Die Dokumentation "Close-Up Kurdistan" von Yüksel Yavuz

Kino Unter dem Stichwort "kurdisches Kino" ist seit einigen Jahren nicht nur der Konflikt, sondern auch der Diskurs über das Selbstverständnis des ...

Unter dem Stichwort "kurdisches Kino" ist seit einigen Jahren nicht nur der Konflikt, sondern auch der Diskurs über das Selbstverständnis des 25-Millionen-Volkes auf die Kinoleinwand gekommen. Regisseure wie der Iraner Bahman Ghobadi oder der in Paris lebende Hiner Saleem diskutieren die condition humaine und den Status ihrer Nation ernsthaft, durchaus mit ironischen Brechungen und selbstkritischen Tönen. In Deutschland hat sich Yüksel Yavuz, einer der profiliertesten Regisseure mit Migrationshintergrund, mit seinem neuen Dokumentarfilm Close-Up Kurdistan an das Thema gewagt.

Bereits sein erster Film Mein Vater, der Gastarbeiter (1995) führte den 1980 im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Hamburg gekommenen Yavuz in seine Heimatregion. Damals erforschte er die Doppelidentität seines Vaters als Hamburger Werftarbeiter und Dorfbewohner aus Karakocan, der als Fremder in seine Heimat zurückkehrte. Mit Aprilkinder (1998) über eine türkisch-kurdische Familie, die von den Widersprüchen des Lebens im Exil aufgerieben wird, und Kleine Freiheit (2003) über einen illegal in St. Pauli lebenden 16-jährigen Kurden folgten zwei viel beachtete Spielfilme.

Eine Trilogie, die, so Yavuz, zeigt, "wie die alte Heimat sich in der neuen Heimat reflektiert". In Close-Up Kurdistan beschäftigt sich der Filmemacher nun mit dem Dort des Konflikts. Es beginnt sehr persönlich, wenn Yavuz zusammen mit seiner Mutter in alten Fotoalben stöbert. Doch schon bald legt sich die Allgegenwart des Krieges bleischwer über die Erinnerungen. Jeder kennt hier jemanden, der umgekommen ist, viele berichten von Folterungen, einige wurden zwangsumgesiedelt, ihre ursprünglichen Dörfer zerstört, manche verloren ihren Besitz an Nachbarn, denen die Denunziation Mittel zum Zweck war, um sich an den Beschuldigten zu bereichern.

Opfer, die im kollektiven Gedächtnis haften bleiben wie die "Morde mit unbekannten Tätern" an kurdischen Intellektuellen. Yavuz klammert die Verantwortung seiner kurdischen Landsleute nicht aus - die Zeitzeugen berichten von Nachbarn, die wegen angeblichen Verrats von der PKK umgebracht wurden oder von der Teilnahme der Kurden am Völkermord an den Armeniern. Eine ehemalige PKK-Kämpferin wünscht sich das Ende des Krieges herbei, und Yavuz stellt mehrdeutig fest: "Die Armeen der Welt sehen überall gleich aus."

Close-Up Kurdistan erzählt von einer multikulturellen Vergangenheit, die der kemalistischen Türkisierungspolitik anheim gefallen ist. Er besucht eine der Internatsschulen, wie er sie selber durchlaufen hat und wo es nur zwei Wochen Ferien für den Familienbesuch gab - "Assimilationsanstalten", die genauso der monoethnischen Staatsraison dienen wie die omnipräsenten Atatürk-Zitate an den Hauswänden. Yavuz´ Verdienst ist es, nicht nur den Krieg zu zeigen, sondern auch Positionen bedeutender Intellektueller wie Orhan MirogŠlu, Vorstand der Partei der Demokratischen Gesellschaft, und den Historiker Ismail Besikci, der für seine Publikationen zum Tabuthema lange Jahre im Gefängnis verbracht hat.

Hier spricht Close-Up Kurdistan politische Visionen an und würdigt auch türkische Perspektiven. An anderer Stelle wiederum wird es fast geschichtsklitternd pathetisch, wenn zum Bericht eines deutschstämmigen Ex-Guerillakämpfers das Stelenfeld des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas kalkuliert in den Bildhintergrund gerät. Dann scheint eine Opfermythologie auf, die vor der dargestellten Leidensgeschichte verständlich ist, aber eine Tür für eigene, nationalistisch geprägte Freund-Feind-Schemata öffnet.

An solchen Stellen trägt das weitsichtige Essay die Ambivalenz einer nationalen Kinematografie ohne Nationalstaat in sich: Das kurdische Kino dient in seiner politischen Aussagekraft der tagesaktuellen Reflektion genauso wie der nationalen Selbstvergewisserung. Das hängt wiederum, so Yavuz, mit der kollektiven historischen Erfahrung zusammen: "Für uns Kurden ist die Sprache durch Verbot und Assimilation fast verloren gegangen." Das Medium Film gibt diese Sprache zurück. Während das "kurdische Kino", von einigen Gehversuchen im Nordirak abgesehen, mit den weltweit lebenden Regisseuren zu einer neuen Marke auf dem globalen Kunstmarkt avanciert, in der der nationale Impetus mit der Weltläufigkeit des intellektuellen Migranten verschmilzt. Oder auch zu Widersprüchlichkeiten innerhalb ein und desselben Films führt.

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