ein Vier-Personen-Haushalt kann sich den Berechnungen zufolge mit einem Durchschnittseinkommen noch 63,4 Quadratmeter leisten.
Dass die Stadt für Durchschnittsverdiener inzwischen kaum noch erschwinglich ist, ist alarmierend. Doch nach wie vor treffen die steigenden Mieten vor allem diejenigen, die ohnehin schon wenig haben. Kürzlich erklärte die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion, dass 2018 546.000 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften eine höhere Miete hatten, als Jobcenter zu zahlen bereit war. Pro Jahr machte das bei den Betroffenen Mehrkosten von durchschnittlich 948 Euro. Ähnlich sieht es in Berlin aus. So würde das Jobcenter für einen Bedarfsgemeinschaft mit zwei Personen berlinweit gerade einmal für 8 Prozent der in Frage kommenden Wohnungen die Miete übernehmen. Was also bleibt, als bei der nächsten Mieterhöhung aus der eigenen Tasche draufzuzahlen, solange es irgendwie geht? Denn andernfalls droht die Verdrängung. So macht Wohnen arm – und Armut irgendwann einsam. So sieht es aus, wenn Städte mit jeder Neuvermietung über den freien Markt ein bisschen homogener werden, wenn Orte, die einst sinnbildlich für Begegnung waren, ihre soziale Durchmischung verlieren.
Besonders private Vermieter machen Kasse
Was für Gering- und Durchschnittsverdiener zur alltäglichen Belastung geworden ist, ist für Vermieter ein gutes Geschäft. „Wir wollten untersuchen, welche Akteure von der gegenwärtigen Wohnungskrise profitieren, wie sie ihr Geld machen und wie bisherige mietpolitische Maßnahmen (nicht) wirken“, sagt Olivia Blanke, Sprecherin des Projekts.
Zu diesen großen Vermietern in Berlin zählen bei weitem nicht nur private Wohnungsunternehmen. Auch städtische Wohnungsbaugesellschaften wie Degewo oder Gewobag gehörten zu den Anbietern, die in den vergangenen 18 Monaten viele Anzeigen geschaltet haben. Sie alle verlangten Kaltmieten von über 10 Euro pro Quadratmeter – Nebenkosten waren da noch gar nicht mit eingerechnet. Unterschiede gibt es dennoch: Die teuersten Anbieter sind privatwirtschaftliche Konzerne. So verlangte das Unternehmen Akelius laut Untersuchungen im Schnitt über 20 Euro Nettokaltmiete. Ein Versehen ist das nicht. „Es ist nicht unsere Aufgabe, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, erklärte Akelius-Chef Ralf Spann im Streitgespräch mit Andrej Holm in der taz.
Wen kümmert schon die Mietpreisbremse?
War da nicht was? Feiert sich die SPD nicht immer wieder selbst für ihre Mietpreisbremse? Sie sollte es besser lassen, denn 92,4 Prozent der in Berlin angebotenen Wohnungen waren teurer als die Mietpreisbremse erlaubte. Der Einwand, man könne ja auch nachträglich gegen zu hohe Mieten vorgehen, ist angesichts der Situation etwas lahm. Wer will sich schon mit seinem Vermieter anlegen, wenn doch nur die nächste teuere Wohnung wartet?
Natürlich könnte man argumentieren, dass der Preise für Neuvermietungen nur einen Teil der Situation abbilden, dass es ganz so tragisch eben nicht sei. Immerhin liegen die Bestandsmieten in Berlin 2018 bei 6,92 Euro pro Quadratmeter. Doch das würde außer Acht lassen, dass mit steigenden Angebotsmieten auch der Mietspiegel, der ohnehin in vielen Fällen überschritten wird, immer weiter steigt. Vor allem aber sieht Sprecherin Olivia Blanke eine große Gefahr in der Entkopplung von Neu- und Bestandsmiete: „Der Anreiz, Mieterinnen und Mieter loszuwerden, ist dann einfach enorm hoch.”
Also was tun? Die Aktivisten von Mietenwatch fordern sowohl einen Mietendeckel, der auch Mietsenkungen vorsieht, als auch die Enteignung nach dem Modell der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen. Beides würde die Mieten senken, die Stadt würde auch für Durchschnittsverdiener wieder erschwinglich.
Man hört der Berliner Politik und die Wohnungswirtschaft schon im Einklang aufschreien. Denn weder die Enteignung noch ein wirklich strenger Mietendeckel steht bei ihnen sonderlich hoch im Kurs. Berlins Bürgermeister Müller, dessen Partei den Mietendeckel einst als Antwort auf die Enteignungsforderungen ins Spiel brachte, rudert dieser Tage immer weiter zurück. Anfang der Woche berichtete die taz über Pläne der Immobilienlobby, eine 1,6 Millionen Euro teure Kampagne gegen den Mietendeckel zu starten. Zugleich sprießen die Initiativen, die „Bauen statt Deckeln“ fordern, nur so aus dem Boden.
Dass Neubau das einzige sei, was helfe, hält Olivia Blanke für einen Mythos: „Wohnungen, die zwischen 2010 und 2019 von privaten Anbietern gebaut wurden, wurden für eine durchschnittliche Nettokaltmiete von 19,85 € pro Quadratmeter angeboten. Neben Mietendeckel und Enteignung großer privater Wohnugskonzerne braucht es darum sozialen Wohnungsbau zu günstigen Preisen.“
Wie das gehen könnte? Zum Beispiel, indem man wieder ernsthaft über Maßnahmen wie eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit diskutiert – oder echte Investitionsoffensiven in sozialen Wohnungsbau. All das sind große Schritte, aber die aktuelle Situation erfordert einschneidende Maßnahmen. Denn eine Stadt wie Berlin sollte nicht zur No-Go-Area für Durschnittsverdiener werden. Das kann niemand wollen, nicht einmal die, die sich die Wohnungen noch leisten können. London oder Paris sind mahnende Beispiele dafür, dass es auch sie als nächstes treffen könnte. Und so hat die Mietenwatch-Auswertung das Zeug dazu, auch die „Mitte“ entlang einer der zentralen sozialen Fragen zu radikalisieren und für rigorose Maßnahmen wie Mietendeckel oder Enteignung zu interessieren. Um sie wird es gehen, wenn in den kommenden Wochen die Diskussionen und Kampagnen rund um den Mietendeckel wieder Fahrt aufnehmen werden.
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