Hitler-Gruß versus Proleten-Prosa

Künstlervergleich Warum man Jonathan Meese nicht mit der Boulevard-Figur Bushido in einen Topf werfen kann. Eine Replik auf Lennart Laberenz

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„Wenn Meese hitlergrüßend durch die Gegend läuft und Bushido ein durchaus langweiliges Musikvideo produziert, kann man sie leider nicht vor den Kadi stellen“: Freitag-Autor Lennart Laberenz wirft den Künstler Jonathan Meese und die Boulevard-Figur Bushido wegen „intellektuell mangelhafter Leistung“ in einen Topf. Ein Vergleich, der vordergründig naheliegt, letztendlich aber hinkt.

Denn der Vergleich von Vermarktungsstrategien reicht nicht aus, um dem Wert von Künstlerpersonen und ihren Werken gerecht zu werden. Von der Qualität der PR direkt auf das Werk eines Künstlers zu schließen ist unzulässig, weil unabhängig vom marktstrategischen Vorgehen stets eines stimmen sollte: die Qualität des Kunstwerks, des Produkts.

Das Beispiel Picasso zeigt, das dieser primär ein handwerkliches Genie mit revolutionärer Kreativität und Innovationskraft war. Picasso war aber auch ein Meister der Selbstvermarktung. Die Marke Picasso entstand, als ein noch unbekannter Künstler – um es im Wirtschaftsjargon auszudrücken – ein Marktsegment mit einem Alleinstellungsmerkmal besetzte (die Blaue Periode). Nach gelungenem Marktaufbau überraschte Picasso 1907 mit der Erfindung des Kubismus. Um den Markteintritt zu schaffen, verbündete sich Picasso mit ähnlich gesinnten Künstlern wie Georges Braque, mit dem er ein Netzwerk aus einflussreichen Galeristen aufbaute.

Zu Meeses Ruhm und Ansehen haben die Medien viel beigetragen. Ohne Zweifel weiß auch Meese die Mechanismen der Medien für sich zu nutzen. Gleichzeitig werden diese in ihrer verkürzten Darstellungsweise dem künstlerischen Gesamtphänomen Meese kaum gerecht, da seine “Produkte” zu komplex und wirr sind, um schnell abgehandelt zu werden.

Meese vielschichtiges Universum besteht aus Installationen, Malerei, Performances und Theater. „Kunst hat nicht mit der Realität zu tun“ ist ein Motto von Meese. Zu seiner Kunst gehört das Spiel mit Konstrukten von Kult, Religion, Pop und Trash. Da ist viel Schmutz dabei, Reales und Fiktives werden vermischt. Berühmtheiten treten wahllos nebeneinander auf: Yves Saint Laurent und Charles Bronson, Godzilla und Björk, Micky Maus und Hitler. Der Hitler-Gruß, der Meese kürzlich eine Anklage vor Gericht einbrachte, ist nur eines von vielen Elementen im Meese-Kosmos. Die Bedeutungsschwere von Dritte-Reich-Inventar überträgt Meese mit Vorliebe durch Entfremdung auf die von ihm geschaffene Welt und verschafft ihr dadurch scheinbare Erhabenheit.

Wer solche Gesten im historischen Kontext belässt und nicht transzendiert ­– also zusammen mit Meeses Kosmos betrachtet – hat wenig verstanden. Denn Meese setzt der Realität seine eigene Welt der „totalen Kunst“ entgegen – und ist dabei nicht der erste: Schon Andy Warhol hat Personen und Objekte aus politischen und kulturellen Zusammenhängen herausgelöst und sich für seinen Kunstkosmos zu eigen gemacht. So übermalte er Diktatorenporträts mit poppigen Farben und stellte sie zusammen mit Alltagsgegenständen ins Museum. Dass der manchmal irre dreinblickende Meese jenseits der Bühne aber nicht nur eine höchst individuelle Philosophie hat, sondern auch Charme und Witz, hat er in der Arte-Sendung Durch die Nacht mit … im Gespräch mit der Schauspielerin Jessica Schwarz offenbart.

Von all dem ist Bushido so weit entfernt wie Nordkorea von der Demokratie. Hinter seinen Versuchen, Lieder zu schreiben, befindet sich kein künstlerisches Konzept, keine Poesie, kein Plan. Schaut man näher hin, bleibt neben dem Fremdschäm-Effekt als Essenz nur die vulgäre Flachzangen-Prosa eines Möchtegern-Musikers übrig, die an Trivialität kaum zu überbieten ist. Auf die Boulevard-Figur Bushido treffen Künstlerkriterien nicht zu: keine Distanz der Person zum Künstler-Ich, keine augenzwinkernde Ironie, kein Charme. Nur die unehrliche Fratze der Scheinheiligkeit, die sich öffentlich auf die Kunstfreiheit beruft, wenn es mal wieder gilt, plumpe Morddrohungen und debilen Schwulenhass als „Kunst“ reinzuwaschen.

Jeder Kreative schafft bessere und schlechtere Werke. Anders als Bushido hat Meese jenseits von Bühnen aber nie Journalisten bedroht und sich öffentlich mit scheinbar demokratiefeindlichen Gruppierungen anfreundet. Meeses Hitler-Gruß, der sich in das philosophisch-künstlerische Gesamtbild des Künstlers einbettet, ist das eine. Das andere ist das asoziale Gehabe eines parasitären Proleten, dessen alleiniger Selbstzweck mediale Aufmerksamkeit ist.

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