Ost-Ukraine ist bombenreif

Anti-Terror-Einsatz Wir sind medial vorbereitet

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Zivile Proteste in Donezk

Mediale Diskrepanz

Anfang diesen Jahres begann ich, erstmals hier beim Freitag zu schreiben. Frohe Weihnachten aus Wolgograd! Ich hatte die Anschläge in Volgograd mit 35 Toten aus nächster Nähe mit erlebt und war betroffen, wie kurz, wie nachrangig und mit wie wenig Empathie in den Deutschen Medien über die Attentate berichtet wurde. Während uns Deutschen bei dem islamistischen Attentat in Boston 2013 mit zahlreichen Sondersendungen und persönlichen Leidensgeschichten Mitgefühl und Betroffenheit nahegelegt wurde, verweigerten fast alle Berichte aus Volgograd nicht nur Nähe und Empathie, sie zogen gar über mangelnde Russische Sicherheit vor Sochi 2014 her oder gaben den Russen gar die Schuld daran, dass sog. Freiheitskämpfer sie mit Bomben verfolgten. Damals argumentierten viele Foristen, dass Boston, die USA uns eben näher sei als das Russische Volgograd, und durch verbundene Werte mit den USA natürlicherweise eine grössere Empathie gegeben sei.

Doch in diesen Tagen wiederholt sich die beklagte, mediale Diskrepanz in ganz ähnlicher Art und Weise - bewegende, persönliche Maidan-Lebensgeschichten vs. unmenschlicher Kriegsberichterstattung über die Proteste aus dem Osten der Ukraine - aus ein und demselben Land.

Volksbewegung Maidan

Über Wochen und Monate konnten wir täglich stundenlange Berichte über die Proteste auf dem Maidan sehen, und uns in Dutzenden Interviews mit den Wünschen und Bedürfnissen zahlreicher einfacher Menschen, häufig Studentinnen, Mütter und Omas vertraut machen. Wir lernten ihre Sorgen und Nöte kennen, erfuhren von ihren Ängsten und warum sie dort auf dem Maidan standen und demonstrierten. Die Bilder Vermummter, bewaffneter Radikaler, tausender gewalttätiger Nazis rückten in den Hintergrund. Die zivilen Proteste standen im Vordergrund und deren Berechtigung wurde von zahlreichen Politikern und Experten immer wieder bestätigt. Wir lernten, der Maidan war nicht nur eine Stadt-Revolte, sondern eine friedliche, berechtigte und sympathische Bewegung des ganzen Ukrainischen Volkes. Dass die USA ganz offen Milliarden in den Aufstand gesteckt haben, dass wie 2004 auch OTPOR wieder geheimdienstlich beteiligt war, dass Soros oder US-Agenturen die PR für den Maidan bezahlen und steuern, wird verschwiegen. Ebenso der Besuch von CIA-Direktor Brennan, der sich am Samstag in Kiew mit zahlreichen Regierungs- und Sicherheitsvertretern beriet.

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Proteste in Slawjansk

Proteste in der Ost-Ukraine

In der Ost-Ukraine verfolgten die Menschen den Maidan-Aufstand mit kritischer Distanz. Auch sie waren von Janukowitsch enttäuscht und nicht bereit, für ihn und sein korruptes System auf die Strassen zu gehen. Zwar gab es von Anfang an viel Skepsis gegenüber der Maidan-Revolte, aber es gab nichts, wofür die Ost-Ukrainer auf die Strassen hätten gehen können.

Auch heute noch fehlt die positive Alternative, die die Ost-Ukrainer vereinigen könnte. 2/3 der pro-russischen Kräfte würden gerne in der Ukraine bleiben, erwarten aber Zugeständnisse in Fragen der (kulturellen) Autonomie und die Beendigung der Verfolgung ihrer Parteien und Anhänger. Nur etwa 1/3 unterstützt derzeit die von Besetzern und Protestierenden geforderte Sezession der Ost-Ukraine.

https://pbs.twimg.com/media/BlFte4TCIAAv1Tu.jpgTrotz der nur bedingten Unterstützung für die Separatisten, trotz der Gewalt-Androhung aus Kiew und trotz des Demonstrationsverbotes des Oligarchen Achmetow für seine 300.000 Arbeiter gingen an diesem Wochenende weit mehr als 100.000 Menschen in zahlreichen Städten der Ost-Ukraine auf die Strasse, in Donezk, Slawjansk, Mariupol, Enakijewo, Lugansk, Kramatorsk oder Drushkowa und protestierten gegen den Zentralismus und gegen die Unterdrückung ihrer Interessen und Anhänger durch die Regierung in Kiew. Viele Menschen sorgen sich um ihre politische und kulturelle Zukunft in einem einseitig und von Faschisten mit bestimmten Land - schließlich ist "Tod den Russen(schweinen)" seit Jahrzehnten der unverhohlene Kampfruf der Bandera-Anhänger. Doch sie sorgen sich - wie auf dem Maidan - auch um ihre wirtschaftliche Existenz. Die IWF-Bedingungen, auf die sich Kiew eingelassen hat, fordern eine Umstrukturierung der Industrie im Donbass, die zum Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze führen wird. Drei Millionen Ost-Ukrainer fürchten zudem um ihre Gast-Arbeitsplätze in RUS, wenn die Verbindungen dorthin gekappt werden, wenn tatsächlich Visa-Zwang eingeführt wird, wenn der Handel mit RUS, der fast 15% des Ukrainischen BIP ausmacht, tatsächlich eingeschränkt wird.

