Russische Linke wünschen sich Maidan zurück

Ukraine Krise Ausgerechnet am 9. Mai lernte ich "Russische Linke Patrioten" kennen, die sich eine Reaktivierung der Maidan-Volksbewegungen gegen US- und RUS-Imperialismus wünschen

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Auf dem Maidan: Мир хатам, вiйна палацам
Die Welt (Friede) den Hütten, Krieg den Palästen

Linke distanzieren sich von nationaler Hysterie

Auch in Wolgograd wurde am 9. Mai mit einer festlichen Parade dem Sieg der sowjetischen Völker im großen vaterländischen Sieg gedacht. Ein Freund stellte mir auf der anschliessenden Feier einen jungen Studenten vor:

"Ja, wir sind das Volk, das die Faschisten besiegt hat", bekundete Dima noch ziemlich patriotisch. "Dennoch fühle ich mich den meisten Ukrainischen Maidan-Aktivisten näher, als unseren hysterischen Nationalisten."

http://anticapitalist.ru/assets/white/images/logo.gifDima bezeichnet sich als Sympathisant der Sozialistischen Bewegung Russlands Российского Социалистического Движения (РСД) , die sich im Gegensatz zu anderen Russischen sog. Linken, wie etwa der Linken Front oder den Kommunisten, auch in der Ukraine-Krise in scharfer Opposition zum Kreml befände.

"Was dieser Tage in der Ukraine passiert, ist monströs. Und die wichtigste Lektion, die wir aus dieser Tragödie zu lernen haben, ist, dass Nationalismus, gleich ob der von Bandera oder der pro-russische, ein tödliches Gift für jede Volksbewegung ist." beschreibt Ivan Ovsyannikov.

Meine Neugierde war geweckt, und so übersetzten und diskutierten wir gemeinsam die Texte der Russischen Bewegung zur Ukraine-Krise - anticapitalist.ru - u.a. auch von Jacob Yakovenko, einem sozialistischen (Pro-)Maidan- Aktivisten aus der Ukraine. Auch wenn teilweise ziemlich radikal, so überraschten die Berichte durch eine schlüssige, übernationale und überparteiliche Analyse der Ukraine-Krise.

Schärfer als von mir erwartet, verurteilten sie Putins Politik auf der Krim und in der Ukraine als imperialistisch und nationalistisch, fast mit westlichem Anti-Putin-Eifer. Sie betonten aber zugleich, dass die USA - NATO - EU schon systembedingt dem im Nichts nachstehen würden, von RUS allenfalls momentan überholt durch die grössere Bedeutung der Ukraine für RUS und durch Obama statt Bush .

"Es bringt doch nichts, die Politik des eigenen Landes zu beschönigen oder gar propagandistisch zu verteidigen. Es lassen sich immer irgendwelche fadenscheinige Gründe finden, aber die Wahrheit darf eben nicht 1. Opfer werden: Realistische Analyse der Wirklichkeit ist die erste Voraussetzung für ihre Transformation."

Und so entwickelten sich offene interessante Diskussionen und Standpunkte aus den verschiedenen Analysen und Betrachtungen. Alle Autoren versuchten dabei hart an der Wahrheit zu analysieren, gleich ob die Ergebnisse gewünscht oder hilfreich waren. Fast automatisch ergab es sich, die wesentlichen Thesen der jeweiligen Autoren, zusammenzufassen und in eine chronologische Abfolge der Ukraine-Krise zu stellen.


20 Thesen der imperialistischen Ukraine-Krise

1. Janukowitschs System war eine korrupte Feudal-Oligarchie, die mehr und mehr präsidialdiktatorische Züge zum Schaden des Volkes annahm.

http://www.vorarlbergernachrichten.at/2014/02/archivbild-janukowitsch-mit-kreml-chef-p-500x339.jpg2. RUS hat dieses System Janukowitschs gestützt. Der Wunsch des Maidan nach Hilfe durch die EU war u.a. auch ein Ausdruck der Furcht, eine weitere Annäherung an Moskau werde diese präsidialdiktatorische Züge noch verstärken.

3. Die EU-Assoziierungsverträge haben allerdings positive und notwendige Kooperationen mit RUS erschwert und auch militärische Verschärfungen beinhaltet.

4. Eine Ablehnung der EU-Öffnung und eine Festigung der Bindung zu RUS hätte aus Sicht des Maidan für die Ukraine die Festigung des präsidialdiktatorischen Systems Janukowitschs, der Korruption, fehlender Rechtsstaatlichkeit und weiterer Ausbeutung des Volkes bedeutet.

http://anticapitalist.ru/assets/components/phpthumbof/cache/etc_images%20(1).jpg.ecfbe02aa410465c66e5c5c5f251a5e3.png5. Der Maidan war eine soziale und basisdemokratische Volksbewegung, die die o.g. negative Entwicklung vor allem durch eine Annäherung an Europa verhindern wollte. Denn anders als in der „Orangenen Revolution“ von 2004, war das Volk äusserst argwöhnisch gegenüber allen eigenen parlamentarischen Kräften.

