Absurde Kraftmeierei

IM GESPRÄCH Alexander Eberth, Rechtsanwalt von »Mehmet«, über ausländische Jugendliche, die es schwer haben, und Behörden, die es sich zu leicht machen

Das Verwaltungsgericht München verhandelt am 2. März darüber, ob »Mehmet«, der im November 1998 von den bayerischen Behörden aus München in die Türkei abgeschoben wurde, nach Deutschland zurückkehren darf. Bevor er strafmündig wurde, hatte er 60 Straftaten begangen. Ein Raubüberfall kurz nach dem 14. Geburtstag trug ihm im Oktober 1998 ein Jahr Jugendhaft ohne Bewährung ein. Sein Anwalt Alexander Eberth vermutet politischen Ehrgeiz hinter der rigiden Haltung der bayerischen Landeshauptstadt und des Freistaates, die in der Verhandlung als Gegenpartei auftreten.

FREITAG: Um was geht es bei der Verhandlung?

ALEXANDER EBERTH: Es geht um die Frage, ob »Mehmet» in Deutschland wieder eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, nachdem die letzte Aufenthaltserlaubnis, die abgelaufen war, nicht mehr verlängert wurde.

Und Ihre Argumente?

Die Sache ist relativ einfach: Inzwischen ist festgestellt worden, dass die große Anzahl der Straftaten, die er begangen hat, bevor er 14 Jahre alt war, für die Ausweisung nicht zum Tragen kommen darf. Damit bleibt nur der Vorhalt, er habe - nachdem er 14 Jahre alt wurde - eine Straftat begangen. Diese müsste so schwerwiegend sein, dass sie einen Ausweisungsgrund darstellt. Wenn man dieses alles prüft und berücksichtigt, dass das Strafgericht das Verfahren eingestellt hat, und offensichtlich keinen großen Wert darauf legt, dass »Mehmet» hier eine Strafe verbüßt, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass diese eine Straftat keinen ausreichenden Grund für eine Ausweisung darstellt. Und wenn dieser Grund nicht besteht, hat er das Recht als hier Geborener auch hier zu leben.

Was wird die Gegenseite sagen ?

Da ist nichts Vernünftiges mehr vorgetragen worden. Außer: Es geht nicht, dass so jemand hier bleibt. Aber das ist kein Gesichtspunkt.

Es gab eine Debatte, forciert unter anderem von der Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und der Bayerischen Staatsregierung, ausländische Straftäter schon vor dem Strafantritt abzuschieben.

Natürlich gibt es die Fälle, dass jemand wegen erheblicher Straftaten zu erheblichen Strafen verurteilt und ausgewiesen wird, um die Strafe im Ausland abzusitzen. Dagegen wehre ich mich nicht. Aber bei »Mehmet» ist das völlig anders. Es geht hier darum, dass man einen Jungen mit 14 Jahren verurteilt hat. Dieses Urteil ist jedoch nicht rechtskräftig geworden. Stattdessen hat man ihn abgeschoben, obwohl man gesagt hat, es sei nicht notwendig, dass er die Strafe abbüßt. Sie ist auch in der Türkei nicht vollstreckt worden.

»Mehmet» wird öffentlich so wahrgenommen, als ob man ihn ohne Polizeibegleitung nicht auf die Straße lassen könnte.

Es ist absurd. Das ist ein von der Politik gesuchter Fall, an dem man politische Kraft deutlich machen wollte. Das hat nichts mit diesem Jungen zu tun. Man wollte exemplarisch zeigen, mit welcher Härte man gegen Ausländer vorgehen will. Es war ja schließlich Bundes- und Landtagswahlkampf, und da hat das Thema gepasst.

Was passiert, wenn sich das Verwaltungsgericht Ihrer Meinung anschließt?

Es wird in jedem Fall ein wegweisendes Urteil sein, weil man sich darüber neu Gedanken machen muss, dass die Botschaft »Integration von Ausländern» ernst genommen werden muss. Und dazu muss man natürlich für Jugendliche, die es schwer haben, in Deutschland zurecht zu kommen, etwas tun und darf nicht nur reden. Deshalb wird der Richterspruch ein Signal sein. Es kann nicht angehen, dass man sich dieser, in Deutschland geborenen Jugendlichen entledigt, vor allem dann, wenn sie in einem rechtschaffenen Umfeld aufwachsen. Der Junge hat zwei Brüder, die sich nie etwas zuschulden kommen ließen. Er hat Eltern, die 30 Jahre lang brav ihre Steuern gezahlt haben.

Gewöhnlich gelten in Prozessen gegen Jugendliche mildere Regeln.

Ja. Aber dieses Verfahren wollte ja zeigen, dass das nicht so ist, und deshalb wehre ich mich dagegen.

Ist es dem bayerischen politischen Klima zu verdanken, wie die Geschichte vonstatten ging?

Das kenne ich auch aus anderen Bundesländern, dass man darüber nachdenkt, wie man mit jugendlichen Straftätern umgeht. Nur die Fälle, die herangezogen wurden, passen nicht zu diesem Fall. Zum Beispiel ein 16-jähriger, der viermal vor Gericht stand, zweimal Bewährung bekam, beim dritten Mal dann keine Bewährung mehr bekam und nachdem er einen Teil verbüßt hatte, noch einmal straffällig wurde. Das sind andere Bedingungen, als wenn man beim ersten Mal schon sagt: So, jetzt reicht es uns. Das sieht das Gesetz bei diesen Delikten nicht vor. »Mehmet» ist kein Mörder, er hat niemanden so geschädigt, dass der für sein Leben gezeichnet wäre, sondern es handelt sich um eine - durchaus sehr negativ einzuschätzende - jugendtümliche Verfehlung.

Werden sich diesem Verfahren weitere Schritte anschließen ?

Wenn entschieden ist, ob »Mehmet» eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen muss oder nicht, ist die Sache abgeschlossen. Ob das in der ersten Instanz erfolgreich zu Ende gehen wird, weiß ich nicht. Schließlich kann ich Rechtsmittel einlegen und die Gegenseite auch, wenn ihr das Urteil nicht gefällt.

Werden Sie sich um einen endgültigen Richterspruch bemühen ?

Dieser Fall schreit geradezu danach, von den obersten Gerichten geprüft zu werden.

Das Gespräch führte Bernd Hein

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