Toni Kroos hat mit Mitte 20 erreicht, wovon viele kleine Jungen auf den Bolzplätzen träumen: Er spielt in der deutschen Fußballnationalmannschaft, verdient rund zwölf Millionen Euro im Jahr bei Real Madrid, ist ganz oben angekommen. In einem Interview wurde Kroos einmal gefragt, ob ihn manchmal noch diese Mischung aus Ehrfurcht und Ungläubigkeit beschleicht, wenn er das Gelände von Real Madrid betritt. Ich, hier? Wirklich?
Er sei kein enthusiastischer Typ, sagte Kroos. „Ich sehe einfach auch die Arbeit, die ich reingesteckt habe, um bis hierhin zu kommen.“ Talent, Leistung, Willenskraft, Arbeit: Niemand würde bestreiten, dass diese Fähigkeiten für den Erfolg wichtig sind, nicht nur bei Profi-Fußballern. Aber vielleicht gibt es da noch einen weiteren Faktor? Den Zufall? Gut möglich, dass Toni Kroos schlicht sein Geburtsdatum geholfen hat: Er kam nämlich an einem 4. Januar auf die Welt.
Auffällig viele Top-Spieler haben zu Jahresanfang Geburtstag. Tübinger Sportwissenschaftler ermittelten, dass 61 Prozent der Nachwuchsspieler in der Talentförderung des Deutschen Fußballbundes in den ersten sechs Monaten des Jahres zur Welt gekommen sind. In anderen Mannschaftssportarten verteilen sich die Geburtstage der Spieler ebenfalls sehr ungleichmäßig aufs Jahr. Als Erster stieß der Sportpsychologe Roger Barnsley in den 80er Jahren auf das Phänomen, als er bei einem Hockey-Spiel gelangweilt im Programmheft blätterte und feststellte, wie viele Teammitglieder im Januar, Februar oder März geboren worden waren. Wie kann das sein? Stählt eine Geburt in Monaten mit Eis und Schnee die Muskeln? Oder sollte man womöglich die Astrologie doch ernst nehmen?
Das Glück der Januar-Kinder
Das Phänomen beeinflusst nicht nur Karrieren im Sport. Als amerikanische Wissenschaftler vor einigen Jahren die Geburtsdaten der Vorstandsvorsitzenden der 500 größten börsennotierten Unternehmen des Landes auswerteten, stießen sie auf ein ähnliches Muster: Außergewöhnlich wenige Spitzenmanager wurden im Sommer geboren. Es sind Beobachtungen wie diese, die grundlegend erschüttern müssen, wie wir über Erfolg denken. Wie wir über Reichtum und Armut urteilen – und wie wir darüber diskutieren, welche Ungleichheit wir in einer Gesellschaft zu ertragen bereit sind und welche nicht. Es sind eben nicht allein Talent, Leistung, Willenskraft, Anstrengung. Über unseren Platz in der Gesellschaft bestimmen oft auch Einflüsse, die wir nicht in der Hand haben.
Dass die Chancen eines Kindes am Geldbeutel der Eltern hängen, ist da nur das augenfälligste und am besten dokumentierte Skandalon. Sozialforscher stoßen reihenweise auf fast schon bizarre Einflüsse auf Einkommen, Status und Erfolg. Eine Auswertung der Daten von 222.924 Mitgliedern des deutschen Internet-Karrierenetzwerks Xing ergab, dass Angestellte namens Kaiser, König oder Fürst häufiger befördert werden als die Kollegen Becker, Bauer, Schäfer – wohl wegen der Assoziationen, die die Namen auslösen, vermuten die Forscher aus Cambridge und Paris.
Eine andere Studie zeigte: Ökonomen an amerikanischen Universitäten machen umso leichter Karriere, je weiter vorn sie mit ihrem Nachnamen im Alphabet stehen, sogar die Chancen auf einen Nobelpreis verbessern sich mit dem richtigen Initial – eine Folge der Konvention, wonach Autoren bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen alphabetisch aufgeführt werden. Bei den Psychologen, deren Disziplin dieser Sitte nicht folgt, waren entsprechende Vorteile jedenfalls nicht auszumachen.
