Von aussen angestachelt

Ukraine-Krise Václav Klaus, Tschechischer Staatspräsident 2003-2013, sieht die Krise als Folge fehlendem Verständnis für die Spaltung sowie verletzter Selbstbestimmung und Souveränität

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Klaus mit Medwedjew und Obama, Prag 2010

Václav Klaus (* 19. Juni 1941 in Prag) ist ein tschechischer Politiker und Wirtschaftswissenschaftler. Er bekleidete die höchsten Staatsämter der Tschechischen Republik: Von 1992 bis 1998 war er Ministerpräsident, von 1998 bis 2002 Vorsitzender des Abgeordnetenhauses und von 2003 bis 2013 Staatspräsident. Gemeinsam mit dem Slowaken Vladimír Mečiar verantwortete er die Teilung der Tschechoslowakei in zwei souveräne Staaten zum Jahresanfang 1993. Und unterschrieb für Tschechien die EU-Lissabon-Verträge. Klaus bezeichnet sich als Anhänger von Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Milton Friedman und Friedrich Hayek. Er sieht sich selber als einen klassischen Liberalen und Verfechter der freien Marktwirtschaft.

Vor allem EU und USA verantwortlich

Vor dem Hintergrund der Krise in der Ukraine 2014, erklärte Klaus vor dem tschechischen Fernsehsender ČT24, dass nach seiner Meinung für die derzeitige Situation in der Ukraine vor allem der Westen an der Spitze mit der EU und den USA verantwortlich sind.

In einer umfangreichen Analyse zur Situation der Ukraine (s.u.) beschreibt Klaus Gründe und Folgen der Spaltung des Landes. Er zeigt Verständnis für den Wunsch der (West-) Ukrainer, nicht mehr in einer Art zweitem Russischen Staat leben zu wollen, betont allerdings, dass es ein Fehler gewesen sei, die Ukraine auf die eine oder andere Seite zu zwingen. Temporäre Mehrheiten zwischen der westukrainischen und ostukrainischen Bevölkerungsgruppe rechtfertigten keine grundlegenden, einseitigen Weichenstellungen in einem gespaltenen Land. Die politischen Führer Europas hätten die Situation in der Ukraine unterschätzt und sich nicht bemüht, das Land zu verstehen:

"Die Zukunft der Ukraine kann nur in einem erfolgreich umgesetzten Projekt für einen Gesamtstaat liegen, solange dieses für beide Seiten befriedigend ist."

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Staatspräsident Klaus mit den Obamas, New York 2009

Die Weltwoche, Nummer 18, 30. April 2014

In der Ukraine sind teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände mit etlichen Todesopfern zu beklagen. Welche weitere Wendung wird der Konflikt Ihrer Einschätzung nach nehmen?

Über Szenarien kann man nur sprechen, wenn man zuvor die Ursachen analysiert hat. Und diesbezüglich bin ich enttäuscht über die inakzeptable Trivialisierung der Debatte in Europa. Ich sehe die Ursache der gegenwärtigen Krise nicht in einer authentischen Revolution. Die Ukraine wurde von aussen angestachelt.

Worauf stützen Sie diese Aussage?

Politiker und Aktivisten aus Europa und aus den USA haben die Proteste aktiv unterstützt. Nicht nur philosophisch und politisch, sondern auch finanziell. Ich befürchte zudem, dass einige ausländische Gruppierungen auch Waffen geliefert haben, und das ist für mich inakzeptabel. Ich bin kein Verteidiger Russlands, aber es ist klar, dass Russland die Situation auf dem Maidan-Platz nicht organisiert hat, und das war der Ausgangspunkt des Konflikts: Proteste, die mindestens teilweise nicht spontan waren.

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Das Bild der jungen Idealisten auf der einen Seite und der ex-stalinistischen russischen Politiker auf der anderen Seite gehört für mich zur Trivialisierung der Debatte. Es hat mit der Realität wenig zu tun. Ich stand dem Janukowitsch-Regime immer sehr kritisch gegenüber

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Woher kommt Ihres Erachtens die Verengung der Ukraine-Diskussion auf Stereotype?

Viele westliche Politiker haben Angst, dass Russland wieder zu Stärke und Selbstbewusstsein findet. Das wollen sie bremsen. Darin sehe ich die langfristige Strategie. Die zweite Motivation ist sicher die Vermischung der Kritik am heutigen Russland mit der Kritik an der ehemaligen Sowjetunion unter Stalin, Breschnjew und so weiter.

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Manche setzen grosse Erwartungen in die Wahlen in der Ukraine.

Zu diesen gehöre ich nicht. Wahlen können im Moment nur die Mehrheitsverhältnisse zwischen der westukrainischen und ostukrainischen Bevölkerungsgruppe abbilden. Das heisst aber nicht, dass der jeweils andere Teil das Ergebnis akzeptiert. Die von den Amerikanern und ihrem Vizepräsidenten Biden geäusserte Hoffnung ist gut gemeint, aber irrelevant. Um zu sehen, wozu Wahlen in einem gespaltenen Land führen, muss man nur nach Ägypten sehen. Sie lösen das Problem der Spaltung nicht.
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Werden in der Auseinandersetzung auch die Defizite der politischen Führung in der EU deutlich?

Im Prinzip ja. Die politischen Führer Europas haben die Situation in der Ukraine unterschätzt und sich nicht bemüht, das Land zu verstehen. Die Ukraine auf die eine oder andere Seite zu zwingen, das war ein Fehler.

Let's start a real Ukrainian debate

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http://www.klaus.cz/clanky/3553 | dt. Übersetzung

I. Das schwierige Erbe der Vergangenheit

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/73/Repin_Cossacks.jpg/1920px-Repin_Cossacks.jpgDie Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief - Ilja Repin, 1880 - 1891

Die Ukraine, wie wir sie heute kennen, hat keine historische Tradition der Staatlichkeit und hat es auch in den mehr als zwanzig Jahren ihres Bestehen verabsäumt, eine Staatlichkeit zu schaffen, welche von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden könnte. Der Staat wurde nicht aus dem Bestreben der Menschen nach Selbstbestimmung und Souveränität geboren, sondern entstand .. mit deren jeweiligen ebenso künstlichen Grenzziehungen.

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Am Beginn ihrer Unabhängigkeit funktionierte die Ukraine unter der Führung ihrer russischsprechenden sowjetischen Elite aus dem östlichen Teil des Landes wie eine Art zweiter russischer Staat,...

Die russischen und russifizierten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine (die immerhin 300 Jahre russische Geschichte durchlaufen hatten) wurden plötzlich künstlich verbunden mit dem ursprünglich polnischen Galizien sowie mit Ruthenien bzw. dem Karpathenvorland, also Gebieten, welche Stalin infolge des Zweiten Weltkrieg zugefallen waren und zuvor nie zu einem der alten slawischen Staaten im Osten gehört hatten.
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Die darauf folgenden mehr als zwanzig Jahre der Unabhängigkeit der Ukraine waren nicht genug, um eine gemeinsame ukrainische Identität zu schaffen und die Menschen in diesem äußerst heterogenen Land zu überzeugen, dass eine unabhängige Ukraine die geeignete Gesellschaftsform sei, um ihre nationalen Bestrebungen zu erfüllen. Solche Bestrebungen gibt es vor allem unter den ethnischen Ukrainern, welche im Westen des Landes leben (Galizien, Wolhynien) und die tragischen Erfahrungen der Sowjetzeit (Deportationen, Gulags, Hungersnöte) durchgemacht haben, antirussische Gefühle hegen und die Ukraine als eine Art ukrainischen Nationalstaat aufbauen wollen. Das Modell der Ukraine als ein “zweiter” russischer Staat, wie sie von den Präsidenten Krawtschuk und Kutschma verfolgt wurde, ist für sie unannehmbar.
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Es ist kein Zufall, dass dieser eher rückständige und schwache westliche Teil der Ukraine die treibende Kraft hinter der “orange Revolution” 2004 sowie den Maidan-Protesten im heurigen Jahr war. Durch den Sturz von Janukowitsch erlangte der nationalistische westliche Teil des Landes die Vormacht und versuchte, die lange bestehenden traditionellen Beziehungen der Ukraine zu Russland zu zerstören und sie durch eine exklusive Ausrichtung auf den Westen, die EU und die Vereinigten Staaten zu ersetzen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die westliche Ukraine zur Erfüllung solcher Pläne nicht stark genug ist – das wirtschaftliche Gewicht des östlichen Landesteil hinderte sie daran.

