Tabubrüche

Unionskonzepte Totale Handlungsfreiheit für Unternehmen

Tabubrüche sind an der Tagesordnung, und eigentlich fallen sie niemandem mehr auf. So sagte etwa BDI-Chef Michael Rogowski in einem Interview mit dem Berliner Inforadio zur geplanten Ausbildungsplatzabgabe: "Meinen Sie, wir fühlen uns noch sozial verpflichtet, wenn uns nachher eine Ausbildungsplatzabgabe droht? Ich glaube das nicht." Es folgte die nächste Frage. Die Sozialverpflichtung des Eigentums als Gebot des Grundgesetzes kommt niemandem in den Sinn.

Vor über 30 Jahren forderte ein damals aufstrebender christdemokratischer Sozialpolitiker eben die Ausbildungsabgabe. Begründung: "Die berufliche Bildung ist nicht die Privatangelegenheit der Unternehmer. Sie ist unser aller Sache." Das war 1972, der Mann hieß Norbert Blüm.

Was ist seither passiert? Die Globalisierung, lautet die Antwort der verantwortlichen Manager der Deutschland AG, und der künftige Aufsichtsratsvorsitzende Horst Köhler nickt heftig und gar nicht überparteilich und nicht nur er. Um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können - so das weitgehend parteienübergreifende Credo -, brauche die Wirtschaft Handlungsfreiheit. Das ist die simple Ideologie, die hinter den derzeit gehandelten sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Vorschlägen von der Agenda 2010 bis zu den am Wochenende vorgestellten Konzepten der Unionsparteien für eine Steuerreform und die Änderungen des Arbeitsrechts steckt. Rogowski hat nichts anderes gemacht, als auf Handlungsfreiheit zu bestehen.

Solche Handlungsfreiheit gerät natürlich in Konflikt mit sozialstaatlichen Regelungen. Eben deshalb waren sie einmal entwickelt und durchgesetzt worden: Nicht alle Lebensbereiche sollten der Marktlogik unterworfen sein. Seit den 90er Jahren machte sich das neoliberale Denken breit, wonach der Sozialstaat vom Fortschritt zur Fessel geworden sei. Und inzwischen ist es weitgehend Konsens: Die wirtschaftliche, fiskalische und arbeitsmarktpolitische Krise habe ihre Ursache im Sozialstaat: Sozialleistungen seien zu teuer, lähmen die Bereitschaft zu arbeiten, verteuern die Produktion. Kündigungsschutz und Mitbestimmung verhindern die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Die dahinter stehenden Vermutungen sind falsch, was sich zum Beispiel an den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ablesen lässt. Die Arbeitslosigkeit hat sich im Februar - lässt man die statistischen Umdefinitionen unberücksichtigt - gegenüber dem Vorjahr erhöht und gegenüber dem Vormonat auch. Der erhöhte Druck auf Arbeitslose durch Aufweichung von Zumutbarkeitsregelungen, Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und Ähnlichem haben ebenso wenig geholfen wie die Wundermittel Ich AGs oder Personal Service Agenturen. Es fehlt an Arbeitsplätzen, nicht am Willen, zu arbeiten. Und wenn schon auffällt, dass durch Abbau des Sozialstaats offenkundig Arbeitsplätze nicht entstehen, dann lautet das Rezept: Noch mehr Abbau und noch mehr Handlungsfreiheit für die Unternehmen. Einwände werden mit dem Hinweis "alternativlos" abgebügelt.

Wenn die Gewerkschaften angesichts solcher Debatten darauf drängen, dass nötige Veränderungen in der Arbeitswelt sozial ausgewogen sein müssen, ist das gut gemeint, geht aber daneben. Der Abbau des Sozialstaats schafft keine Arbeitsplätze - bestenfalls ein paar Minijobs, die zum Leben nicht reichen. Verzicht lohnt nur bei Gegenleistung. Veränderungen in der Arbeitswelt, die nötig sind, müssen da ansetzen, wo Produkte und Dienstleistungen geschaffen werden, im Arbeitsprozess selbst. Da geht es um Übernahme von Verantwortung durch ArbeitnehmerInnen, um deren Kreativität und Wissen, auch um Flexibilität. Es geht darum, dass sie beteiligt werden und mitbestimmen und nicht Objekte der Handlungsfreiheit von Unternehmen sind.


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