Und auch für die auffällig gelegenen Geburtstage von Spitzensportlern fanden Forscher eine einleuchtende Erklärung. Es liegt an den Stichtagen, die Vereine nutzen, um aus Kindern eines Jahrgangs ein Team zu bilden. Meist ist es einfach der 1. Januar. Wer zu Jahresanfang geboren wurde, gehört daher automatisch zu den älteren Spielern. Wer kurz vor Silvester auf die Welt kam, bleibt praktisch immer das Nesthäkchen der Mannschaft. Wenige Monate Altersunterschied können bei Kindern aber schon einen großen Unterschied in der körperlichen Entwicklung bedeuten: Die Januar-Kicker wirken daher oft stärker. Sie werden von ihrem Trainer deshalb vielleicht eher gefördert und haben die besseren Chancen, für eine höhere Mannschaft nominiert zu werden.
Zufall in der Geschichte
Hätte der DDR-Politiker Günther Schabowski seinen Notizzettel ordentlicher beschriftet, wäre vielleicht alles anders gekommen. Ab wann die Reisefreiheit gelte, fragte ihn ein Journalist im November 1989. Schabowski fand die Information nicht, antwortete „sofort, unverzüglich“, und noch am selben Abend ging die Mauer auf.
Kleine Zufälle mit großer Wirkung ziehen sich durch die Menschheitsgeschichte: Der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand konnte im Juni 1914 in Sarajevo nur erschossen werden, weil sein Fahrer falsch abbog. Adolf Hitler entkam der Bombe eines Attentäters wegen einer Nebelwarnung.
Die griechischen Stoiker verglichen die Weltgeschichte mit dem Abrollen eines Seils: Alle Entwicklungen gehörten für sie zusammen. Auch die moderne Geschichtswissenschaft hielt bis ins 20. Jahr-hundert hinein wenig vom Zufall. Dafür löst die Frage heute mitunter produktive historische Debatten aus:War etwas Zufall oder zwangsläufig? Oft gibt es keine eindeutige Antwort
Ähnlich erklärt sich die Sommerdelle bei den Wirtschaftsbossen, die offenbar nachhaltig von einem kleinen Altersvorsprung bei der Einschulung profitieren. Wer im Juni oder Juli geboren wurde, kurz vor dem Stichtag, hat oft das Nachsehen. Die Klassenjüngsten werden, wie Forscher herausfanden, seltener zum Kapitän einer Sportmannschaft ernannt oder auch als Hauptdarsteller bei einer Aufführung im Schultheater gewählt. Wer dagegen im Herbst oder Winter seinen Geburtstag feiern kann, kann schon früh lernen, sich wie eine geborene Führungskraft zu fühlen.
Natürlich ist nicht jeder Zufall gleich. Mal ist damit ein Ereignis gemeint, das ohne Grund und Erklärung passiert. Mal eines, das lediglich außerhalb unserer Kontrolle liegt. Die Übergänge zwischen unbewusster Benachteiligung, bewusster Diskriminierung und unabänderlichem Fatum sind auch fließend. Manchen dieser vielen Zufälle kann man begegnen, anderen nicht. Den Sommerkindern könnte man helfen, indem man Klassen nach Jahreszeiten bildet: In der 1a bleiben etwa die unter sich, die kurz vor dem Stichtag geboren wurden; die Winterkinder besuchen die Parallelklasse. Aber Zufälle bringen es mit sich, dass sie unabsehbar sind. Schaltet man den einen aus, ploppen gleich ungeahnt neue auf.
Formeln aus der Chaostheorie
Zurzeit wird viel diskutiert, warum die Ungleichheit größer geworden ist in den vergangenen Dekaden – in Deutschland ebenso wie in anderen Industrieländern. Ohne die politischen Faktoren in Abrede stellen zu wollen, die diese Entwicklung begünstigt haben: Ein Teil der Erklärung könnte schlicht auch darin liegen, dass Zufälle heute stärker als früher Laufbahnen und Einkommen bestimmen, die erklärbaren genauso wie die unerklärlichen.
Forscher der Wirtschaftsuniversität Wien haben bei den Befragungen ihrer Absolventen eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht. Karrieren werden immer schwerer vorhersehbar. Früher bedeutete ein Jobwechsel mehr Einkommen und Status, heute kann sich dahinter ein Aufstieg, Abstieg oder Ausstieg gleichermaßen verbergen. Das Hin und Her in den Absolventendaten lässt sich mathematisch zunehmend besser mit Formeln aus der Chaostheorie beschreiben. Die festgelegten Laufbahnen werden brüchig, die Verträge flexibler, die Bedingungen prekärer.
