Sorry, nächstes Mal

Soziale Medien Die Bitte um Entschuldigung ist eine in Vergessenheit geratene Kulturtechnik geworden
Ausgabe 24/2019
Words don't come easy
Words don't come easy

Foto: Imago Images

Dass etwas selten vorkommt, merkt man manchmal erst, wenn es einmal passiert. Und manchmal sind es sogar nur zwei Worte, die dann überraschen. „Entschuldigt bitte“ zum Beispiel. Urheber dieser – bei Twitter eher seltenen – Zeile ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter. Grund für seine öffentliche Reue hat, wie könnte es dieser Tage anders sein, mit Youtuber Rezo zu tun. „#Rezo arbeitet für einen großen Werbekonzern und gab keine Privatmeinung kund, warum hat er das nicht ehrlich gesagt in seiner wortreichen Kaskade!? Klasse“, hatte Kiesewetter vergangenes Wochenende getwittert und damit insinuiert, Rezos Zerstörer-Video entspringe keiner fairen Recherche, sondern sei kommerziell initiiert, also nicht objektiv.

Der Schönheitsfehler: Das Video, auf das Kiesewetter seine Anklage stützte, stammt vom Youtuber Actuarium, der auf seinem Blog mitunter auch antisemitische und homophobe Äußerungen in die Welt bläst. Obendrein gab seine „Recherche” mitnichten her, dass Rezo nicht seine Privatmeinung kundgetan habe. Was Kiesewetter und andere, wie etwa den FAZ-Journalisten Jasper von Altenbockum nicht daran hinderte, das Video zu verbreiten.

Es wäre schön, wenn allein das zum medialen Aufreger taugte. Tut es aber nicht, denn es geschieht unerfreulich oft. Bemerkenswert ist hingegen Kiesewetters Entschuldigung: „Ich habe einen großen Fehler gemacht, indem ich ungeprüft ein Video teilte, das offensichtlich falsch war. Nächstes Mal recherchiere ich erst, bevor ich etwas teile. Danke für die konstruktive Kritik!“

Kein Aussitzen, keine Rechtfertigungen, kein Verweis darauf, einfach nur fürchterlich missverstanden worden zu sein, keine Kritik an der Kritik. Man muss nun kein erklärter Fan von Kiesewetter oder seiner Partei zu sein, um anzuerkennen, dass eine solche Reaktion außergewöhnlich ist.

Denn die uneingeschränkte Entschuldigung ist ein Stilmittel, das in der digitalen Öffentlichkeit leider nur selten gepflegt wird. Das hat sicherlich auch mit dem Medium selbst zu tun. Wo Aufregung und die damit verbundene Aufmerksamkeit harte Währungen sind, scheinen viele zu glauben, mit dem Eingeständnis eines Fehlers und der aufrichtigen Entschuldigung nicht punkten zu können. Stattdessen gilt der Gegenangriff, das Weiterdrehen der Aufregungsspirale als probates Mittel. Wer kritisiert wird, der relativiert maximal seine Äußerung im Sinne der PR oder stilisiert sich wortreich als Opfer. Das funktioniert häufig ja auch, denn im Netz finden sich meist immer noch genügend Unterstützer.

Was die tatsächliche Entschuldigung davon unterscheidet, hat die US-amerikanische Journalistin Nancy Updike kürzlich im Podcast This American Life auf den Punkt gebracht. Der sich Entschuldigende entscheidet sich dafür, das eigene Wohlbefinden für jemand anderen hintanzustellen. Dass das gerade im digitalen Diskurs erfrischend ist, zeigen die vielen positiven und anerkennenden Reaktionen auf Kiesewetter – auch von Rezo selbst, der die Entschuldigung angenommen hat. Wo Kommunikation ist, gibt es Empfänger und Sender. Es ist beruhigend festzustellen, dass auch im viel gescholtenen Netz Menschen einander Anerkennung zuteil werden lassen, die sehr unterschiedlicher Meinung sind.

Denn natürlich bedeutet all das nicht, dass man Kiesewetter nun auf ein Podest heben muss. Die Kritik an seinem Tweet war völlig berechtigt, vermutlich wird es wieder einmal Grund geben, ihn zu kritisieren. Den Streit im Netz wird es immer geben. Wenn man sich aber im Zweifel auf so etwas wie tatsächliche Entschuldigungen einigen kann, wird daraus vielleicht noch häufiger eine Debatte, die den Namen verdient.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

Benjamin Knödler

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden