Synergie ist ziemlich out, Globalisierung muss man schon noch erwähnen, wer aber im trauten Kreis der 60 Partygäste nicht wenigstens einmal "New Economy" fallen lässt, outet sich als unverbesserlicher Prolet. New Economy hat aus landläufiger Sicht irgendwie mit Hightech zu tun und vor allem mit viel Geld. Das ist nicht falsch. Eine Präzisierung bietet Ulrich Klotz von der IG Metall, wenn er sagt, dass "es bei Âalter und Âneuer Ökonomie nicht um alte und neue Wirtschaftszweige geht, sondern um Bereiche, für die unterschiedliche ökonomische Regeln gelten". Der britische Gewerkschafter Peter Skyte, der sich seit langem mit dem Thema Informationsgesellschaft befasst, erläutert den Unterschied an einem immer wieder leicht variierten Beispiel: Wenn ein Mensch einem anderen einen Apfel verkauft, hat er keinen Apfel mehr, dafür aber Geld. Beim Tauschpartner ist es umgekehrt. Verkauft der Mensch aber anstatt eines Apfels eine Information, hat er danach Geld, die Information aber haben beide.
Dass die Ökonomie hier anders verläuft als in der altbekannten Warenwirtschaft, ist leicht einsehbar. Zu bewerten, was da im Einzelnen geschieht, fällt derzeit allerdings schwer, da die Ökonomen gerade erst ein Instrumentarium dafür entwickeln. Ein Ansatzpunkt ist die sogenannte Ökonomie der Aufmerksamkeit. Da die Menschen im Internet nicht danach lechzen, Informationen zu finden, die sie bezahlen wollen, sondern umgekehrt von kostenlosen Informationen erschlagen werden, muss die Aufmerksamkeit der Menschen geweckt werden. Der Wert der Information definiert sich darüber, wie die Aufmerksamkeit der Menschen gewonnen werden kann. Die Idee, dass Zeit zu einem ökonomisch knappen Gut wird, hat bereits 1973 der US-Soziologe Daniel Bell in seiner Analyse der postindustriellen Gesellschaft formuliert.
Eine andere Unterscheidung zwischen alter und neuer Ökonomie: In der alten spielen als Kapital vor allem Gebäude, Maschinen, Rohstoffe die entscheidende Rolle, in der neuen das Wissen der Menschen, das sogenannte Humankapital. Der Begriff hat sich inzwischen eingebürgert. Früher war vor allem im Englischen zumeist von "human resources" die Rede, was exakter ist, denn Ressourcen beutet man für gewöhnlich aus. Wer zum Beispiel eine Suchmaschine für das Internet bauen will, braucht außer einigen leistungsstarken PCs vor allem Leute, die programmieren können. Da für eine solche Aufgabenstellung etwas mehr als eine Handvoll Programmierer nötig sind, müssen diese schnell und effektiv miteinander kommunizieren können. Dienstwege, Hierarchien, Berichterstattungspflicht und ähnliche Strukturen klassischer Arbeitsorganisation sind da absolut hinderlich. Schnelles und marktnahes Handeln ist gefragt. Wie organisiert man das?
Der Kernpunkt heutiger Arbeitsorganisation liegt darin, die Beschäftigten unmittelbar mit dem Markt zu konfrontieren. So muss ein Team, eine Gruppe ein bestimmtes Marktsegment bedienen und dort erfolgreich sein, wobei unternehmerische Kriterien, wie Umsatz, Marktanteil oder Gewinn als Maßstab dienen. Macht das Team Fehler, wird es nicht im herkömmlichen Sinne bestraft, sondern muss einfach die Folgen selbst tragen. Das bedeutet: Der Unternehmer gibt seine Rolle als befehlende und strafende Instanz auf und beschränkt sich darauf, die Rahmenbedingungen zu setzen: Etwa festlegen, wie der Umsatz oder der Marktanteil entwickelt werden muss, soll der entsprechende Geschäftsbereich nicht aufgegeben werden.