Der US-Ökonom Robert H. Frank, der kürzlich ein viel beachtetes Buch über die Zufälligkeit des Erfolgs veröffentlicht hat, glaubt, dass viele Arbeitsmärkte heute einem unheilvollen Muster folgen, das bisher nur für Superstars galt. Also für Musiker, Künstler, Bestsellerautoren, Spitzensportler. Nehmen wir das Feld der Musik: Wer sie hören wollte, hatte dafür über Jahrhunderte nur die Möglichkeit, vor Ort ins Konzert zu gehen. Den vielen Sängern im Land sicherte das lange ein gutes Auskommen. Als aber die Schallplatte erfunden wurde und das Radio begann, Musikaufführungen zu übertragen, änderte sich der Markt schlagartig: Wenige Spitzenverdiener versorgten fortan eine ganze Nation mit Melodien – und viele lokale Musiker krebsen seitdem am Existenzminimum herum. Es gibt wenige Stars und Unzählige, denen kaum noch etwas vom Markt bleibt. Mit Talent und Leistung sind die gewaltigen Unterschiede beim Verdienst schwer zu erklären, mit Zufälligkeiten schon eher.
Das zeigt ein Experiment von drei amerikanischen Soziologen: Sie bastelten eine Internet-Musikbörse und stellten dort 48 Songs von unbekannten Indie-Bands zum Download bereit. Die Forscher teilten die Nutzer des „Music Lab“ nach dem Zufallsprinzip in Gruppen ein – und beobachteten, wie unterschiedlich die Hitlisten ausfielen. Lieder, die mal an der Spitze standen, floppten in anderen Gruppen. Entscheidend für das Schicksal eines Songs ist, wie viele Downloads er bereits hat: Was populär ist, wird noch populärer. Was bisher nicht auf Interesse stieß, wird von den Nutzern auch weiterhin kaum beachtet. Diese Dynamik sorgt dafür, dass der Erfolg eines Musikstücks im Wesentlichen davon abhängt, ob die ersten Hörer es zufällig mochten oder nicht. Wenn die gerade in einer nicht zu diesem Musikstück passenden Stimmung waren oder auch einen grundsätzlich anderen Geschmack haben, heißt es schlicht: Pech gehabt.
Nach ähnlich wackeligen Prinzipien funktioniert heute eine Reihe von Märkten, meint Robert H. Frank: die Wissenschaft, in der wenige Forscher einen Großteil der Fördermittel einstreichen, die Medien, die Internetwirtschaft, in denen Giganten wie Facebook oder Google alle anderen abhängen. Und auch die explodierenden Managervergütungen mögen mit solchen Superstar-Phänomenen zu tun haben. Immer häufiger geben damit winzige, unverhältnismäßige Unterschiede den Ausschlag zwischen denen, die alles haben – und denen, die nichts bekommen.
Zufall in der Wissenschaft
„Wenn meine falschen Ziffern den Tatsachen nahegekommen sind, dann geschah es aus reinem Zufall“, schrieb ein zweifelnder Johannes Kepler. Er erkannte nicht, dass er mit diesen Ziffern kurz vor der Entdeckung der Gravitationskraft stand, die später dann Isaac Newton beschrieb. Anders als viele Wissenschaftler überschätzte Kepler den Zufall. Sonst hat dieser dem wissenschaftlichen Fortschritt aber oft geholfen: Röntgenbilder entstanden dadurch, dass Wilhelm Röntgen 1895 mit Kathodenstrahlen experimentierte und dabei Fotopapier durchleuchtete, das sich in der Nähe befand, weil er Hobbyfotograf war. Und der Arzt Alexander Fleming hatte es im September 1928 eilig, in den Urlaub zu fahren: Er ließ ein Laborgefäß mit einem gefährlichen Keim offen auf dem Labortisch stehen. Drei Wochen später kehrte er zurück und fand eine verschimmelte, pilzbewachsene Masse vor. Dieser Pilz tötete Bakterien ab. Das so entdeckte Penicillin rettete als Antibiotikum schon unzählige Menschenleben
Fatalerweise hat unser Alltagsdenken einen blinden Fleck bei allem Zufälligen. Es blendet aus, was willkürlich, unbegründet und einfach so passiert. Stattdessen folgt es falschen Fährten und deklariert dabei als Verdienst, was reinste Lotterie war, gerade in der eigenen Biografie. Und das nicht einmal unbedingt aus Arroganz – sondern weil wir systematisch Denkfehler begehen. Wir erinnern uns an tatsächlich Geschehenes und vergessen dafür ausgelassene Alternativen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt noch genauso möglich gewesen wären. Wir überschätzen den Wirklichkeitssinn im Verhältnis zum Möglichkeitssinn, würde der österreichische Schriftsteller Robert Musil dazu sagen. Sein Großroman Der Mann ohne Eigenschaften kreist genau um diesen Unterschied und das Bewusstsein all der ausgelassenen Alternativen.
