Monopoly heißt das berühmte Kapitalismusspiel, Caren Lays Buch Wohnopoly spielt natürlich darauf an. Die Linkenpolitikerin erklärt, warum alte Mythen politische Eingriffe in den Mietmarkt immer wieder verhindern. Dass die explodierenden Energiepreise jetzt für viele nicht mehr zu stemmen sind, liege nicht zuletzt an der Mietenkrise.
der Freitag: Frau Lay, ausgerechnet Konrad Adenauer bescheinigen Sie in Ihrem Buch, dass er nach heutigen Maßstäben fast schon Sozialist wäre. Wie kommt er zu dieser Ehre?
Caren Lay: Das war sicherlich nicht meine Absicht, hat sich aber im Laufe der Recherchen zur Geschichte der Wohnungspolitik in der BRD so ergeben. Viele der Instrumente, die wir heute bräuchten, waren schon mal da – zum Beispiel eine Mietpreisr
trumente, die wir heute bräuchten, waren schon mal da – zum Beispiel eine Mietpreisregulierung. Die gab es schon seit der Weimarer Republik und bis in die 1960er-Jahre hinein. Die Mietpreise konnten sich nicht wie heute frei am Markt entfalten, sondern wurden gesetzlich reguliert. Konrad Adenauer hatte Angst vor der Abschaffung der Mietregulierung, weil die Menschen Wohnungsnot erlebt hatten und er darum den Druck der Mieter:innen fürchtete.Warum sollte die Mietenregulierung überhaupt abgeschafft werden?Der damalige Bauminister Paul Lücke hat das durchgesetzt. Überhaupt hat er die Liberalisierung des Wohnungsmarktes betrieben und damit die Grundpfeiler für all das eingerammt, was bis heute gilt. Die Abschaffung der Mietenregulierung geschah im Interesse und in Absprache mit den Haus- und Grundbesitzern. Adenauer war dagegen skeptisch. Mit so einer Haltung würde man heute direkt zum „Sozialisten“ erklärt. Es wäre linke Politik.Klingt so, als würde „früher war alles besser“ in Sachen Mieten wirklich gelten. Was ist denn seitdem schiefgelaufen?Sie meinen, ich habe fast ein konservatives Buch geschrieben? (lacht) Das wird die Immobilien-Lobby anders sehen. Aber es stimmt: Früher hat eine regulierte Marktwirtschaft einfach zu mehr Wohlergehen von größeren Bevölkerungsgruppen beigetragen. Und man muss schon würdigen, was in den 50er- und 60er-Jahren für eine enorme Aufbauarbeit geleistet worden ist. In relativ kurzer Zeit hatten die Menschen wieder ein Dach über dem Kopf, das Wirtschaftswunder war auch ein Wohnungswunder. Das habe ich auch bei meinen Großeltern erlebt: Armen Menschen ist der Aufstieg in die Mittelschicht leichter gelungen, weil die Wohnung eben keine Ware, sondern Teil der Daseinsvorsorge war. Und trotzdem gab es auch früher schon große Probleme auf dem Wohnungsmarkt. Diskriminierung der Armen durch sogenannte Schlichthäuser zum Beispiel. Oder Wohnsilos am Stadtrand. Mir geht es also nicht um einen romantisierenden Blick zurück. Ich will vor allem zeigen, dass das, was heute getan werden müsste – beispielsweise eine Mietpreisregulierung, die Wiedereinführung einer Gemeinnützigkeit, eine Wiederbelebung des Genossenschaftswesens –, keine „linksradikalen Spinnereien“ sind.Gibt es diese öffentliche Stimmung gegen Eingriffe in den Mietmarkt denn wirklich? Inzwischen sagen Politiker:innen aller Parteien, Wohnen sei „die soziale Frage unserer Zeit“.Vor zwölf Jahren habe ich als Bundesgeschäftsführerin der Linkspartei das erste Mal eine „mietenpolitische Offensive“ gefordert. Damals galt das als Spinnerei. Seitdem hat das Thema ziemlich Konjunktur bekommen – bis irgendwann selbst der damalige Bauminister Horst Seehofer das Wohnen zur „sozialen Frage unserer Zeit“ erklärt hat. Heute sagt das eigentlich jeder ernst zu nehmende Politiker. Ich habe mich dann gefragt, warum da nichts passiert.Placeholder infobox-2Und warum passiert nichts?Das hat einerseits mit Ängsten, falschen Leitbildern und Mythen zu tun. Seit den 60er-Jahren spielt zum Beispiel das Versprechen auf ein Eigenheim eine zentrale Rolle. Das wurde immer wieder als Argument gegen eine Marktintervention zugunsten der Mieter:innen aufgegriffen. Es werden Ängste geschürt, dass der