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Die Russen in der Ukraine können als Mitglieder einer großen Kulturnation, die schon zuvor die gesamte Region beherrschte, solche nationalistische Bestrebungen der westlichen Ukrainer natürlich nicht teilen. Eine Unterbrechung der engen Beziehungen zu Russland, das heute generell wohlhabender, erfolgreicher und besser geordnet ist, ist für sie undenkbar. Sie betrachten die Sowjetzeit nicht als Besetzung durch eine fremde Macht, sehen sich selber als Sieger des Zweiten Weltkriegs und nicht als Besiegte. In ihren Augen sind Bandera-Sympathisanten Verräter und Faschisten und ein Staat, der auf solchem Erbe aufbauen möchte, ist für sie inakzeptabel. Wie alle Russen misstrauen sie dem Westen und wollen nicht Teil eines gegen Russland gerichteten Blocks werden. Der militante Russlandhass der westukrainischen Nationalisten ist für sie eine Herausforderung und Bedrohung. Infolge der sowjetischen Vergangenheit hat sich dieser Teil der Bevölkerung lange Zeit gegenüber nationalen Themen gleichgültig verhalten. Die gegenwärtigen Ereignisse führen jedoch dazu, dass diese Bevölkerungsgruppe sich immer mehr ihrer nationalen Gefühle bewusst wird und ihr Einstellung gegenüber dem westlichen Landesteilen zunehmend antagonistisch wird.

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Nach zwanzig Jahren der Unabhängigkeit ist die Ukraine ein geteiltes Land an der Schwelle des wirtschaftlichen Bankrotts. Sie beheimatet zwei Nationen mit unterschiedlichen und teils sogar antagonistischen Zukunftsvisionen, zwei Nationen, die Tag für Tag mehr auseinanderwachsen. Beide Nationen haben unrealistische Erwartungen, was die sie umgebende Welt betrifft – eine mit Blick auf den Westen, die andere mit Blick nach Russland.

Die Ukraine hätte in ihrer aktuellen Form vielleicht durch eine mehrere Jahrzehnte andauernde friedliche Entwicklung mit einer entsprechend angepassten und zurückhaltenden Außenpolitik gerettet werden können, wobei die geopolitischen Lage des Landes beachtet und eine schrittweise Verbesserung der Wirtschaft und des Lebensstandards angestrebt hätte werden müssen. Im Falle der Ukraine war jedoch nichts davon zu vermerken. Der Versuch eines radikalen Wandels stellt in einem so zerbrechlichen, heterogenen und politisch sensiblen Land eine fundamentale Bedrohung dar. Genau dies passiert aber leider heute in der Ukraine, und dies birgt zugleich enorme Risken für Europa und die Welt in sich.

II: Die gescheiterte Transformation der Ukraine

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Unruhen in Donezk, 1. März 2014

Westeuropa und die Vereinigten Staaten, oder besser gesagt die Politiker in diesen Regionen denken, dass es lediglich der “Einführung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit” bedürfe, um alles ins rechte Lot zu bringen. Bis heute haben diese Leute leider noch immer nicht verstanden, dass alle ihre bisherigen Versuche des “Exports von Demokratie” versagt haben und dass sogar zwei Jahrzehnte massiver westlicher Unterstützung für Bosnien und Herzegowina, also für einen Staat, der nach dem Zerfall Jugoslawiens künstlich auf die Beine gestellt wurde, keinerlei Früchte trugen.

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Die Ukraine ist ein fragiles, instabiles Land, das durch Einmischung von außen leicht verwundbar ist. Dabei muss es sich gar nicht um eine militärische Intervention handeln, bereits eine politische Einmischung reicht vollauf. Diese erfolgt in Form von Anstiftung zu Unruhen, Straßenkämpfen, Aufhetzung von Bevölkerungsgruppen gegeneinander, populistischer Aufrufe gegen kommunale Behörden, Anstiftung von Neid, gegenseitiger Vorwürfe der Korruption und des Diebstahls, und nicht zuletzt durch Entfesselung nationalistischer Konflikte oder regelrechter Hasskampagnen.

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Alle oben genannten Phänomene waren in der Ukraine zu beobachten und können auch heute noch beobachtet werden.

III : Was ist in der Ukraine und in ihrem Umfeld passiert?