6. Die sog. Linke der UKR war zum einen durch die viel zu lange Bindung an Janukowitsch und zum anderen durch fehlende, glaubhafte Alternativen auf Veränderung selbst schuld, dass sie auf dem Maidan nicht Fuß fassen konnte.

7. Die Hinwendung des Maidan an die extreme Rechte wurde mit jedem Tag der Auseinandersetzung und mit jedem Toten grösser. Sie war aber keine ideologische, sondern eine, die aus Verzweiflung über die Ohnmacht friedlicher und dem Wunsch nach schlagkräftigeren Mitteln erfolgte.

8. Die intern. Friedensvereinbarungen einer Nationalen Regierung der Einheit hätten auch ohne Janukowitsch eingehalten werden müssen.

9. Die verfassungswidrige und gewalttätige Machtübernahme, die Repressionen gegen Oppositionelle, diskriminierende Maßnahmen und Beteiligung der Faschisten hat die Ost-Ukraine von abwartend auf protestierend gestellt. Zusammensetzung und politische Orientierungen der Übergangsregierung, die auf die Unterstützung der Westmächte bauen kann, sind dabei, die Ukraine explodieren zu lassen.

10. Die Intervention RUS auf der Krim war ein imperialistischer und nationalistischer Akt. Trotz unzweifelhafter Mehrheit beim Referendum war der ganze Prozeß der Krim-Unabhängigkeit kein Akt demokratischer Selbstbestimmung der Bevölkerung, sondern eine von Moskau gesteuerte imperialistische Fremdbestimmung, die Verletzung der Selbstbestimmung der Ukraine inkl. einer offenen Angriffsdrohung.

11. Die Einseitigkeit der Übergangsregierung, des unterstützenden Westens auf der einen Seite und der militärische Eingriff RUS auf der anderen Seite, haben aus einer protestierenden, eine ablehnende Ost-Ukraine gemacht, deren radikalste Kämpfer, die Seperatisten, sich durch RUS ermutigt fühlten.

12. Die USA haben in diesem Konflikt nichts zu suchen, ausser ihre eigenen imperialistischen Interessen.

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13. Den aggressiven Infiltrationen von USA und EU im Westen stellt RUS ihre symetrische Aggression „friedlicher Demonstrationen“ in der Ost-Ukraine entgegen.

14. Durch das Zutun beider Seiten wurde aus einer sozialen, demokratischen Volksbewegung mit der Chance auf inhaltliche Einheit und Entwicklung der gesamten Ukraine ("Die Welt den Hütten, Krieg den Palästen"), ein ethnischer, nationalistischer Konflikt, ein ukrainischer Bürgerkrieg mit ausländischer Fremdbestimmung. Nationalistische Extremisten haben auf beiden Seiten die Oberhand über den eigentlichen Volkswillen gewonnen, die faschistische Nationalgarde und die Minderheit radikaler Separatisten in der Ost-Ukraine.

15. Mit jedem Tag des Militäreinsatzes gegen das eigene Volk türmen sich die Barrikaden in der Ukraine immer weiter auf und die Gräben vertiefen sich. "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns" Es gibt nur noch entweder oder ... ein dritter Weg des Friedens zwischen den Völkers wird verhindert.

16. Bestimmende Gruppen in Kiew, der USA und Moskau haben alle Interessen an dieser Zuspitzung. Die USA schwächen und destabilisieren Europa, Kiew ergreift im nationalen Abwehrkampf die Macht, setzt seine pro-westliche bürgerlich-konservative Richtung um und platziert seine Oligarchen ohne jeden Widerstand. Moskau führt seinem Volk vor, dass jeder Wunsch nach Veränderungen in ein von der NATO und Faschisten bestimmtes Schreckens-Szenario mündet.

17. Die bestimmenden sozialen Kräfte der Volksmobilisierung auf dem Maidan und in der Ost-Ukraine, der Wunsch nach Sicherheit bzw. Verbesserung der eigenen Existenz, werden ins Gegenteil umgekehrt. Die sozialen Bedingungen der Völker verschlechtern sich soagr noch mehr. Die Menschen im Westen müssen die harten Bedingungen des IWF erdulden, der Osten und die Krim leiden unter den Verschärfungen des Krieges und einer Separation.