Sozialismus eingeführt und Oma Elses Häuschen enteignet würde. Es wird der Mythos bedient, dass Investoren die Guten sind, weil sie – anders als die Kommunen – das Geld und die Planungskapazitäten haben. Neben diesen Fehlannahmen spielt aber vor allem die einflussreiche Immobilienlobby eine sehr zentrale Rolle.Sie nennen in Ihrem Buch bemerkenswerte Zahlen. Demnach gibt es in Berlin 144 hauptamtliche Immobilien-Lobbyisten, die ein Budget von über acht Millionen Euro haben. Die Bau- oder die Finanzlobby sind dabei noch gar nicht mitgezählt. Wie kommt man an solche Zahlen?Lange Zeit gab es in Deutschland kein Lobbyregister. Das hat sich nach den zahlreichen Maskenaffären, die sich vor allem die CDU geleistet hat, geändert. Dieses Register habe ich ausgewertet und bin auf die erschreckenden Zahlen gekommen. Diese Leute schaffen eine Bubble, in der sich die politische Klasse bewegt.Wie macht die Lobby das?Da werden Studien, Gutachten und Argumentationshilfen zu aktuellen Fragen erstellt. Politiker:innen werden aber auch hofiert – durch Auftritte bei Podiumsdiskussionen, durch gesetzte Abendessen oder parlamentarische Frühstücke in teuren Hotels im Regierungsviertel. All das dient dazu, bestimmte Argumente zu platzieren – nur eben nicht aus Sicht der Mieter:innen, sondern aus Sicht der Immobilienwirtschaft. Es ist ganz schwierig, sich als Politiker:in von diesem Framing nicht vereinnahmen zu lassen und den eigenen politischen Kurs zu halten.Nehmen Sie an diesen Veranstaltungen teil?Als ich als Abgeordnete angefangen habe, war ich jeden Abend hier auf irgendwelchen Veranstaltungen. Durch erfahrenere Abgeordnete habe ich dann aber gelernt, dass es so nicht läuft, sondern dass es eigentlich immer darum geht, bestimmte Botschaften zu platzieren. Ich bin dann auch nach ein paar schlechten Erfahrungen mit meinen politischen Positionen ferngeblieben. Teilweise wurde ich zwar eingeladen, aber es ging nur darum, mir ein Tribunal zu bereiten oder mir zu erklären, dass ich es nicht verstanden hätte.Können Sie verstehen, dass Politiker:innen einknicken?Mal ein Beispiel: Vonovia ist sehr aktiv im Lobbyismus. Zu einer dieser Veranstaltungen des Konzerns bin ich hingegangen – und habe gleich gemerkt, dass es für eine gewisse Verwunderung sorgte. Vor allem habe ich aber beobachtet, wie Abgeordnete – auch solche, die zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurden – umgarnt wurden. Es funktioniert sehr viel über Freundlichkeit. Da werden nicht einfach platt Geldscheine rübergeschoben, sondern es geht um Anerkennung. Ein Lob von einem wichtigen Verbandschef oder vom Vonovia-Chef, das ist doch wunderbar.Im Vergleich dazu sehen Sie die Lobby der Mieter:innen eher schwach und benennen das in Ihrem Buch deutlich. Aus dem Mund einer Linken-Politikerin klingt das etwas überraschend ...Ich bin selbst Mitglied im Deutschen Mieterbund und sehe mich als Teil der Mieten-Bewegung. Gerade deswegen darf man die Augen vor den Strukturproblemen nicht verschließen. Mir geht es nicht darum, diese Gruppen zu kritisieren, sondern zu analysieren, warum man nicht durchdringt. Beim Deutschen Mieterbund ist es eindeutig. Dort arbeiten gerade einmal vier hauptamtliche Lobbyisten, die es mit 144 auf der anderen Seite zu tun haben. Und was die Mieten-Bewegung anbelangt, muss man das nüchtern sehen. Das ist eine der wundervollsten sozialen Bewegungen, die wir gerade haben, aktiv und sehr kreativ. Gleichwohl ist es schwierig, eine langfristige Beteiligung von Mieter:innen zu organisieren. Gerade das Positivbeispiel Berlin ist da ein Sonderfall.Was also tun?Wir müssen an einem Mitte-Unten-Bündnis arbeiten. Und da sind wir wieder bei den Mythen und Ängsten vor den Forderungen der Bewegung. Auf die müssen wir achtgeben. Denn wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir mehr werden. Und das geht nur, wenn wir auch mehr Unterstützung von den mittleren Einkommensschichten erhalten.Eine Schwierigkeit bei den