Uns bleibt das Selbsterlebte stärker im Gedächtnis als die günstige Konstellation in unserem Umfeld. Einem Profi-Fußballer, der sich einen Reim auf seine Karriere machen will, fallen die vielen Stunden auf dem Platz ein, der Schweiß, der Muskelkater. Die Einflüsse auf seinen Erfolg, die er nicht so unmittelbar fühlt, verschwimmen in der Erinnerung: die Eltern, die bei jedem Spiel von den Rängen applaudierten, der Vorteil der frühen Geburt, die ihn ein kleines bisschen schneller und kräftiger machte als die Mitspieler, der Talentscout, der an einem Tag vorbeischaute, als er gerade nicht mit Muskelfaserriss auf der Bank saß.
Lohnt sich Leistung?
Im Nachhinein scheint der Erfolg vielleicht nicht unausweichlich, aber doch sehr viel plausibler, als er in Wirklichkeit ist. Es läuft wie bei den Reizwort-Aufsätzen in der Grundschule: Aus ein paar Stichworten erfindet man eine Geschichte, die man für seine Karriere hält. Psychologen sprechen vom Rückschaufehler, der eine Laufbahn wie eine geradlinige Folge logischer Schritte erscheinen lässt, obwohl wir doch eher durchs Leben stolpern.
Eine Ideologie, die besagt, dass es gerecht ist, wenn der Tüchtige belohnt wird, begünstigt solche Denkfallen dabei zusätzlich. In den 50er Jahren prägte der britische Soziologe Michael Young den Begriff, der im Hintergrund all der Beschwörungsrufe steht, dass Leistung sich lohne müsse: Meritokratie. Die Herrschaft der Verdienten. Young entwirft eine Gesellschaft, in der sich der soziale Status eines jeden aus der Summe aus Intelligenz und Anstrengung ergibt. Was heute viele vergessen: Young verstand seine Meritokratie keineswegs als Idealbild einer Gesellschaft, sondern mindestens auch als ambivalente, sogar eher düstere Zukunftsvision. Später bereute Young, dass seine Wortschöpfung eine Ideologie begründet hatte statt die Kritik an ihr.
In Youngs Großbritannien des Jahres 2034 herrscht schon in der Schule strenge Auslese, gefördert wird, bei wem der Intelligenztest das größte Potenzial anzeigt. Permanente Leistungskontrollen garantieren, dass in den Unternehmen nur die Besten nach oben kommen. Eine Meritokratie, das zeigt sich schnell, ist kein angenehmer Ort. Sie entpuppt sich als brutale Leistungsdiktatur, in der die sozialen Gegensätze schroffer sind als zuvor – und die Ironie in Youngs Geschichte ist, dass Sozialdemokraten die Entwicklung vorantrieben. Statt die Ungleichheit anzuprangern, beschränkten sie sich auf die scheinbar unstrittige Forderung nach Chancengleichheit und einem Ende ererbter Privilegien. Auch klugen Kinder der Arbeiterklasse sollten alle Karrieren offenstehen.
Ein genauer Blick auf die Utopie einer reinen Leistungsgesellschaft lohnt, weil diese Argumentation unsere Gesellschaft prägt: Nicht die Einkommensunterschiede an sich seien das Problem, heißt es gern. Entscheidend sei allein, dass jeder eine faire Gelegenheit bekomme, sich eine privilegierte Position zu erarbeiten. Aber dieser Gegensatz führt in die Irre, weil Chancen und Ergebnisse nicht so einfach zu entfädeln sind: Wann ist Reichtum verdient, wann unfairer Wettbewerbsvorteil? Wo fängt Leistung an, wo hören Chancen auf? Und welche Zufälligkeiten müssen beseitigt sein, damit man wirklich überall von gerechten Startbedingungen sprechen kann? Der Beruf der Eltern ist vielleicht ein Zufall, der auf die Laufbahn eines Kindes keinen Einfluss haben sollte. Aber was ist mit angeborener Begabung, einer robusten Persönlichkeit, einem Geburtsdatum im Januar? Zufällig ist das genauso.