Das bringt für die Arbeitnehmer neue Zwänge und für die gewerkschaftliche Interessenvertretung das Problem, wie Arbeit gemessen wird. Da die Arbeitszeit als klassische Messgröße ausfällt, müssen Zielvereinbarungen getroffen werden, was nicht ganz einfach ist. Auf der anderen Seite bietet eine solche Organisation den Beschäftigten die Chance, in großer Autonomie ihre Arbeit zu verrichten, unabhängig von Hierarchien ihre Fähigkeiten und Kreativität einzubringen.
Subversion in 95 Thesen
Wenn herkömmliche Begriffe versagen und traditionelle Hierarchien nicht mehr wirken, dann ist es bekanntlich an der Zeit, wie in Wittenberg 95 Thesen an die Kirchentür zu nageln. In den USA sorgt gegenwärtig ein Manifest für Furore, das den Geist der Reformation beschwört, der die Geschäftswelt unterwandert. These 1 klingt noch harmlos: "Märkte sind Gespräche." Deutlicher die Thesen 14 bis 16: "Was in den Märkten geschieht, stimmt auch für die Mitarbeiter. Nur ein metaphysisches Konstrukt namens Firma steht zwischen Märkten und Mitarbeitern ... Schon bald wird uns die gängige Stimme des Geschäftslebens, die Sprache der Corporate Identity und der Prospekte, so affektiert vorkommen wie die Sprache der barocken Fürstenhöfe." Drohend schließlich These 95. "Wir sind aufgewacht und verbinden uns miteinander. Wir warten nicht."
"The Cluetrain Manifesto" nennt sich dieses postmoderne Lutherat und ist auf der Basis einer Internet-Kommunikation zwischen vier Beschäftigten aus der New Economy entstanden - so etwas wie eine Anti-Sonntagsrede von Leuten, die wissen wovon sie sprechen (www.cluetrain.com). Es war - so Christopher Locke, einer der Autoren - für die Unternehmen schon schwer genug zu erkennen, dass die Beschäftigten tatsächlich wissen, was sie tun. "Aber es ist harte Arbeit, die Veränderungen durchzusetzen, die nötig sind, um den Beschäftigten ihr Wissen zu entlocken. In den meisten Fällen ist diese Arbeit nicht nur nicht beendet, sie hat noch nicht einmal begonnen."
In den Unternehmen, so Locke weiter, ist das Verhältnis von Beschäftigten und Unternehmensleitungen: "Total vergiftet. Wenn man genauer hinsieht, haben die Unternehmen ausnahmslos die Verhältnisse so arrangiert, dass sie den Menschen nicht zutrauen, die Initiative zu ergreifen, engagiert zu sein oder motiviert, intelligent, kreativ, innovativ. Das ist eine lange traurige Geschichte mit Wurzeln, die in die Epoche der frühen Industrialisierung zurückreichen."
Die Arbeitgeber - um im Mekka der New Economy, den USA, zu bleiben - möchten gerne ihre Chancen aus der neuen Arbeitsorganisation nutzen, aber das alte Kommandosystem dafür nicht aufgeben. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Finanzchef von American Express, Richard Karl Goeltz, zum Beispiel plauderte seine Sicht - mit Blick auf Telearbeit - gegenüber einem Wirtschaftsmagazin munter aus. Er machte klar, dass "in der Informationsbranche Produktivität durch elektronische Systeme überwacht wird, egal ob der Manager an seinem Platz ist oder nicht. Wieviele Anrufe tätigt ein Mitarbeiter? Wie gut und wie schnell? Möchte ein Vorgesetzter gelegentlich einem Gespräch zuhören, wenn der Verkäufer mit einem Kunden spricht, so ist es egal, ob er sich im Büro nebenan oder auf der anderen Seite der Erde aufhält, solange die Zeitzonen kein Hindernis darstellen."
