Wer nicht bremst, verliert

Mieten Die SPD gibt in einer der zentralen sozialen Fragen klein bei. Wieder einmal. Dabei hätte hier sogar Symbolpolitik geholfen
Hier geht es um die zentrale soziale Frage unserer Zeit
Hier geht es um die zentrale soziale Frage unserer Zeit

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Eine Erkenntnis geht um unter Sozialdemokraten: Mieten sind die soziale Frage unserer Zeit. So hat es Andrea Nahles konstatiert, ebenso Katharina Barley. Das war im vergangenen Mai. Zwei Monate später, im Juli 2018, zeigt sich, wie die SPD „die soziale Frage der Zeit“ anzugehen gedenkt: mit – inzwischen zu einer Art Markenzeichen gewordener – sozialpolitischer Anspruchslosigkeit. Denn letztlich ist der Kampf gegen steigende Mieten genau das: eine sozialpolitische Aufgabe.

Vergangene Woche hat Justizministerin Barley den überarbeiteten Referentenentwurf zur Ergänzung der Mietpreisbremse vorgelegt. Die vorherige, erste Fassung hatte zwar einige Verschärfungen vorgesehen, die dringend notwendige Bremse hatte das Justizministerium aber schon damals nicht gefunden. Die nun veröffentlichte Fassung ist im Vergleich dazu ein Rückschritt. Lukas Siebenkotten, Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), erklärte dann auch: „Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zu einem Mietrechtsanpassungsgesetz ist enttäuschend und bleibt deutlich hinter unseren Forderungen und den Erwartungen von mehr als 40 Millionen Mieterinnen und Mietern zurück.“ Es handele sich allenfalls um einen „Papiertiger“ – eine Charakterisierung, mit der die Mietpreisbremse inzwischen fast schon gewohnheitsmäßig beschrieben wird.

Die zentralen Verschärfungen sind schnell erklärt. Künftig sollen Vermieter schon vor Vertragsunterzeichnung die Höhe der Vormiete angeben müssen und es soll Mietern leichter möglich sein, sich gegen unrechtmäßig hohe Mieten zu wehren. Das gezielte „Herausmodernisieren“ soll mit Geldstrafen von bis zu 100.000 Euro belegt werden und reguläre Modernisierungsmaßnahmen sollen nur noch zu acht Prozent jährlich auf die Miete umgelegt werden können – bisher waren elf Prozent erlaubt. Allerdings darf die Miete innerhalb von sechs Jahren maximal um drei Euro pro Quadratmeter steigen.

Eingeknickt vor der Union

Ein großer Wurf ist das nicht. Denn auch wenn die Vormiete nun bekannt ist, gelten Ausnahmen weiterhin. Wenn etwa schon der Vormieter zu viel bezahlt hat, darf es dabei bleiben. Zumal der erleichterte Widerspruch nichts an den bestehenden Abhängigkeiten ändert, die viele Mieter im Zweifel lieber den Mund halten lassen. Wer will sich schon gerne mit einem Vermieter anlegen, der einem anschließend das Leben schwer machen kann? Die 100.000 Euro Strafe werden, so vermutet es der DMB, nur selten verhängt werden – zu schwer ist bewusstes „Herausmodernisieren“ nachzuweisen. Eingeknickt ist die SPD jedoch vor allem bei der Modernisierungsumlage. Hatten die acht Prozent im ersten Entwurf noch flächendeckend gelten sollen, sind sie nun auf rund 340 Städte und Gemeinden beschränkt, in denen der Wohnungsmarkt als besonders angespannt gilt. So sehen Kompromisse mit der Union aus. Der DMB rechnet ohnehin mit ganz anderen Zahlen. Er fordert, dass maximal vier Prozent umgelegt werden können, höchstens aber 1,50 Euro mehr pro Quadratmeter.

