Erst studieren, dann zahlen

Hochschule Ein Bundesland nach dem anderen schafft die Studiengebühren wieder ab. Die Unis bangen um Geld – aber es gibt eine Alternative, die sogar gerechter wäre

Es gibt Grund zum Feiern. 300 Studenten drängen sich im AStA-Café, Plakate an den Wänden erinnern an die Streiks und Hörsaalbesetzungen, eine nostalgische Reminiszenz an lange Schlachten, die geschlagen scheinen: Im Februar hat der nordrhein-westfälische Landtag beschlossen, dass ab dem Wintersemester keine Studiengebühren mehr anfallen.

Kaum eine Idee in der Hochschulpolitik ist mit so viel hochtrabendem Pathos begründet worden und dann so schnell so tief gefallen. Gerade einmal sechs Jahre nach der Einführung räumt nun ein Bundesland nach dem anderen die Studiengebühren wieder ab. Mit NRW wird nach einem Kleinkrieg zwischen Linken und der rot-grünen Minderheitsregierung jetzt das studentenreichste Bundesland gebührenfrei. In Baden-Württemberg soll das Bezahlstudium zum Sommersemester 2012 auslaufen. Den Anfang machte 2008 Hessen, wo die Campus-Maut selbst nach dem schwarz-gelben Wahlsieg nicht wieder eingeführt worden ist. Von den sieben Ländern, die sich einst für Gebühren entschieden, halten derzeit noch Bayern und Niedersachsen daran fest. Im Osten wurden sie selbst dort nie eingeführt, wo CDU und FDP regieren.

Nicht alle mögen auf das Gebühren-Ende anstoßen. Ulrich Müller, Experte am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) bekennt: „Eine gewisse Enttäuschung kann ich nicht leugnen.“ Kaum jemand hatte so vehement für die Gebühren geworben wie das von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte CHE. Inzwischen räumt Müller ein, dass es nicht gelungen sei, den Nutzen zu vermitteln. Das Bezahlstudium, ein kommunikatives Desaster.

Kassiererin und Arztsohn

Das dürfte daran liegen, dass es stets viel Fantasie brauchte, um das feierlichste Argument der Gebührenbefürworter nachzuvollziehen: Es sei sozial ungerecht, dass die Kassiererin im Supermarkt mit ihren Steuern das Studium des Arztsohnes finanziere. Das stimmt zwar. Aber wenn die Kassiererin ihre Kinder wegen der Gebühren gar nicht erst an die Universität schickt, ist nicht viel mehr Gerechtigkeit gewonnen.

Nun muss man fairerweise dazu sagen, dass man nur schwer einschätzen kann, wie stark Gebühren Kinder aus bildungsfernen Familien tatsächlich von einem Studium abschrecken. Die Forscher des Hochschul-Informations-Systems gehen in ihrer jüngsten Studie davon aus, dass mindestens drei Prozent aller Studienberechtigten den Unis wegen der Gebühren ferngeblieben sind, aber acht Prozent derjenigen Abiturienten, deren Eltern selbst nicht studiert haben. Das mag nicht dramatisch klingen. Die meisten Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern scheitern allerdings schon viel früher, in der Schule. Wer es von ihnen bis zum Abitur schafft, beißt vielleicht eher die Zähne zusammen und berappt 500 Euro. Die meisten kommen gar nicht erst in die Situation, sich durch Studiengebühren abschrecken zu lassen.

Bildungsökonomen diskutieren seit längerem eine Alternative, welche die Hochschulen für Kinder aus finanzschwachen Familien offen hält: eine einkommensabhängige Akademikerabgabe. Verschiedene Modelle kursieren, doch ihr Kern ist ähnlich: Jeder Absolvent zahlt nach dem Abschluss für eine bestimmte Zeit einen bestimmten Prozentsatz seines Einkommens an die Hochschule zurück. In Großbritannien schlug ausgerechnet die liberal-konservative Regierung im vergangenen Jahr ein ähnliches Konzept vor – und griff damit eine Forderung von Studentenvertretern auf. Hierzulande ist die Idee von der Politik bisher seltsam unberücksichtigt geblieben. Dabei wäre sie wirklich ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Der Arztsohn muss seine Privilegien selbst mitfinanzieren und die Kassiererin könnte ihre Kinder trotzdem mit weniger Bedenken studieren lassen.