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Klaus mit Putin 2006

Modell A: es gab einen echten Volksaufstand, wobei es um Demokratie, Unabhängigkeit und eine Assoziierung mit Europa ging

Dieses Modell basiert auf der prinzipiell richtigen These, dass die Ukrainer zu Recht äußerst unzufrieden mit der Situation in ihrem Land sind. Sie sehen den Grund dafür in den Handlungen ihrer inkompetenten und korrupten politischen Führer (die sie immer wieder gewählt haben, wobei diese Wahlen trotz aller bestehenden Probleme grundsätzlich demokratisch waren), die sich nicht für den “Weg nach Europa”, d.h. für ein Assoziierungsabkommen mit der EU und für harte Verhandlungen mit Russland über Gaspreise und andere Dinge eingesetzt hatten.

Es gab echte Massendemonstrationen auf den Straßen. Dabei spielen Wochen oder Monate mit eisigen Temperaturen keine Rolle. Wenn friedliche Proteste nicht ausreichen, werden die Demonstrationen in spontaner Weise immer heftiger (obwohl die Regierung allerlei Konzessionen macht und keine repressiven Maßnahmen gegen die Demonstranten ergreift). Die Demonstranten werden von gut ausgebildeten und stark bewaffneten Einzelpersonen sowie von organisierten Gruppen im In- und Ausland unterstützt; von russischer Seite kommt es hingegen zu keiner Unterstützung für sie. Der allgemeine Eindruck ist, dass Russland über diesen Prozess der Destabilisierung in seinem wichtigen Nachbarland nicht ganz unerfreut ist, wenn es nicht sogar diese Entwicklung direkt unterstützt.

Nachdem die Demonstranten in den Straßen von Kiew einen Sieg errungen haben und der demokratisch gewählte Präsident aus dem Land flieht, wird eine angeblich von allen gewollte Regierung aufgestellt, während die russische Armee eingreift und die Krim besetzt, so wie Hitler im Jahre 1939 Böhmen und Mähren besetzt hatte oder so wie Breschnew im Jahre 1968 die gesamte Tschechoslowakei besetzen ließ. Weder 1939 noch 1968 haben die Demokraten der Welt stark genug protestiert, deshalb ist es wichtig, dies jetzt umso deutlicher zu tun. Bis zu dem Tag, an dem die Demokratie gewinnt.


Modell B: Die Unzufriedenheit in der Ukraine wurde instrumentalisiert, um eine neuerliche Konfrontation des Westens mit Russland zu erzeugen

Modell B beginnt gleich wie Modell A. Die Ukrainer sind zu Recht äußerst unzufrieden mit der Situation in ihrem Land und bringen dies in unterschiedlicher Form zum Ausdruck

Diese immer wieder auflebende Krise diente jenen, die aus diversen Gründen Russland schon immer in die Knie zwingen wollen, als Vorwand, um eine neuerliche Konfrontation zwischen dem Westen und Russland zu schaffen. Diesen Leuten ist jedoch sehr wohl bekannt, dass Russland die Destabilisierung eines wichtigen (des größten und bevölkerungsreichsten) Nachbars nicht akzeptieren kann.

  • Deshalb wurde die bestehende Unzufriedenheit mehr und mehr in Richtung Russland gelenkt;
  • deshalb wurden Zwistigkeiten, die von der westlichen Ukraine ausgingen, verstärkt;
  • deshalb wurde der Konflikt zwischen der westlichen und östlichen Ukraine genährt, der im wesentlichen ein Konflikt zwischen Ukrainern und Russen ist;
  • deshalb wurde die realen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland falsch interpretiert;
  • deshalb wurde ein Bild von Russland als einer expandierenden Supermacht gezeichnet, die lediglich auf eine Gelegenheit wartet, um die Ukraine zu besetzen.

Wir sind sicherlich keine leidenschaftlichen Fürsprecher für Russland und seinen Führer und wissen, dass es naiv und absurd wäre, gegenüber den langfristigen russischen Interessen idealistische Anschauungen zu hegen; andererseits stimmen wir jedoch mit Henry Kissinger überein, der vor kurzem sagte, dass “die Dämonisierung von Wladimir Putin keine Politik ist, sondern ein Alibi für das Fehlen einer solchen”. Genau dies ist in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa derzeit der Fall.