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Proteste in Donezk

"Russische" Destabilisierung in der Ost-Ukraine

Ähnlich wie auf dem Maidan gibt es unter den Protestierenden die Spitze der Bewaffneten und Vermummten. Ähnlich wie auf dem Maidan müssen diese Menschen mit Strafverfolgung rechnen, Tausende wurden bereits als Separatisten verhaftet. Und ähnlich wie auf dem Maidan besetzen sie Regierungsgebäude.

https://pbs.twimg.com/media/BlB_faKIYAAAe9w.jpgDoch obwohl sich zahlreiche Polizeikräfte den pro-russischen Kräften angeschlossen haben, obwohl Tausende Ex-Berkut Sondereinheiten und Ukrainische Militärs sich bewaffnet dem Protest anschlossen, ist für unsere Politiker und Medien klar, es sind Russische Soldaten wie auf der Krim und der ganze Protest ist von Moskau initiiert, bezahlt und gesteuert. Sicher ist die Russische Regierung durch ihre militärische Aggression auf der Krim selbst Schuld daran, dass sie so verdächtigt wird. Aber obwohl es im Gegensatz zum Maidan keine Beweise für ausländische Interventionen in der Ost-Ukraine gibt, wird dort der geamte Protest als ferngesteuert, gewalttätig und terroristisch diskreditiert. Und obwohl im Gegensatz zum Maidan kein einziger Russischer Politiker in der Ost-Ukraine auftritt, die Protestierenden ermutigt oder gar "mit offenen Armen aufnehmen will" wie das McCain oder Westerwelle als unser Aussenminister in Kiew getan haben, und obwohl Moskau die Botschaft an die Protestierenden richtet, RUS wolle keine Sezession der Ost-Ukraine, wird RUS Einmischung und Destabilisierung vorgeworfen. Die USA versuchen gar, RUS die Schuld an den Protesten zu geben.

http://i.lb.ua/033/61/534a2d7ea832d.jpegDie Menschen in der Ost-Ukraine haben laut unseren Medien quasi keinen eigenen Willen, ihre Proteste keine Rechtfertigung. Schlimmer noch, diese Menschen, ihre Ängste und Sorgen tauchen in unseren Medien erst gar nicht auf. Ihre Bilder und Stimmen werden totgeschwiegen, gezeigt werden nur bewaffnete Besetzer und sich prügelnde Demonstranten: unmenschliche Kriegsberichterstattung statt Aufklärung über eine Protestbewegung, die wie auf dem Maidan beginnt, Hunderttausende zu erfassen.

Zweierlei Maß

Auf dem Maidan galt das Besetzen von Regierungsgebäuden, Angriffe auf Polizei, das Bauen von Barrikaden als "zivilgesellschaftlicher Protest".

„Wir erwarten von der ukrainischen Regierung, dass sie die demokratischen Freiheiten – insbesondere die Möglichkeit zu friedlichen Demonstrationen – sichert, dass sie Leben schützt, dass Gewaltanwendung nicht stattfindet“, erklärte Angela Merkel am 22.1.14. Und fügte wenige Tage später an: "Alle Seiten müssten unverzüglich die Gewalt beenden und die vereinbarte Waffenruhe umsetzen. Die Hauptverantwortung dafür liege bei der Staatsführung."

Pläne Janukowitsch, die Besetzungen zu beenden, galten als Vorbereitung eines Massakers. Der Übergangspräsident Alexander Turtschinow droht heute nun mit einem Ultimatum und einem "groß angelegten Anti-Terror-Einsatz".

https://pbs.twimg.com/media/BlFfMZWIUAAORqU.jpgWeder sind von unseren Politikern oder Medien warnende Worte noch Aufrufe zur Mäßigung zu hören. Wie auch, schließlich geht es in der Ost-Ukraine nicht gegen Menschen, sondern nur gegen den "pro-russischen Mob" wie die ARD Tagesschau dieser Tage über Tausende Demonstranten vor dem Polizei-Hauptquartier in Donezk hetzte.

Wir sind medial vorbereitet.

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4 SPIEGEL-Bilder die den Protest in der Ost-Ukraine illustrieren:
3mal prorussische Milizen
1 mal pro-Maidan Demonstranten
0 mal pro-russische Demonstranten

Wir kennen jetzt beinahe jeden Milizionär, jeden Bewaffneten und Vermummten in der Ost-Ukraine. Wir wissen, dass sie von Moskau gesteuert und bezahlt sind, dass es gefährliche Terroristen sind. Wir kennen jede Maidan-Studentin und -Oma, haben ihre Bilder gesehen, von ihren Wünschen und Hoffnungen gelesen. In der Ost-Ukraine gibt es so etwas ja nicht, die Bilder und Videos Zehn-, Hundert-Tausender zivil Protestierender im Internet sind in unseren Medien nicht existent. Unsere Medien haben uns dieser Tage gelehrt: in der Ost-Ukraine gibt es keine Menschen, mit denen man Em- oder gar Sympathie haben bräuchte, nur gewaltbereite Separatisten und Terroristen.

Kiew darf nun die Nazi- äh Nationalgarde losschicken. Es würden schon die Richtigen getötet. Es bleibt zu hoffen, dass Kiew nicht von dieser medialen Propaganda-Vorlage Gebrauch macht, sondern mit den Menschen in der Ost-Ukraine verhandelt. Noch wollen 2/3 bei allen Ängsten und Sorgen gerne in der Ukraine bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

berlino1010

Russland-Versteher in Ausbildung

berlino1010

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