Wacht auf, Verdrängte unserer Städte!

Staat und Wohnungsnot Tim Engartner wünscht sich Wiener Verhältnisse und verweist auf Friedrich Engels. Er lässt aber die Rolle des Proletariats aus und scheut revolutionäre Konsequenzen.

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Herr Engartner wünscht sich staatliche Investitionen im Wohnungsbau. Fast möchte man glauben, die Dinge lägen so einfach, wie er denkt, ist er doch mit Friedrich Engels schon auf der richtigen Fährte.

Leider bleibt aber die Rolle der Mieterinitiativen und Basisstrukturen in seinem Artikel unterbelichtet. Mangels Betrachtung des historischen Zustands des Kapitals fallen seine Lösungsvorschläge dann entsprechend naiv aus.

Die Wohnungsnot ist nicht neu für Deutschland. Schon in den 90er-Jahren war es in den Großstädten - abgesehen von Berlin und Ostdeutschland - erdrückend schwer, Wohnraum zu finden. Die großen Genossenschaften waren auf Normalmaß gestutzt oder ganz abgewickelt und Nepp alltäglich.

Dennoch ist die Situation heute anders. Es geht jetzt nicht mehr um die Erschließung von Extraprofiten für Amigos. Das Problem hat globale Dimensionen. Die historisch niedrigen Zinsen gehen schließlich auf politische Entscheidungen der Zentralbank zurück. Sie waren eine Reaktion auf die Krise von 2008, die zu entscheidenden Teilen eine Immobilienkrise war. Daraus eine günstige Lage für staatlichen Wohnungskauf zu stricken, könnte man perfide nennen, ist aber im Fall von Herrn Engartner wohl eher blauäugig. Natürlich könnte der deutsche Staat jetzt Immobilien von den großen Playern kaufen, aber kaum zu Schleuderpreisen. Und wenn dann die Bedingungen für die Geschäfte der Wohnungsvampire in Deutschland ungünstig werden, warum nicht mit dem Erlös anderswo spekulieren? Soll das also die Lösung sein, Mietheuschrecken fürstlich entlohnen, damit sie dann z.B. den spanischen Markt aussaugen?

Nein! Enteignung ist nur der erste Schritt. Entschädigung kann gar nicht in Frage kommen. Dass Wohnungsspekulation disfunktional ist, liegt ja auf der Hand. Also: Her mit den Wohnungen, meinetwegen für einen symbolischen Euro. Dann aber auch die Wohnungswirtschaft in Mieterhand. Nach dem Staat zu rufen, hieße den Bock zum Gärtner zu machen.

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