Hightech paradox
Wie aber kommt die hohe Produktivität in den Bereichen zustande, die der New Economy zugeordnet werden? So schreibt etwa der Gewerkschafter Ulrich Klotz sichtlich beeindruckt, dass die Produktivität in der New Economy der USA um 35 Prozent wachse, in der Alten nur um zwei. Ein genauerer Blick in die Statistik bestätigt zwar Produktivitätsgewinne - allerdings mit überraschenden Details. Das Produktivitätswachstum im Zeitraum 1995 bis 1999 lag in der US-Wirtschaft im jährlichen Mittel bei 2,15 Prozent. Der eigentliche Produktivitätsgewinn versteckt sich in der Kategorie langlebige Konsumgüter, bei denen die Produktivitätssteigerung bei einer jährlichen Rate von 6,78 Prozent liegt. Beim Herausfiltern der Computerproduktion, die statistisch bei den langlebigen Konsumgütern erfasst wird, kommt dann die eigentliche Überraschung zu Tage: Eine jährliche Steigerung der Produktivität von 41,70 Prozent.
Die hohen Wachstumsdaten für den Bereich New Economy kommen allein deshalb zustande, weil ihr die Computerproduktion hinzu definiert wird, obwohl sie ansonsten aus wirtschaftlichen Aktivitäten besteht, die traditionell zum tertiären Sektor zählen. Einwenden ließe sich, dass sich das klassische Drei-Sektoren-Modell - Landwirtschaft, Güterproduktion, Dienstleistungen als historisch aufeinanderfolgende dominierende Sektoren, die gleichzeitig auch nebeneinander bestanden und bestehen - auflöst. Dafür spricht vieles. Und es stellt sich in der Tat die Frage, ob sich die Wirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien den klassischen statistischen Messverfahren entziehen. Wenn auf dieser Ebene diskutiert werde - so Gordon -, sollten sich die Protagonisten der New Economy beim Vorstellen ihrer Zahlen aber nicht auf klassisch gemessene statistische Daten berufen.
Derzeit allerdings gilt das sogenannte Hightech-Paradoxon nach wie vor. Dem zufolge bringen Investitionen in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien nicht den Produktivitätsfortschritt wie Investitionen in andere Bereiche. Dies ist gar nicht so überraschend. Klaus Peters, der verschiedene Betriebsräte aus High-Tech-Unternehmen berät, erläutert das so: "Die Unternehmen setzen deswegen auf neue Organisationsformen als produktivitätssteigernde Faktoren, weil die Zuwächse, die mit technischen Neuerungen zu erreichen sind, nicht mehr so groß sind wie früher. Diese verringern sich kontinuierlich, während die Zuwächse durch neue Organisationsformen zweistellige Größenordnungen aufweisen. Die Unternehmensberater reden von 20- bis 30-prozentigen Steigerungen. Aber selbst wenn man nur von zehn Prozent ausgeht, ist es erheblich mehr, als man durch Einführung von neuer Technologie erreichen kann. Die angestrebten Organisationsformen setzen wiederum einen relativ hohen Stand der technischen Entwicklung, der Informationstechnologie, voraus, aber der Produktivitätszuwachs wird nicht mehr vorrangig durch die Technologie erreicht, sondern durch neue Organisationsformen."
Dass die New Economy quasi aus sich heraus ein Hort moderner Arbeitsorganisation ist und von daher ungeheuer produktiv, ist Mythos und - so Locke - die "mit Übertreibungen überfrachtete Unternehmensrhetorik zu 99 Prozent heiße Luft". Erst wenn die Unternehmen - und das gilt für alle - aufgeben, kontrollieren zu wollen, ergeben sich die neuen Chancen. Locke: "Die nächste riesige Möglichkeit für die Wirtschaft besteht darin, die Beschäftigten und den Markt zusammen zu bringen. Und Unternehmen, die clever genug sind, das umzusetzen, beginnen damit, eine kräftige Form interner Anarchie anzustiften."
