Die von staatlichen Institutionen wie der Serbischen Eisenbahngesellschaft und von Teilen der amtierenden Regierung unterstützten gewalttätigen Ausschreitungen gegen ausländische Botschaften nach der Anerkennung des Kosovo haben der Welt erneut jenen gereizten serbischen Nationalismus vor Augen geführt, mit dem sich das Land in mehrere Kriege und an den Rand der internationalen politischen Isolation bugsiert hat. Doch die Gesellschaft hinter dem orchestrierten Aufruhr hat sich seit Milosevic´ diversifiziert. Zu der Kosovo-Großdemonstration versammelten sich zwar zwischen 150.000 und 250.000 Teilnehmer, aber es kam eben nicht die erwartete Million.
Das nationalistische Potenzial ist noch immer beängstigend groß und bildet eine willkommene strateg
ne strategische Manövriermasse im politischen Scharmützel zwischen Pro-Europäern und dem nationalistischen Polit-Establishment um die Radikale Serbische Partei. Ein entscheidender Richtungskampf, hinter dem die notwendige Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen und die Frage nach der kollektiven nationalen Moral weitgehend zurückbleibt. Immerhin: mit dem viel beachteten Fernseh-Dreiteiler Jedinica (Die Einheit) wurde Ende 2006 ein Stück Mediengeschichte geschrieben.Die von Filip Svarm und Radoslav C`ebic´, zwei Redakteuren des gedruckten Nachrichtenmagazins Vreme (Die Zeit) produzierte Fernsehdokumentation zeichnet die Gründung und die politischen Verwicklungen der Geheimdiensteinheit nach, aus deren Reihen der Attentäter auf den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Dindic´, Zvezdan Jovanovic´ und dessen Hintermann Milorad "Legija" Ulemek stammten. Zuweilen auch als "Rote Barette" bezeichnet, wurde das Sondereinsatzkommando Anfang der neunziger Jahre als Elitetruppe die Keimzelle für die aufzubauenden Streitkräfte der von Kroatien abgespaltenen selbsternannten "Serbischen Republik Krajina" gegründet, dann "vom Staat zur Erledigung der schmutzigen Geschäfte eingesetzt" und schließlich zum Machtfaktor mit ganz eigenem Wertesystem.Die faktenreiche Materialsammlung fragt zunächst nicht nach der Moral. Diesbezüglich kommen die Interviewpartner ungeschoren davon und geben entsprechend vielseitig Auskunft. "Wir waren bemüht, eine gute Gesprächsatmosphäre zu schaffen", führt Svarm aus. Ihm geht es vor allem darum, zu zeigen, "wie eine Einheit versucht hat, den Staat zu zerstören, der sie erschaffen hat." Jedinica weist die Einbindung von Kriminellen, rechtsextremen Hooligans und den Milizen des Kriegsverbrechers Zeljko Raznatovic alias "Arkan" sowie Verstrickungen in Waffen- und Benzinschmuggel im Bosnien-Krieg nach.Ein zentrales Thema sind die Geheimverhandlungen zwischen den Kriegsgegnern im Bosnien-Krieg - vor allem über die zwischen 1992 und 1995 existierende "Enklave Bihac" liefen Munitions- und Öllieferungen zwischen Kroatien, Serbien und der bosnischen Armee, an denen die "Roten Barrette" beteiligt waren. Svarm und C`ebic´ wollen mit ihren akribischen Nachweisen den serbischen Nationalismus an der eigenen Wurzel packen: nicht überall, wo Serbien draufsteht, ist auch Serbien drin.Das Portrait einer "Bande von Kriminellen, die alles für Geld gemacht haben, hat", so Svarm, "die patriotische Fassade zerstört." Er spricht von der notwendigen "Entmystifizierung" des "Rote Barrette"-Kommandanten und Dindic-Mord-Drahtziehers "Legija", dessen Portrait schon mal die Handys von Jugendlichen ziert. Gerade in der jungen Generation sei Jedinica auf große Resonanz gestoßen. Dabei verwendet der Film kaum sensationelle Aufnahmen, besteht zum großen Teil aus bereits bekannten Archivmaterialien und privaten Videos. Es geht also vorrangig darum, Fragen an die eigene Geschichte zu stellen, die schmutzigen Mechanismen hinter Ereignissen aufzuarbeiten, die ansonsten das Zeug hätten, zur nationalen Legendenbildung beizutragen.Vor kurzem haben Svarm und C`ebic´ mit Pad Krajine (Der Fall der Krajina) einen weiteren Film gemacht, der an den Grundfesten serbisch-nationalistischer Mythen rüttelt. Im Zentrum der Dokumentation steht die Geheimdiplomatie zwischen Tudman, Milosevic´ und Karadzic, die letztlich zur Preisgabe der "Serbischen Republik Krajina" führte und nach der Rückeroberung durch die kroatische Armee 1995 von einem Massenexodus serbischer Flüchtlinge begleitet wurde. Bilder, mit denen die Nationalisten umgehend Propaganda machen konnten. Svarm und C`ebic´ arbeiten die Widersprüche im nationalistischen Lager auf.Die Geschichte von Jedinica kulminierte in dem Mord an Zoran Dindic am 12. März 2003. Mit den Untersuchungen des militärischen Umfeldes bleiben die Fragen an die im Namen Serbiens begangenen Kriegsverbrechen freilich ungestellt. Dafür sei es noch zu früh, meinen Svarm und C`ebic´: "Eine Bedingung wäre, dass die Leute, die daran unmittelbar beteiligt waren, von der Szene verschwinden." Irgendwann jedoch werden diese Fragen formuliert werden, und dann wird es "die ganz junge Generation der heute 20- bis 25-Jährigen mit einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihrer Väter zu tun bekommen." Vorher werden Svarm und C`ebic´ weitere Aspekte der politischen Kultur Serbiens beleuchten: Zum fünften Jahrestag des Dindic-Mordes arbeiten sie an einer Medienanalyse der damaligen Vorgänge.