Tony Thatcher und Gerhard Reagan haben ein Papier schreiben lassen, mit dem sie hoffen, das oftmals vergeblich prognostizierte Ende des sozialdemokratischen Zeitalters nun doch noch einläuten zu können. Von Spin offs über Humankapital bis wissensbasiert kommen alle Stichworte vor, die man für den akademischen Stammtisch zum Thema Strukturwandel braucht. Die werden dann zu neoliberalen Platitüden gebündelt und mit gesammelten Mutmaßungen über gesellschaftliche Entwicklungen angereichert.
Der in der letzten Woche von Blair und Schröder vorgestellte »Vorschlag« beginnt mit einem Bekenntnis zu Werten, die die Sozialdemokratie »nie preisgeben« werde: »Fairneß, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit Solidarität und Verantwortung für andere«. Für die Praxis fordern sie dann »Solidarität für alle, die Hilfe brauchen - aber auch Fairneß gegenüber denen, die das bezahlen«. Das sind bekanntlich die Leistungsträger und die müssen belohnt werden: »Die Steuerbelastung von harter Arbeit und Unternehmertum sollte reduziert werden.«
Begründet wird das mit einer sehr vertraut klingenden Theorie: Durch eine drastische Entlastung der Unternehmen bei Steuern und Abgaben erhöhe sich die Rentabilität, was Investitionsanreize schaffe und die Wirtschaftstätigkeit erweitert. So entsteht ein Wachstum, das »die Ressourcen vermehrt, die für öffentliche Ausgaben für soziale Zwecke zu Verfügung stehen«. Der frühere Arbeitsminister Herbert Ehrenberg hat vor einiger Zeit Daten des Statistischen Bundesamtes zu den Jahren 1979 und 1997, die konjunkturell sehr ähnlich sind, miteinander verglichen. Eine Zahl: 1979 lag die Abgaben quote der Arbeitnehmer (Steuern und Sozialabgaben) bei 13,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), die der Arbeitgeber bei exakt demselben Wert. Die Abgabenquote der Arbeitnehmer war bis 1997 auf 15,8 Prozent des BIP gestie gen, die der Arbeitgeber auf 10,6 Prozent gesunken. Öffentliche Ausgaben für soziale Zwecke dürften eigentlich kein Problem sein.
Sind sie aber doch. Und deshalb wollen die beiden Politiker darauf achten, daß niemand in der sozialen Hängematte rumlümmelt: Im Reich der neuen Mitte - wenn es denn ausgerufen wird - gilt: »Teilzeitarbeit (gemeint ist offenbar unfreiwillige) und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit.« Und alle Menschen im erwerbsfähigen Alter - auch jene, die erwerbsunfähig geschrieben sind - wird man »auf ihre Fähigkeit überprüfen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen«.
Die Bekämpfung der Arbeitslosen anstelle der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit kommt einem auch wieder vertraut vor. Da ist es dann nicht mehr verwunderlich, wenn der Sozialstaat diffamiert wird, weil »die soziale Demokratie mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbunden« war.
»Nicht überall, wo modern draufsteht, ist Zukunft drin« witzelt dann auch Heinz Putzhammer, Mitglied des DGB-Bundesvorstands, über das Papier. Und er erinnert daran, daß Kohl wegen der Erfolglosigkeit neoliberaler Politik abgewählt wurde.
Auch nur halbwegs konkrete Aussagen zu Zukunftsfragen sind Mangelware. Aber hier und da gibt es etwas. »Wir wollen, daß die Gewerkschaften in der modernen Welt verankert bleiben.« Dies, damit die Einzelnen gegen Willkür geschützt werden und gemeinsam mit den Arbeitgebern der Wandel gestaltet werden kann. Auf europäischer Ebene streben Blair und Schröder deshalb »einen fortlaufenden Dialog mit den Sozialpartnern an«. Das läßt sich regeln, Schritt um Schritt. Großbritannien tritt der Sozialunion bei und macht damit Euro-Betriebsräte auch auf der Insel verpflichtend. Auf EU-Ebene wird eine Regelung getroffen, die die Tarifvertragsparteien veranlaßt, Rahmenübereinkünfte zu treffen. Der europäische Arbeitgeberverband UNICE weigert sich nämlich bislang hartnäckig. In Deutschland schließlich wird dem Unfug ein Ende gesetzt, daß Unternehmen wie Jenoptik obskure Bonsai-Gewerkschaften aus der Tasche zaubern, mit denen sie irgendwelche Deals aushandeln. Die beiden Regierungschefs könnten damit beweisen, daß sie in den Gewerkschaften mehr sehen als kollektive Bittsteller.