Bleibt schließlich die Frage, wieso in der New Economy ungeheuer viel Geld umgesetzt und verdient wird. Woher kommen die Erfolgsgeschichten, die in der Garage beginnen und an der Börse enden? Ein Teil der Antwort ist klar: Es gibt eine ungeheure Produktinnovation und Phantasie beim Aufspüren von Marktlücken. Die anderen Teile der Antwort haben mit alter, verdammt alter Ökonomie zu tun. Für die kreativen Leute, die ihre Garagenfirma nach wenigen Jahren für eine gigantische Summe verkaufen, ist das die Lösung ihrer sozialen Frage. Dass ihnen oft nichts übrig bleibt, als zu verkaufen, ist das gesellschaftlich Interessante. Wenn sie sich auf das Terrain der ganz Großen bewegen, wächst der Druck. Es gibt unübersehbare Tendenzen einer Monopolisierung. Bei den Ereignissen um Microsoft dürfte das auch den letzten Verklärern der New Economy aufgefallen sein.
Barrikaden für CNN
Wer das große Geld verdienen will, muss vor allem das Thema Aufmerksamkeit souverän beherrschen. Das funktioniert laut Christopher Locke so: "Heute bieten viele große Unternehmen grelle Brot-und-Spiele-Unterhaltung im Web an. Diese Angebote tragen alle klassischen Merkmale des Massenmarktes: Programme auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners, entwickelt, um Marktsegmente en bloc anzubieten und an die Händler von Massenware zu liefern." Deshalb verfolgt den Web-Nutzer die verdammte Werbung auf Schritt und Tritt. Was ärgerlich ist. Was wichtiger ist: In den traditionellen Industriezweigen können Massenproduktion, Massenmarkt und Massenmedien durch moderne Technologien überwunden werden und werden es, etwa wenn Nike Tausende verschiedene Schuhmodelle anbietet oder wenn von der Fertigungsstraße beim Traktor-Bauer John Deere in Mannheim völlig verschiedene Modelle gleichzeitig gebaut werden. Große und kleine Traktoren, Traktoren fürs Feld, Traktoren für den Wald und so weiter. Nur in der New Economy gibt's noch Massenware. Locke vergleicht die Situation mit jener bei General Motors etwa 1969: Immer auf der Suche nach einem neuen Massenmarkt.
Dennoch sind Locke und seine Mitstreiter überzeugt, dass das Internet letztlich den Trend zum kleinsten gemeinsamen Nenner, der millionenfach vermarktet werden kann, untergraben wird, weil technisch längst die Möglichkeit besteht, wahrhaftig zu kommunizieren. Und das gilt eben auch für das Innenleben der Unternehmen. Darin liegt eine subversive historische Chance: Ökonomie funktioniert nicht mehr dadurch, dass die einen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen und die anderen das nutzen. Sie funktioniert nur noch, wenn die Menschen ihr Wissen, ihre Kreativität, ihre Innovationsfähigkeiten austoben können. Das alte Kommandosystem taugt dafür nicht.
"Was muss geschehen?", lautet die Frage im Cluetrain Manifesto, das bemerkenswerter Weise im Wall Street Journal in höchsten Tönen gelobt wurde. Antwort: "Ganz einfach. Verbrennt Business as usual. Ebnet es ein. Riegelt das Gebiet ab. Errichtet Barrikaden. Macht die Panzer kampfunfähig. Stürzt die Statuen der Helden, die lange tot sind, auf die Straßen. Hört sich bekannt an? Die Botschaft war immer die gleiche, von Paris 68 zur Berliner Mauer, von Warschau bis zum Platz des Himmlischen Friedens: Let the kids rock and roll. Macht einfach das Fenster auf und dreht die Lautstärke hoch. Wenn der Lärm groß ist, wird vielleicht auch CNN darüber berichten."
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