Verlorene Selbstachtung
Vor der Meritokratie, schreibt Young, stellte man sich die sozialen Klassen heterogen vor. Es war selbstverständlich, dass es Kluge und Tüchtige in den unteren Schichten gab, genauso wie Dumme und Faule in den oberen. In gewisser Weise wirkte das wie ein Kitt: Niemand konnte mit Inbrunst behaupten, er habe sich seinen Posten als großer Boss verdient – weil man es schlicht nicht mit Sicherheit wissen konnte. Die Gesellschaft wirkte zwar unfair, willkürlich und ineffizient, aber solange es kein klares Selektionskriterium gab, konnte man sich immerhin der Illusion hingeben, im Grunde seien die Menschen doch alle gleich.
Funktioniert die Bestenauswahl erst einmal, braucht sich die Elite dagegen nicht mehr mit Selbstzweifeln zu plagen. In der Meritokratie muss sich niemand rechtfertigen für seinen Reichtum. Aber die untere Schicht verliert ihre Selbstachtung. Im meritokratischen Denken sei sie nun nicht mehr aus Zufall oder Diskriminierung benachteiligt, heißt es bei Young, sondern weil sie nachweislich minderwertig sei. Wo der Erfolg allein auf Leistung beruhen soll, ist jeder Misserfolg ein persönliches Versagen. Die Meritokratie ist erbarmungslos.
Dennoch hält sich der Leistungsmythos hartnäckig. In einer Umfrage des Allensbach-Instituts sagte eine Mehrheit von53 Prozent, Leistung lohne sich in unserem Land. Je höher das Einkommen, desto höher die Zustimmung: Unter denjenigen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 3.000 Euro und mehr bejahten 63 Prozent die Aussage. Das mag man als Besitzstandsdenken interpretieren, als Ausdruck eines Klassenkampfes von oben. Es ist aber auch das Ergebnis einer kognitiven Verzerrung: Den Zufall unterschätzt, wer am stärksten von ihm begünstigt ist.
Erfolgsverwöhnte unterliegen besonders bereitwillig dem Denkfehler, sich ihr Glück verdient zu haben. Mit gravierenden Konsequenzen: Der Glauben der Reichen an ihre eigene Leistung, schreibt der Ökonom Frank, trägt dazu bei, dass die Spitzensteuersätze sinken, sich die öffentlichen Kassen leeren, dass Geld für Bildung und Sozialleistungen fehlt – was bedeutet, dass Menschen noch mehr auf reines Glück angewiesen sind, um es zu Erfolg zu bringen. Ein Teufelskreis. Was tun?
Robert H. Frank berichtet von einem Experiment: In einer Internet-Auftragsbörse rekrutierte eine Doktorandin Freiwillige. Angeblich für einen Test, zuvor sollten sich die Teilnehmer jedoch an ein gutes Ereignis ihres Lebens erinnern. Einen Teil der Probanden bat sie, ihre persönlichen Verdienste um dieses Ereignis aufzulisten. Viele nannten Entschlusskraft, harte Arbeit oder bedachte Entscheidungen. Die andere Gruppe sollte notieren, welche äußeren Umstände zu dem Ereignis beigetragen hatten: der Zuspruch der Ehefrau, fürsorgliche Lehrer, finanzielle Unterstützung – das waren Faktoren, die den Probanden einfielen. Und oft schlicht: Glück. Nach dem Test bekamen die Teilnehmer die Gelegenheit, einen Teil ihrer Aufwandsentschädigung für einen guten Zweck zu spenden. Die Probanden, die sich an äußere Umstände ihres Erfolgs erinnert hatten, stifteten 25 Prozent mehr als jene, die nach dem persönlichen Verdienst gefragt wurden. Wer sich den Zufall bewusst macht, teilt bereitwilliger.
Mit dieser Erkenntnis ließe sich auch manche Verteilungsdebatte leichter führen. Die Vorstellung, sein sauer Erarbeitetes an den Staat abführen zu müssen, mag bitter schmecken. Mit einem Spitzensteuersatz auf das Quantum Glück lebt es sich dagegen sehr viel leichter.
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