Von Werten vernebelt?

Positionierung Häufig wird so getan, als sei kritischer, sorgfältiger Journalismus nur dann möglich, wenn Journalisten sich nicht von ihren Werten leiten lassen. Das stimmt nicht
Ausgabe 39/2018
Sinnbild einer Glaubwürdigkeitskrise. Doch es gibt Auswege – zum Beispiel, indem Journalisten ihre Werte transparent machen
Sinnbild einer Glaubwürdigkeitskrise. Doch es gibt Auswege – zum Beispiel, indem Journalisten ihre Werte transparent machen

Foto: imago/IPON

Gefühlt befindet sich der Journalismus in einer Dauerkrise. Erst schien sie rein wirtschaftlich, seit geraumer Zeit kommt eine Glaubwürdigkeitskrise hinzu. „Systempresse“, „Lügenpresse“, „Mainstream-Medien“ sind Schlagworte, die Journalisten wahlweise als Beschimpfung oder als Herausforderung verstehen. Zu den klügeren Reaktionen auf diese Krise zählt, was Zeit und Zeit Online jetzt unternommen haben: Man hat sich Redaktionsleitlinien gegeben und sie – der Transparenz wegen – kürzlich im hauseigenen Blog veröffentlicht.

Sie umfassen zehn Punkte, die gut, vielleicht etwas gratismutig erscheinen und unter anderem das Ziel formulieren, die plurale Gesellschaft sowohl in der Autorenschaft als auch in der Themenwahl zu berücksichtigen. Man will gründlich recherchieren, skeptisch gegenüber Konformismus sein, unabhängig, unvoreingenommen und unerschrocken. Ein weiterer Punkt: „Unser Journalismus hat keine festgelegte Linie, aber einen Standort. Er ist liberal, ideologiekritisch, weltoffen, unverrückbar demokratisch und sozial. Eine nachhaltige und friedliche Entwicklung der Welt ist uns wichtig.“

Die Passage ist bemerkenswert, ist doch einer der beliebtesten Vorwürfe gegenüber Journalisten, dass deren persönliche Werte kritische Berichterstattung geradezu vernebeln. Solche Kritik mündet meist in der Forderung nach möglichst lupenreiner Objektivität. Pate muss immer der ehemalige Tagesthemen-Sprecher Hajo Friedrichs stehen, dessen Ausspruch, man dürfe sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten, jedem Journalisten früher oder später einmal unter die Nase gerieben wird. Fakt ist: Friedrichs antwortete damals auf die Frage, wie man es schafft, beim Verlesen von Unglücksmeldungen gefasst zu bleiben. Dass er eine Haltung dazu, was man berichtet, grundsätzlich habe verdammen wollen, gehört ins Reich der alternativen Fakten.

Aber stellt es wirklich keinen Widerspruch dar, kritischen, objektiven Journalismus machen wollen, der zugleich von bestimmten Werten geleitet ist? Nein, denn in Zeiten von Rechtspopulisten im Bundestag und rechtsradikalen Ausschreitungen auf den Straßen stellt sich nicht nur die Frage nach Berichterstattung im wörtlichen Sinn, sondern auch nach den Werten, auf deren Grundlage man auf die Bedrohung der Demokratie reagiert. Der Radiojournalist René Aguigah sagte kürzlich bei Deutschlandfunk Kultur, es sei an der Zeit, wieder Haltung in die Waagschale zu werfen. Er bezog sich dabei auf die Ereignisse von Chemnitz, aber was er sagt, gilt auch darüber hinaus. Werte stehen nicht im Gegensatz zu Sorgfalt und Faktentreue. Ein solcher Gegensatz ist konstruiert. Wer Werte hat, dem ist es in aller Regel trotzdem ein Anliegen, fair zu sein und nichts Falsches zu berichten. Manche Menschen zählen das – es ist ja kaum zu glauben – sogar zu den eigenen Werten.

Natürlich beeinflusst Haltung den Grundton eines Artikels. Warum sollte man sie nicht offen zur Schau stellen? Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit riet deshalb jetzt: „Zuzugeben wäre also: Wir sind eine (...) Presse mit ganz bestimmten Werten; und sind damit in den Augen derer, die diese Werte ablehnen und bekämpfen ganz selbstverständlich Lügenpresse. Danke für das Kompliment!“ Folgt man dem, dann ist das Bekenntnis zu Werten eine Antwort auf die Glaubwürdigkeitskrise. Das A und O ist also Transparenz. Aber ist nicht auch die ein Wert, auf den sich alle Journalisten einigen können?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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