Seit nunmehr 27 Jahren präsentiert das Saarbrücker Filmfestival einen Überblick über das deutschsprachige Nachwuchskino. Als Leistungsschau junger Talente genießt es seit je hohe Aufmerksamkeit beim Fachpublikum. In Saarbrücken gehört es zu den wichtigsten kulturellen Ereignissen des Jahres. In diesem Jahr ist von einer Steigerung der Publikumszahlen um 30 Prozent die Rede - mehr als ein Achtungserfolg für den deutschsprachigen Film, der im normalen Kinobetrieb bekanntlich ein Schattendasein fristet. In Saarbrücken jedenfalls scheinen die Filmemacher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz - die beiden letzteren Länder waren im Gegensatz zu vergangenen Jahren leider nur spärlich vertreten - den Nerv ihres Publikums getroffen z
n zu haben.Erstmals waren im Wettbewerb digitale Produktionen zugelassen. Damit fanden auch höchst eigenwillige Projekte ihr Forum wie der von ausgeprägtem Stilwillen dominierte Futschicato, in dem Olav F. Wehling die inneren Hierarchien einer linken Wohngemeinschaft beschreibt, in der die Sponti-Mentalität der frühen achtziger Jahre hinter dogmatischen Ritualen, ideologisch überpinselten Egoismen und individuellen Schrulligkeiten verschwunden ist. Der 1978 geborene Olav F. Wehling skizziert punktgenau die Sollbruchstellen einer Ära, die er selber nicht miterlebt hat. Auch in Swinger Club, Jan Georg Schüttes Ensemblefilm, gedreht im Stil eines Homevideos, das zuweilen seine Längen nicht verleugnen kann, geht es ans Eingemachte. Die fünf Freunde um die 40, die hier zusammenkommen, müssen sich im Lauf zweier gemeinsamer Essen zahlreiche Partnerwechsel eingestehen. Ein schmerzhafter Diskurs über Verantwortung, Feigheit und Verrat, in dem die scheinbare Idylle des Ortes - ein hübsches Einfamilienhäuschen hinter einem Deich in der norddeutschen Tiefebene - genauso zur emotionalen Vorhölle verkommt wie die ungelüfteten Räumlichkeiten in Futschicato. In beiden Filmen taucht interessanterweise als melancholische Verbeugung vor den Protagonisten an zentraler Stelle der Song Halt Dich an Deiner Liebe fest von Ton, Steine, Scherben auf, einer Band, mit deren Liedern eine ganze Generation West sozialisiert worden ist und deren politische Repräsentanten vor kurzem aus ihren Ämtern gewählt wurden. Futschicato und Swinger Club beschreiben die Midlife-Crisis dieser Generation.Die Spielfilme wurden in einem gemeinsamen Wettbewerb mit Dokumentarfilmen gezeigt. Interessant hierbei die Zuwendung junger Filmemacherinnen aus dem Westen Deutschlands zu ostdeutschen Themen, die somit mehr und mehr in einen gesamtdeutschen Fokus geraten. In Zeit ohne Eltern lässt die Freiburgerin Celia Rothmund zwei Frauen zu Wort kommen, die in der DDR als Zehnjährige zwangsweise von ihren Eltern getrennt wurden, als diese aus politischen Gründen ins Gefängnis kamen. Im Dokumentarfilm sicherlich kein neues Thema, aber ein notwendiger Kontrapunkt zu der kuscheligen Betrachtung der DDR, die zuweilen den deutschen Film zu dominieren droht. Tamara Milosevic, Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg, ging für ihren Diplomfilm Zur falschen Zeit am falschen Ort ins brandenburgische Potzlow, wo im Sommer 2002 ein 16-jähriger von drei Gleichaltrigen stundenlang zu Tode misshandelt wurde. Milosevic wirft einen intensiven Blick auf das Umfeld der Täter und findet Erwachsene vor, die ihren Kindern eine erschreckende Mischung aus Empathie, Aggression und emotionaler Gleichgültigkeit vorleben.Das trifft auch auf die Protagonistinnen in Prinzessin (Preis des saarländischen Ministerpräsidenten) zu. Yvonne und ihre Freundinnen streifen rastlos zwischen den Wohnsilos ihrer heimatlichen Vorstadt umher und legen sich mit ihrer Umwelt an. Irgendwann erfasst das Provozieren eine Eigendynamik, die von den Mädchen nicht mehr zu kontrollieren ist. Mit Birgit Grosskopfs Regiedebüt nimmt sich erstmals ein Film dem Thema gewalttätiger Mädchengangs an. Bei der psychologischen Ausgestaltung ihres Dramas verlässt sich Grosskopf sinnigerweise auf die Zwischentöne, die feinen Spannungen, die hinter dem protzigen Imponiergehabe von Yvonnes Gang virulent werden. Doch als sich die Konflikte in der Mitte des Films als Kriminalhandlung zu entwickeln beginnen, schreckt sie vor banalen Klischees nicht zurück: Die türkischstämmige Anführerin der gegnerischen Gang greift zum Messer, und die Spätaussiedlerin Katharina, Yvonnes beste Freundin, findet im "russischen Klub" ihre Seele wieder.Auch Benjamin Heisenberg nutzt in seinem Film Schläfer (Hauptpreis des Festivals) vor allem die Zwischentöne, um sein Anliegen vorzutragen. Die Geschichte kreist um das Dreiecksverhältnis zwischen dem iranischstämmigen Wissenschaftler Farid, dem jungen Doktoranden Merveldt und der Kellnerin Beate - eine fatale Situation, denn das gegenseitige Verhältnis ist nicht nur von der beruflichen Konkurrenz zwischen den beiden Nachwuchs-Wissenschaftlern und Eifersucht geprägt. Als Merveldt von einer Verfassungsschutz-Mitarbeiterin gebeten wird, Informationen über Farid zu liefern, wächst das Misstrauen. Heisenberg attestiert unserer Gesellschaft in seinem mit ruhiger Hand inszenierten Film einen modernen Treibhauseffekt, ein "Grundrauschen", das geprägt ist von einem Misstrauen, das gegen unseren Willen in uns wächst. Eine gesellschaftliche Atmosphäre, in der man beginnt, wie in Heisenbergs Film, jeden Dialog zwischen den Zeilen zu lesen.Noch vor wenigen Jahren bestimmten alberne Komödien, klischeebeladene Arbeitslosendramen und nabelschauartige, zuweilen selbstmitleidige Beziehungsdramen das Geschehen im jungen deutschsprachigen Film. Dieses Jahr überzeugte der präzise Ernst, mit dem die jungen Filmemacher in Saarbrücken ihre Gesellschaft sezieren, zumal diese Analysen mit ganz unterschiedlichen, in der Mehrzahl tragfähigen, visuellen Konzepten umgesetzt wurden. Zwischen Hartz IV und Rasterfahndung ist es nicht leichter geworden, jung zu sein - eine Erkenntnis, die sich mit der üblichen Verspätung um diejenigen zwei Jahre durchgesetzt hat, die Drehbücher und Förderanträge heute brauchen, um durch die Gremien zu gehen.
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