Ein anderes Beispiel zum Thema Zukunftsfragen: Zweierlei hat sich herumgesprochen: lebenslange Arbeitsplätze sind die absolute Ausnahme geworden, und es finden schnelle technische Umwälzungen statt. Auf beides ist eine richtige Antwort lebenslanges Lernen. Das wird auch bei Blair/ Schröder benannt. Das einzige aber, was ihnen außer Allgemeinplätzen dazu einfällt, ist, »Anreize zur Bildung von Sparkapital zu setzen, um die Kosten des lebenslangen Lernens bestreiten zu können«. Die Bürger bekommen für ihre Weiterbildung günstige Sparmodelle und die Unternehmen werden aus ihrer gesellschaftlichen Eigentumsverpflichtung entlassen.
Es geht auch anders. Eine vom Europäischen Rat eingesetzte Expertengruppe zum Strukturwandel fordert, daß nicht nur der Staat und die Betroffenen selbst sich um Weiterbildung bemühen müssen, sondern auch die Betriebe. Und zwar sollen diese die Beschäftigten nicht nur mit Blick auf technologische Veränderungen weiterbilden, sondern auch für den Fall, daß sie den Arbeitsplatz innerhalb des Betriebes wechseln müssen oder entlassen werden. Unternehmen, die Beschäftigte entlassen, ohne vorher für Weiterbildung gesorgt zu haben, so eine Empfehlung der Gruppe, »sollten keine öffentlichen Mittel mehr erhalten«.
Ein solcher Ansatz verfolgt das Ziel, Sozialstaatlichkeit oder auch den rheinischen Kapitalismus als Vorteil im Wettbewerb mit den USA und Japan zu nutzen. Gerade qualifizierte Beschäftigte - und deren Anteil steigt ständig - brauchen eine stetige Weiterbildung und eine hohe Motivation für ihre Arbeit. Soziale Ängste sind da absolut kontraproduktiv. Untersuchungen der American Management Association (AMA) aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre belegen, daß Unternehmen, die größeren Personalabbau durchgeführt hatten, »niedrigere Gewinne und sinkende Produktivität der Arbeitskräfte« (AMA) zu verzeichnen hatten. Arbeitsmoral und Motivation waren zerstört. Nur durch eine Politik, wie von der Expertengruppe vorgeschlagen, schafft man »kompetente und gut ausgebildete Arbeitnehmer, die willens und bereit sind, neue Verantwortung zu übernehmen« - wie Blair und Schröder wünschen. Mit ihrer Position outen sich beide als Relikte aus den frühen achtziger Jahren.
Solche Zusammenhänge sind etwas komplizierter als neoliberale Patentrezepte wie das folgende: »Der Arbeitsmarkt braucht einen Sektor mit niedrigen Löhnen, um gering Qualifizierten Arbeitsplätze verfügbar zu machen.« In Großbritannien ist das längst Realität, in Deutschland nur in kleinem Umfang. Man hätte also nur hin sehen brauchen, wie gut das funktioniert. Daten der OECD und der ILO belegen, daß die Arbeitslosigkeit der Gruppe mit der geringsten Qualifikation in Großbritannien 5,3mal höher ist als die jener mit höchster Qualifikation. In Deutschland liegt dieser Wert nur bei 2,6. Niedriglohnsektoren sind offenkundig kein Weg, um gering Qualifizierte besser beschäftigen zu können. Allerdings haben sie einen anderen Vorteil, nämlich den, sich auszuweiten. Und wenn immer mehr Bereiche von Niedriglohn erfaßt - und staatlich bezuschußt - werden, stärkt das die Rentabilität, schafft Investitionsanreize ... Aber das hatten wir schon.
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