„Offensichtlich kann sich die SPD nicht gegenüber ihren Koalitionspartnern durchsetzen“, konstatierte Lukas Siebenkotten vom DMB. „CDU/CSU blockieren – wie schon in der letzten Legislaturperiode – alle Versuche, das Mietrecht zu verbessern, wirksame Regelungen gegen drastische Mietpreissteigerungen zu schaffen.“ Tatsächlich ist die Union mit dem nun vorgelegten Entwurf im Großen und Ganzen zufrieden – ebenso wie der Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Wer auf faire Mieten hofft, bei dem sollten da die Alarmglocken schrillen.

Selbst Symbolpolitik bekommt die SPD nicht hin

Aber ist das Einknicken nicht verkraftbar? Dass die Mietpreisbremse dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht beikommen wird, ist schon lange klar, da hilft nur Neubau. Doch auch wenn die Mietpreisbremse allenfalls eine fatale Entwicklung verlangsamt, hätte es der SPD gut zu Gesicht gestanden, vehementer für eine härtere Verschärfung zu kämpfen. Doch selbst Symbolpolitik scheint die Partei derzeit nicht mehr auf die Reihe zu kriegen. Dabei schien der Zeitpunkt nach Wochen des Unionsstreits günstig. Hätte die SPD für ihre Zustimmung zum Unionskompromiss – „Transitzentren“ inklusive – nicht etwas mehr fordern können? Sie hat es offensichtlich nicht getan. Man muss sich schon fragen, wie es sein kann, dass CDU und CSU auch nach dem schäbigen Bild, das sie in den vergangenen Wochen abgegeben haben, ihren Koalitionspartner derart vor sich her treiben.

Und so hat es die SPD wieder einmal verpasst, das eigene Profil zu schärfen. Einerseits als eine sozial engagierte Partei – was zwar keine wirkliche Neuigkeit, angesichts der guten Chancen, sich dieses Mal durchzusetzen, allerdings besonders bitter ist. Andererseits als Partei, die den derzeitigen von rechts geprägten Diskurs aufbrechen kann.

Davon hätte die Gesellschaft als Ganzes profitiert. Dass ein Land gefühlt nur noch über die Begrenzung von Zuwanderung, Rechtmäßigkeit von Asyl und allen Ernstes auch über die Legitimität des Ertrinkenlassens von Flüchtenden debattiert, ist beängstignd und gefährlich. Dieser Status Quo resultiert unter anderem daraus, dass andere Themen auch und gerade in der politischen Debatte kaum noch vorzukommen scheinen. Andere Inhalte positiv zu setzen – zum Beispiel zunächst durch eine wirklich verschärfte Mietpreisbremse –, hätte da auch bedeuten können, dem Rechtsruck in der Debatte eine andere Agenda entgegenzusetzen.

Es gilt, ein Thema offensiv anzugehen

Mitstreiter hätte die SPD dabei sicher gefunden. Laut dem ARD-DeutschlandTREND im Juli meinen 56 Prozent der Befragten, das Thema „Asyl und Flüchtlinge“ nehme in der politischen Auseinandersetzung zu viel Raum ein. 70 Prozent der Befragten glauben hingegen, dass die Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu wenig vorkomme. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt derzeit in einem Rechercheprojekt die Folgen eines aus den Fugen geratenen Mietmarktes: Eine alleinerziehende Mutter, die die gewohnte Wohnung nur dank einer Untermieterin halten kann. Eine 32-jährige, berufstätige Frau, die noch bei ihrer Mutter lebt, weil sie seit drei Jahren erfolglos eine Wohnung sucht, die sie sich leisten kann. Es sind Geschichten, die belegen, dass die Frage bezahlbarer Wohnungen uns alle angeht, uns alle betreffen kann. Kleiner Tipp an die SPD: Hier ist ein Thema zu besetzen.

Eine erste Chance ist jetzt vertan. Nun sind es nicht die Sozialdemokraten, die Horst Seehofer damit vor sich hertreiben, dass er seinen Beitrag zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums nicht leistet. Denn dazu, das glaubwürdig tun zu können, würde es gehören, auch selbst die Initiative zu ergreifen. Mit dem bloßen Erkennen einer sozialen Frage ist es nicht getan. Man muss sie auch beantworten wollen.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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