Nach dem Putsch in Kiew (Putsch, weil er – jedenfalls in den Augen von legalistischen Puristen – auf verfassungswidrige Weise durchgeführt wurde), nach der Anwendung brutaler Gewalt gegen alle jene, die es gewagt hatten, nicht konforme Ansichten zu vertreten, nach der De-facto-Ausweisung des demokratisch gewählten Präsidenten, der sich nicht gegen gewalttätige Demonstranten vorzugehen traute, und nach ständig zunehmender Besorgnis des russischen Teils der ukrainischen Bevölkerung wurde auf der Krim, einem speziellen und geografisch begrenzten, formell autonomen Teil der Ukraine, ein Referendum abgehalten (mit deutlicher Zustimmung und stiller Freude auf russischer Seite), an dem der überwältigende Teil der Bevölkerung teilnahm und entschlossen den Wunsch der Bevölkerung der Krim zum Ausdruck brachte, ihre Assoziierung mit der Ukraine (der sie vor der Intervention Chruschtschows im Jahre 1954 niemals angehört hatten) aufzulösen. Es ist offensichtlich, dass diese Menschen nicht in einem Vakuum verbleiben und deshalb nach Russland zurückkehren wollten. Es ist ebenso offensichtlich, dass Russland damit zufrieden sein kann (auch wenn es erhebliche kurzfristige Probleme gibt). In jedem Fall war jedoch die Abfolge der Ereignisse eine ganz andere als das, was uns von den Mainstream-Medien präsentiert wurde, nämlich die Behauptung, dass Russland die Krim aus eigenem Gutdünken heraus annektiert hätte.

Im Einklang mit seinen Eigeninteressen interpretiert der Westen den Anschluss der Krim an Russland als Beispiel eines erneuerten russischen Imperialismus.

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Dieses beiden unterschiedlichen Interpretations-”Modelle” der ukrainischen Krise könnten noch weiter entwickelt, ergänzt oder verbessert werden, aber wir sind davon überzeugt, dass sie für eine grundsätzliche Orientierung ausreichen. Fügen wir noch hinzu, dass wir volles Verständnis dafür haben, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Krim (hauptsächlich Russen) nicht Teil eines Staates sein möchte, der vor dem Bankrott steht und in zunehmendem Maße von Personen und Gruppen aus dem westlichen, d.h. nicht-russischen Teil der Ukraine gesteuert wird, deren vorrangige Politik es ist, sich Russland und den Russen zu widersetzen. Es ist keinesfalls überraschend, dass die Menschen der Krim lieber Teil von einem wohlhabendenderen und wirtschaftlich erfolgreicheren Russland sein wollen.

IV. Legalistischer Fundamentalismus und das “reale Leben”

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Lisbon Referendum II - The Result Has Been Confirmed

Im Zusammenhang mit dem fortschreitenden Zerfall der Ukraine - Abtrennung der Krim und ihr Anschluss an Russland, Unabhängigkeitserklärungen von weiteren separatistischen russischen “Republiken” und Forderungen nach auf Abtrennung gerichteten Referenden in anderen Teilen der östlichen Ukraine - bringen westliche Kommentatoren diverse juristische Argumente vor und behaupten, dass solche Schritte im Widerspruch zur derzeitigen Rechts- und Verfassungsordnung der Ukraine stünden und daher illegal bzw. inakzeptabel seien.

Auch hier muss man zunächst den entsprechenden Kontext herstellen, wozu man gar kein Experte für ukrainisches Recht sein muss. Denn darum geht es hier gar nicht.

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Diese weitgehend akademischen Argumente mögen vielleicht richtig sein, wenn es um die Frage der Rechtswidrigkeit der einen oder anderen separatistischen Maßnahme geht, aber das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit.