Wie eine Risikoabsicherung

„Ein solches Modell ist wie eine Risikoabsicherung“, sagt Dieter Dohmen, Leiter des privaten Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Das würde vor allem Abiturienten aus bildungsfernen Familien die Entscheidung erleichtern, in denen niemand die Kosten und Nutzen eines Studiums aus eigener Erfahrung abschätzen kann. Sie zahlen hinterher nur, wenn sie auch gut verdienen, und umso mehr, je besser sie verdienen.

Damit fängt die Akademikerabgabe ein weiteres Problem ab, zumindest teilweise. Seit Jahren driften in nahezu allen Industrieländern die Löhne auseinander, auch in Deutschland. Sozialwissenschaftler sind sich einig, dass Bildung eine der treibenden Kräfte dieser Entwicklung ist. Es sind vor allem die Einkommen der Akademiker, die den Verdiensten der übrigen Bevölkerung davoneilen. Wenn die SPD wie vor der Bundestagswahl 2009 einen Bildungssoli vorschlägt, geht sie von der gleichen Logik aus – nur dass bei einem Aufschlag auf die Einkommenssteuer niemand gewährleisten kann, dass das Geld wirklich in die Bildung fließt statt in Haushaltslöcher.

Zugegeben: Eine Akademikerabgabe allein bringt noch nicht die Arbeiterkinder an die Unis, die schon in der Schule aussortiert werden, sie allein kann kein schlechtes Steuersystem retten und mit ihr erübrigt sich keineswegs eine Debatte über die dringend nötige Vermögenssteuer. Die Umverteilung, die sie erwirkt, ist klein und allenfalls eine Ergänzung. Aber es wäre ein Signal. Die Absolventenabgabe könnte tatsächlich ein Gerechtigkeitsprojekt werden, das Studiengebühren nie waren.

In Hamburg war man der Idee einer Akademikerabgabe zeitweise recht nahe. Die schwarz-grüne Koalition beschloss 2008, die Gebühren von 500 auf 375 Euro zu senken – und die Studenten erst nach ihrem Abschluss zur Kasse zu bitten. Dies auch nur dann, wenn sie im Jahr mehr als 30.000 Euro brutto verdienen. Nach dem Wahlsieg der SPD sollen die Gebühren nun jedoch ganz wegfallen. Für Bildungsökonom Dohmen ist das ein Schritt zurück mit ungewissen Folgen: „Die Tatsache, dass wir zu wenige Studienplätze haben und die Unis dringend Geld brauchen, wird bei der Abschaffung der Studiengebühren geflissentlich verdrängt.“

Anteilseigner an der Karriere

Allerorten versprechen die Landesregierung den Hochschulen zwar Ausgleichzahlungen, allein NRW möchte sie mit 249 Millionen Euro jährlich für die wegfallenden Studiengebühren kompensieren. Aber was zählt ein solches Versprechen? Nicht nur Gebührenverfechter verweisen auf das Beispiel Hessen, wo die Landesregierung die Hochschulen zunächst entschädigte, aber kurz darauf den Wissenschaftsetat an anderer Stelle zusammenstrich.

Eine Akademikerabgabe flöße dagegen direkt an die Hochschulen und nicht erst in den Staatssäckel. Das hat sie mit den Studiengebühren gemeinsam. Aber anders als diese schafft sie einen wirklichen Anreiz, in die Verbesserung der Ausbildung zu investieren und nicht nur in hübsche neue Computerräume. „Die Universität würde gewissermaßen zum Anteilseigner an der Karriere ihrer Absolventen“, sagt der Kölner Personalwirtschaftsprofessor Dirk Sliwka, der die Wirkung einer Akademikerabgabe untersucht hat. Je erfolgreicher sie sich hinterher auf dem Arbeitsmarkt behaupten, desto stärker profitieren die Unis.

Bestenfalls bewegt das manche Hochschule dazu, sich mehr um die Sorgenkinder etwa in den Geisteswissenschaften zu kümmern, ihnen beim Berufseinstieg zu helfen. Schlimmstenfalls bildet sie statt Byzantinisten nur noch Betriebswirte aus, das wissen auch die Verfechter einer Akademikerabgabe. „Ohne eine Art Finanzausgleich zwischen den Fächern wird es nicht gehen“, sagt Sliwka. So verlockend das Konzept einer klingt – sie umzusetzen würde alles andere als unbürokratisch.

Aber das war bei Studiengebühren nie anders.

Bernd Kramer ist Volkswirt und freier Journalist. Er lebt in Köln

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