18. Die Verlierer sind die Völker der Ukraine und RUS. Die Forderungen des Maidan auf soziale und strukturelle Veränderungen treten hinter dem nationalen Kampf gegen den Interventionisten zurück. Und in RUS wird Autokratie, Repression, Nationalismus weiter gestärkt. Notwendige wirtschaftliche Entwicklung treten zurück, an kommenden Verschlechtungen sind westliche Sanktionen Schuld.

19. Das Schlimmste, was dem Volk der Ukrainer passieren könnte, wäre seine Aufteilung zwischen den beiden grossen Machtblöcken wie die von Osteuropa 1939. Damit danach sowohl USA und EU, als auch RUS jeder seinen Garten bestellen kann.

20. Die Feinde des Friedens zwischen den Völkern der Ukraine und ihrer Selbstbestimmung sitzen in den jeweiligen Regierungen der beteiligten Ländern.

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Die "100 Reichen" bedanken sich bei den "Himmel 100" für ihre Selbstaufopferung (auf dem Maidan)

Auswege aus der Krise

Es ist offensichlich, dass die imperialen Mächte und ihre ukrainischen Vasallen in Kiew und Donezk die Volksbewegungen des Maidan, aber auch die in der Ost-Ukraine geentert, verraten und in einen nationalistischen Konflikt gewandelt haben, der nur den Interessen der Fremdmächte, den Oligarchen und ihrer korrupten Politiker nützt.

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"Wir wünschen uns die Reaktivierung des Maidan in Kiew" mit all seinen sozialen und politischen Forderungen gegen Korruption, Oligarchenmacht und internationale und faschistische Fremdbestimmung, aber auch die Aktivierung der breiten Bevölkerungsmehrheit in der Ost-Ukraine gegen nationalistische Separatisten.

ДОСТАЛИ!!! Basta !!!! Genug !!!!

"Die Völker im Westen der Ukraine, im Osten oder auch die in RUS sind sich viel näher, als der derzeitige Konflikt es ausdrückt. "

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Die Mächtigen haben die Völker ethnisch und nationalistisch gegeneinander gehetzt, um ihre Macht in der UKR und in RUS weiter behalten und ausbauen zu können.

Мир хатам, вiйна палацам
Die Welt (Friede) den Hütten, Krieg den Palästen, diese Forderungen des Maidans nach mehr sozialer Gerechtigkeit, nach dem Ende korrupter Beamten und Banditen, bestochener Gerichte und Polizei kann die gesamte Ukraine einigen. Die nationalistischen Konflikte sind nur gewollt hochgekocht.

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Isabel Magkoewa, Aktivistin © DW

Auch wir in RUS stimmen ein, wenn wir die freie Selbstbestimmung der Völker fordern und

Macht für Millionen,

Nicht für Millionäre!

Für die Aktivisten der Sozialistischen Bewegung Russlands ist RUS und sein derzeitiges System ähnlich imperialistisch und nationalistsch wie das der USA. Für den aufkeimenden Europutinismus besonders unter Linken fehlt ihnen jedes Verständnis. Für sie ist Putin rechts, reaktionär, autokratisch und konservativ.

"Alle sind scheinheilig und Feinde des ukrainischen Volkes" ergänzt Alexander Ivanov.

Die Regierung in Kiew selbst, die sich weigert, in den Dialog mit den Rebellen der Regionen einzutreten und herauszufinden, wie die tatsächliche Situation in dem Land ist, das die Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Krise auseinander bricht, aber auch die Russische Regierung, die EU und die Vereinigten Staaten betreiben Anstiftung zum Bürgerkrieg.

Öffentlich, sie sind scheinheilig für den Frieden, aber hinter deinem Rücken sie haben alle ein Messer.

In einem deutschsprachigen Interview rät Ilja Budraitskis, ebenfalls Aktivist der Sozialistischen Bewegung Russlands:

"Die KriegsgegnerInnen sollten in allen Ländern in erster Linie ihre jeweilige Regierung kritisieren und bedenken, dass die von Putin betriebene „symmetrische“ Aggression gegenüber der Ukraine nichts als die Fortsetzung derselben Logik ist, die die USA, Großbritannien und andere westliche Staaten etwa gegenüber Irak und Syrien angewandt haben. Insofern hat er gute Lehrmeister gehabt. Die Ukraine wird nur eine wirkliche Unabhängigkeit erreichen können, wenn es nicht mehr Objekt der Begierde ihrer mächtigen Nachbarn im Osten wie im Westen ist."

Website der Sozialistischen Bewegung Russlands (РСД): anticapitalist.ru (rus)

marx21 Der russische Staat ist schwach (dt.)

EASTLEFT: After Odessa, “remaining human” is a political programme.
by Ilya Budraitskis (engl.)

Anticapitaliste 01.04.2014 Die Ukraine aus der Sicht der linken Opposition in Russland (dt)

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Geschrieben von

berlino1010

Russland-Versteher in Ausbildung

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