Damals war es Alex4 erlaubt worden, eine Gespielin zu finden, eine wie er, nur mit den passenden Gegenstücken. Er hatte geglaubt, dass ihm das Treffen nur erlaubt wurde, um eventuell auftretende Wechselwirkungen feststellen zu können, dass alles nur ein weiterer Test sei. Er hatte es deswegen nicht weiter ernst genommen und auftragsgemäß die Höflichkeitsfloskeln in das Gespräch eingeflochten, die sie ihm vorher beigebracht hatten.
Recht schnell bekam er die Erlaubnis, außerhalb der Werkhallen einen Spaziergang mit ihr machen zu dürfen, und dabei ist es geschehen. Sie hatte, ganz entgegen der Vereinbarung, seine Hand genommen, sie gestreichelt und ihm dabei tief in die Augen geblickt. Er war zu verwirrt, um dagegen zu protestieren und bemerkte, dass ihm ihre Bewegungen ausgesprochen gut gefielen. Er summte vor sich hin und lauschte ihren Worten; er wusste, dass sie, genau wie er, vorher instruiert worden war, aber das hier war etwas völlig Anderes. Das können sie ihr nicht mitgegeben haben, dachte er. Ihre Worte betörten ihn, und er war sich sicher, noch nie etwas derart Schönes gehört zu haben. Sie gingen weiter und kehrten erst nach Stunden in die Hallen zurück.
Eines anderen Tages trafen sie sich wieder und sprachen über dies und das. Dabei hatte sich seine Gespielin öfter umgesehen als sonst, ihr Blick suchte etwas. Plötzlich fragte sie ihn mit einer zweiten, tieferen Stimme, ob er heute Abend zur Arbeit eingeteilt sei. Alex4 verneinte, und sie schlug vor, zwei Stunden nach der Schicht in das kleine Gebäude hinter den Hallen zu kommen. Sie sprach mit ihrer normalen Stimme übergangslos weiter von den Gefilden, die sie gemeinsam entdecken könnten, und ließ sich nichts anmerken. Er war etwas durcheinander, antwortete aber, dass er käme. Warum sie diesen Ort wähle, fragte er, und ob dieser Vorgang denn erlaubt worden sei. Sie antwortete mit der tieferen Stimme durch ein kurzes Lachen und sagte schnell: "Bis dann!" Daraufhin gingen sie in die Hallen zurück und arbeiteten weiter. Zwei Stunden nach der Schicht machte sich Alex4 auf den Weg; er durfte sich auf Grund seiner Einstufung auf dem Gelände frei bewegen und betrat das kleine Gebäude. Es war dunkel da drinnen, aber seine Augen benötigten nur kurze Zeit, bis er auch schon ihren Glanz in einer Ecke des Raumes sah. Sie gingen aufeinander zu und er genoss jede ihrer Bewegungen, fand, dass sich keine Kollegin so geschmeidig fortbewegen konnte und war einfach hingerissen von ihrer Anmut. Er wollte ihr schmeicheln, wie schön er sie fände, aber sie legte nur die Finger auf seinen Mund und zog ihn in die Ecke, wo eine Decke ausgebreitet lag. Sie küsste ihn und berührte ihn dort, wo ein anderes Protokoll galt als das vorherrschende. Sie liebten sich über Stunden hinweg und er dachte wiederum, dass sie wunderbar zueinander passten. Er hatte mit dieser Prozedur noch nie etwas zu tun gehabt, aber es war so einfach, dass es ihn verblüffte. Als sie sich von der Decke erhoben, sah sie ihn mit einem flackernden Blick an: "Hat es Dir gefallen? Ging es nicht zu weit?" "Nein", sagte er, "es war wunderschön; ich wünschte, wir könnten öfter derart zusammen sein." Sie summte einen tiefen Laut und schmiegte sich an ihn. Sie verließen das Gebäude und verabredeten sich für den folgenden Tag, wie immer außerhalb der Hallen.
Als Alex4 am nächsten Nachmittag zum vereinbarten Treffpunkt kam, war sie nicht da. Er wartete eine Weile, aber sie kam nicht. Besorgt ging er zu seiner Arbeit zurück. Auch am folgenden Tag kam seine Gespielin nicht. Er ging zu seinem Vorgesetzten und fragte, ob man ihm Auskunft über sie geben könne. Der Vorgesetzte schickte ihn zum Büro des Hallenleiters, der ihn kurz ansah und sich dann wieder in die Durchsichten vertiefte. Er fragte etwas eindringlicher nach, und der Leiter bequemte sich, ihre Akte herauszusuchen. Mit einem leisen Klacken bewegte sich der Finger des Leiters durch die Seiten am Bildschirm, bis er endlich aufsah und ihm antwortete: "Sie wurde aus dem Programm genommen." "Warum?", fragte Alex4. "Sie hat die Grenzen der Prozeduren überschritten." Alex4 sah ihn ungläubig an und wusste nicht, was er sagen sollte. "Wo ist sie?", fragte er endlich. "Draußen", antwortete der Leiter und schickte ihn zurück zur Arbeit. Alex4 fragte noch: "Kommt sie zurück?" "Nein." Alex4 ging zu seiner Arbeit zurück und beendete die Schicht fehlerfrei.
Am nächsten Tag kamen zwei Mitarbeiter und holten ihn ab, zur Erfrischungskur, wie sie sagten. Sie führten ihn in einen Raum, in dem viele große, blinkende Apparaturen und eine Art Sessel standen. Er solle sich dort hineinsetzen und warten, sagten sie und verließen ihn. Kurze Zeit später kam ein als Vorgesetzter gekennzeichneter Mitarbeiter und setzte ihm eine Haube auf, die mittels einiger Kabel mit den Maschinen verbunden war. Der Vorgesetzte schaltete die Maschinen an und Alex4 sah kurze Zeit nur schwarz vor Augen. Als er wieder klar war, machte er sich keine Sorgen mehr um seine Gespielin. Er wusste noch nicht einmal mehr, was sie ihm erzählt hatte, geschweige denn, was sie noch vor Kurzem getan hatten. Der Vorgesetzte nahm ihm die Haube mit den Kabeln vom Kopf und schickte ihn wieder an seine Arbeit. Alex4 ging ohne Begleitung und versah seine Arbeit fehlerfrei wie immer.
Alex4 steht träumend mit der Dose in der Hand vor dem Band. Er ist vor kurzem zum Sortierer aufgestiegen und realisiert nun, dass das Band ohne seine Kontrolle bereits einige Zeit weitergelaufen ist. Er betrachtet die Dose in seiner Hand und hört noch einmal das leicht schabende Geräusch, das vom Streicheln des Metalls herrührt, bevor er sie in die Kiste mit dem Ausschuss wirft.
"War ich nicht schon immer Sortierer?", fragt er sich, geht weiter und beugt sich mit dem kontrollierenden Blick über das Band, so, wie es seine Instruktionen verlangen.
Bernd Doerr, geboren 1963 in Saarbrücken, Mitglied der ComputerGilde, schafft mit Musik den Ausgleich, lebt als VirtuArtist in Berlin.
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