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In der jüngeren Geschichte gab es nur einen Fall einer wirklich verfassungsmäßigen und auf Gesetzesbasis durchgeführten Teilung eines Staates, nämlich den der tschechoslowakischen Föderation. Der Zerfall Jugoslawiens und später Serbiens wie auch jener der Sowjetunion war dem Wesen nach chaotisch und verlief meist in Form von Konfrontation und Gewalt, wodurch vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Dies bedarf keiner weiteren Analyse. Die Mehrzahl der modernen Staaten in Europa und auf der ganzen Welt haben ihre Unabhängigkeit als Folge heftiger Kämpfe gewonnen, wobei das jeweils geltende Recht einfach ignoriert wurde. Es ist somit unnütz, den Menschen das Recht auf Unabhängigkeit mit dem Argument absprechen zu wollen, Separatismus sei rechtswidrig. Andernfalls müssten wir die Rechtmäßigkeit der Vereinigten Staaten in Frage stellen, ja selbst diejenige unseres eigenen Staates, der ja bekanntlich im Widerspruch zur Verfassung der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1918 entstand.

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Die internationale Akzeptanz von veränderten Grenzverläufen ist eben keine Rechtsfrage und hängt in erster Linie von den tatsächlichen Machtverhältnissen ab, welche in einem Land, einer Region oder weltweit herrschen.

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Es ist klar, dass das Chaos, Anarchie und Wirtschaftskrise sowohl dem Westen als auch Russland ermöglicht haben, sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die meisten Russen, die mit den ungünstigen Bedingungen in der Ukraine unzufrieden sind und Angst vor der Zukunft haben, zu Russland aufblicken, das relativ wohlhabend, stabil und leistungsfähig ist. Die Tatsache, dass die meisten von ihnen keinen Grund zur Loyalität gegenüber der Ukraine haben und sich massiv für einen Anschluss an Russland per Referendum aussprechen, kann nur völlig voreingenomme Beobachter überraschen. Diese grundsätzliche Einstellung der Betroffenen lässt sich auch dadurch nicht aus der Welt schaffen, indem man etwa bestimmte Formalfragen bei den Referenden aufwirft.
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Es ist nicht möglich, die Einheit der Ukraine allein durch rechtliche Argumente, Gesetze oder die Verfassung aufrecht zu erhalten.

Es ist ebenso unmöglich, dies durch demokratische Verfahren wie Wahlen zu versuchen, etwa Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen. Wenn in einer Wahlabstimmung der westliche Teil der Ukraine über den östlichen Teil obsiegt oder umgekehrt, dann ist das keine Lösung, denn was nützt es, wenn der Gewinner sich auf eine demokratische Mehrheit und Legitimität berufen kann?

Die Zukunft der Ukraine kann nur in einem erfolgreich umgesetzten Projekt für einen Gesamtstaat liegen, solange dieses für beide Seiten befriedigend ist; genau dies erscheint jedoch angesichts der eskalierenden Spannungen und des zunehmenden Drucks von außen immer weniger wahrscheinlich.

V. Europa

Die Ereignisse in der Ukraine werden zur Beschleunigung der europäischen Einigung (und Schwächung der Demokratie in Europa) missbraucht

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Die internationale Politik wird mehr und mehr radikalisiert, es wird eine neue Stufe der Konfrontation zwischen West und Ost geben und der Konflikt zwischen Westeuropa (dem wir uns zugehörig fühlen) und dem zunehmend selbstbewussten Russland Wladimir Putins wird immer schärfer werden.

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Der von den Brüsseler Eliten vertretene europäische politische Mainstream stellt indes ein Kalkül an, die Krise in der Ukraine für eine Stärkung der europäischen Zentralisierung und Vereinheitlichung zu nutzen, vor allem in Richtung einer gemeinsamen Außenpolitik
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Ein gewisser Teil des europäischen politischen Mainstream, der im Einklang mit den Vereinigten Staaten agiert, versucht jedenfalls, Russland zu einem “Schreckgespenst” im Osten zu machen, was durchaus im amerikanischen strategischen Interesse liegen mag. Die Ukraine ist dabei lediglich Werkzeug zu diesem Zweck. Unser Interesse kann dies jedoch nicht sein und es ergeben sich daraus auch keinerlei Vorteile für uns.

http://www.klaus.cz

Die Weltwoche, Nummer 18, 30. April 2014

http://www.klaus.cz/clanky/3574

LET'S START A REAL UKRAINIAN DEBATE

http://www.klaus.cz/clanky/3553

Ein kritischer Denker: Václav Klaus zur Ukraine-Krise

http://freies-oesterreich.net/2014/05/06/ein-kritischer-denker-vaclav-klaus-zur-ukraine-krise/

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Geschrieben von

berlino1010

Russland-Versteher in Ausbildung

berlino1010

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