Mietenprotesten ist, dass sich viele Menschen aus einer persönlichen Betroffenheit heraus engagieren. Wenn der Kampf ums eigene Haus dann vorbei ist, fehlt vielleicht oft die Energie, weiterzumachen. Wie kriegt man da den großen Knall hin?Ohne Druck von unten wird es tatsächlich keine Veränderung geben. Es gab ja auch schon vielversprechende Ansätze – Bündnisse mit Gewerkschaften und Sozialverbänden zum Beispiel. Da hat die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hoffe auch immer noch auf eine bundesweite Mietendemo. Ich habe in den Jahren als Bundestagsabgeordnete die Erfahrung gemacht, dass einige Entscheidungen und Veränderungen nur dadurch zustande gekommen sind, dass Menschen auf die Straße gingen. Die Novemberhilfen für Kulturschaffende während der Coronakrise hätte es ohne die Proteste der Betroffenen so vermutlich nicht gegeben. Auch die Anti-Masken-Proteste haben ja Erfolg gehabt – auch wenn das aus meiner Sicht Protest von der falschen Seite ist. Aber Druck von der Straße ist relevant und er sollte sich auch in Berlin im Regierungsviertel entladen, da gehört er hin.Warum dort?Es ist fast schon absurd, dass so wenig Druck von unten auf der Bundesebene ankommt. Es ist zwar verständlich, weil Menschen nun mal um ihr Haus oder gegen ihren Vermieter kämpfen oder sich mit ihren Stadträten auseinandersetzen. Aber die ganz großen Pfeiler der Wohnungspolitik, die werden im Bundestag von der Bundesregierung eingeschlagen.Die Linkspartei hat sich das Thema Mieten und Wohnen schon seit Jahren auf die Fahnen geschrieben. Eigentlich müsste die Partei damit doch viele Menschen ansprechen. Trotzdem haben Sie es vergangenes Jahr nur äußerst knapp wieder in den Bundestag geschafft. Warum klappt das nicht besser?Das ist eine Frage, die mich auch sehr beschäftigt. Einerseits müssten wir das Thema Mieten und Wohnungspolitik noch stärker in den Vordergrund stellen – und zwar nicht nur in Großstädten wie Berlin. Dabei gibt es selbst innerhalb der Linken manchmal noch Widerstände gegen den Ansatz, sich als Partei der Mieterinnen und Mieter aufzustellen. Das andere Problem liegt darin, dass vor den Wahlen auch andere Parteien das Thema plötzlich für sich entdeckten. Olaf Scholz hat sich als Kanzler für bezahlbares Wohnen präsentiert. Die Grünen haben zumindest nach außen hin signalisiert, dass sie den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ unterstützen würden. Umso tragischer ist es, dass im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel kaum Verbesserungen zugunsten der Mieterinnen stehen.Müsste die Linke in diesem Bereich vielleicht einfach noch „populistischer“ werden?Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl war das Thema Mieten durch den Berliner Mietendeckel bundesweit sehr prominent. Und erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist man in der Linken von diesem Thema wieder abgerückt. Da war man zu defensiv. Muss man also populistischer werden? Ich versuche das zu verbinden. Einerseits vertrete ich die Forderung, dass Wohnungen nicht an die Börse gehören und Konzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen auf dem Wohnungsmarkt nichts verloren haben. Darauf kann man mit Vergesellschaftung reagieren – oder mit Ausschluss dieser Konzerne aus dem Markt. Daneben muss man aber auch Vorschläge machen, die diese radikalen Forderungen mehrheitsfähig machen. Etwa die Wiederbelebung der Genossenschaften, ein Mitte-Unten-Bündnis und eine gewisse Vorsichtigkeit gegenüber den kleinen Eigentümer:innen.In Ihrer Partei wird derzeit viel über große Sozialproteste diskutiert – angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen. Das schreit doch fast nach einer Verbindung mit den Mietenprotesten.Ja, das muss man zusammen denken. Gäbe es noch ein Mietniveau wie vor 35 Jahren, wäre die Energiekrise für viele jetzt wohl nicht so existenziell. Die Mietenkrise ist in diesem Sinne die Grundlage für die aktuellen Sorgen.Placeholder infobox-1