Dr. abundans

Karriere Guttenberg und Schavan sind ausgewandert, doch der Kult um den Doktortitel bleibt ein Problem
Ausgabe 09/2015
Eine überflüssige Anstrengung nährt den Mythos, dahinter stünde etwas Höheres
Eine überflüssige Anstrengung nährt den Mythos, dahinter stünde etwas Höheres

Foto: Daniela Schmitter/Imago

Wort für Wort hatte der Doktorand seine Arbeit abgeschrieben – und zwar von einem anderen Doktoranden, der im Jahr zuvor an derselben Fakultät beim selben Betreuer promoviert hatte. Der wiederum hatte seine Arbeit ebenfalls fast komplett aus fremden Quellen übernommen. Solch haarsträubende Abkupfereien in über 20 Medizin-Doktorarbeiten an der Universität Münster hatte die Internetplattform VroniPlag Wiki 2014 dokumentiert. Drei Doktortitel hat die Uni bereits kassiert, weitere könnten folgen.

Die Aufregung um den Promotionsschwindel mag sich gelegt haben, Karl-Theodor zu Guttenberg ist ausgewandert und Ex-Bildungsministerin Annette Schavan pflegt ein unauffälliges Dasein als Botschafterin im Vatikan. Doch der Kult um den Doktortitel bleibt ein Problem.

Das zeigt sich vor allem in der Medizin, wo besonders gern fürs Türschild promoviert wird und Fakultäten Massenplagiate schulterzuckend in Kauf nehmen. Der Wissenschaftsrat, das wichtigste politische Beratungsgremium, hatte mehrfach eine moderate Umbenennung des Medizindoktors angeregt, um die Verwechslung mit ernsthafter eigenständiger wissenschaftlicher Tätigkeit zu vermeiden. Vergeblich. Auf den Titel will niemand verzichten.

Bernd Kramer ist Journalist und Buchautor: Der schnellste Weg zum Doktortitel. Warum selbst schreiben, wenn’s auch anders geht?

Deutschland ist ein Land der Doktoren. 25.000-mal verleihen Universitäten den Grad Jahr für Jahr, international ein Spitzenwert. Es ist eine Obsession mit einer langen Tradition des Betrugs: Im 19. Jahrhundert wurde den klammen Universitäten bewusst, was für ein begehrtes Produkt sie da im Angebot hatten. Für vielbeschäftigte Berufstätige ersannen sie die Absenzpromotion: Wer eine kleine Ausarbeitung plus Gebühr einschickte, bekam postwendend eine Doktorurkunde retour. Unzählige Doktoranden promovierten, ohne die Universität, die ihnen den Grad verlieh, jemals betreten zu müssen.

Kaum etwas anderes scheint narzisstische Bedürfnisse mehr zu bedienen als die zwei Buchstaben vor dem Namen. Das mag daran liegen, dass der Doktorgrad seinen Inhaber zu einem Geheimnisträger adelt: Dissertationen sind Speziallektüre, die kaum ein Publikum findet. Über einen Herrn Doktor lässt sich damit stets spekulieren: Was weiß er, was wir nicht wissen können? Dabei ist das Label im öffentlichen Gebrauch eine Nullaussage: Der Doktor wird auf der Visitenkarte vermerkt, nicht aber das Thema der Dissertation und das Fachgebiet. Hinter dem Titel kann sich eine in wenigen Monaten zusammenkopierte Medizin-Dissertation verbergen ebenso wie die jahrelange Durchdringung philosophiegeschichtlicher Detailfragen.

Eliten erkennen

„Der Sinn des heutigen Doktorats liegt in seiner Überflüssigkeit“, schrieb schon 1930 der Berliner Wirtschaftsprofessor Ignaz Jastrow. Eine formale Zugangsberechtigung ist der Doktor für kaum einen Beruf mehr. Eine überflüssige Anstrengung wiederum nährt den Mythos, hinter dem Doktor stünde etwas Höheres, Größeres. Deswegen eignet er sich so gut als Erkennungszeichen der Eliten. Zumal in Deutschland keine speziellen Elitehochschulen existieren, die Staat und Wirtschaft mit Führungskräften speisen, wie etwa in Frankreich.

Den Doktor gibt seit dem Mittelalter, es ist der älteste und erste Abschluss, den die Universitäten einst vergaben. Wer den Doktor hat, reiht sich scheinbar in eine große Tradition ein. Im Mittelalter ging der Titel mit adelsähnlichen Privilegien einher. Der Doktor beweist nicht nur eine spezifische Eigenleistung, die überhaupt eher eine jüngere Anforderung ist und über Jahrhunderte nie ernsthaft von Promovenden verlangt wurde. Der Doktor beweist auch eine besondere Würdigkeit der Person.

Diese Vorstellung mutet aus heutiger Sicht absurd an. Warum sollte jemand, der eine Doktorprüfung besteht, ehrwürdiger sein als unpromovierte Mitmenschen, die ihre Leistungen in anderen Bereichen erbringen? Trotzdem hält sich im Titel erstaunlich viel von diesem ständischen Denken. Das scheint in der merkwürdigen Institution des Ehrendoktors durch, mit dem Universitäten Wissenschaftler auszeichnen, aber auch Politiker und Unternehmer, die sich für ihre Klientelinteressen einsetzen.

Mit welch überhöhten Vorstellungen der Doktor verbunden ist, zeigt sich auch an der gelegentlichen Scheu, einen Doktor Doktor zu nennen. Joseph Goebbels hatte vor seiner Zeit als NS-Propagandaminister an der Heidelberger Universität in Germanistik promoviert. Ihn mit Titel in den Geschichtsbüchern zu führen würde aber Befremden auslösen. Es mag schwer zu glauben sein: Ein promovierter Mensch ist ein spezielles Exemplar des geprüften Menschen, ein besserer ist er deswegen nicht.

Vor- und Zuname reichen

In einer modernen Gesellschaft sollte der Mensch über Vor- und Zunamen identifizierbar sein. Unterschiede sollen allein auf unterschiedlichen Leistungen gründen. Diesem meritokratischen Prinzip widerspricht der Doktortitel, weil er eine spezifische Leistung über andere stellt, indem er für sie die anlasslose Würdigung verlangt. Kein Architekt großer Gebäude, kein Regisseur herausragender Filme, kein erfolgreicher Unternehmer kann seine Verdienste anredefähig vor dem Namen hertragen.

Eine solch weitreichende Adelung widerspricht auch dem modernen Forschungsverständnis. Wissenschaft bringe keine ewigen Wahrheiten, schrieb einst Max Weber, sie lebe davon, überholt zu werden, zu verfallen, andere zu inspirieren und durch deren Entdeckungen obsolet zu werden. Wie kann aber eine Arbeit, die als Zwischenschritt im Erkenntnisstreben gedacht ist, einen Titel rechtfertigen, der noch auf dem Grabstein aufgeführt wird?

Nichts spricht dagegen, den Doktor abzuschaffen. Zwar sind für die Forschung an den Universitäten heute überwiegend Doktoranden zuständig. Aber dem Erkenntnisdrang lässt sich auch ohne Titel nachgehen, als Projektmitarbeiter an einem Institut etwa, was sich im Lebenslauf dokumentieren lässt statt auf der Visitenkarte. Wie alles andere auch. Ohne Titel für die Ewigkeit.

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