Deutschland ist ein Einwanderungsland, diese Feststellung gehört seit wenigen Jahren auch in der CDU zur offiziellen Sprachregelung, zumindest in der Parteiführung. Doch mit den Konsequenzen, die daraus folgen, tun sich die Christdemokraten oft schwer. So hält die Bundesregierung zwar Integrationsgipfel ab und möchte die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund fördern, verwehrt aber nach wie vor vielen von ihnen grundlegende Möglichkeiten der demokratischen Beteiligung wie zum Beispiel das Recht, an Kommunalwahlen teilzunehmen. Bislang dürfen sich nur ausländische EU-Bürger an Kommunalwahlen (und Wahlen zum Europaparlament) beteiligen, nicht jedoch sogenannte Drittstaatsangehörige wie die große Gruppe der türkischen Mig
Migranten. Für sie bleiben bei Wahlen ihres Stadt- oder Bezirksparlaments die Urnen verschlossen.Nihat Öztürk ist so ein Beispiel. Er lebt seit 30 Jahren in Deutschland, hat seit über 25 Jahren eine Aufenthaltsberechtigung und ist fast genauso lange mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet. Öztürk hat ununterbrochen gearbeitet, Steuern und Beiträge gezahlt, ist ehrenamtlich aktiv, etwa in der SPD. Als Erster Bevollmächtigte der IG Metall in Düsseldorf gehört er verschiedenen Aufsichtsräten an und ist an Entscheidungen über Investitionen oder Fusionen beteiligt. Der Gewerkschafter verhandelt über Tarifverträge und Sozialpläne in zweistelliger Millionenhöhe. Er kann aber nicht mitentscheiden, ob in Düsseldorf eine neue Verkehrsampel oder ein Mülleimer aufgestellt wird.Doch während die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiterhin gegen ein kommunales Ausländerwahlrecht ist, gibt es in der Partei auch Ausnahmen: Zum Beispiel Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma und seine Frankfurter Kollegin Petra Roth. Sie treten dafür ein, Nicht-EU-Bürger unter bestimmten Bedingungen die Kommunalparlamente mitwählen zu lassen und teilen ihre Meinung mit den Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke) und Josef Philip Winkler (Grüne). Die beiden Oppositionsparteien im Bundestag haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der aber vor der Bundestagswahl 2009 sicherlich chancenlos ist. 40 Prozent dürfen nicht wählenIn Wahlkreisen mit hohem Anteil von Migranten aus der Türkei wirkt das Problem besonders drastisch wie in Duisburg-Bruckhausen/Beeck-Nord. Der Anteil derer, die hier kein Wahlrecht besitzen, liegt bei knapp 40 Prozent. Ähnliche Wahlkreise finden sich in allen Städten mit hohem Ausländeranteil. Wenn Wohn- und Wahlbevölkerung derart auseinanderklaffen, stellt sich die Frage nach der Legitimation der gewählten Vertreter. Schließlich entscheiden diese zwar über Angelegenheiten dieser Bevölkerung, aber nicht unbedingt in deren Interesse. Initiativen wie die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen NRW, die ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatler erstreiten wollen, begründen ihr Vorhaben zum einen demokratietheoretisch: Für sie ist das gleiche Wahlrecht konstitutives Element von Demokratie, jeder Ausschluss von relevanten Gruppen bedeutet eine Beschneidung von Demokratie. Zum anderen argumentieren sie mit Integration. So ist das Betriebsverfassungsgesetz für sie ein vorbildliches Beispiel. Seit 1972 räumt es Ausländern das aktive und passive Wahlrecht für Betriebsräte ein und hat dazu geführt, dass die Integration in den Betrieben bislang besser funktioniert hat als in der Gesellschaft insgesamt. Wenn die Menschen mit darüber entscheiden, was in ihrer Kommune geschieht und somit sie betrifft, befördert das die Identifikation mit Land und Gesellschaft, ein Kernpunkt von Integration. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begründet ihre Ablehnung juristisch und staatspolitisch. Als im Herbst letzten Jahres das SPD-geführte Rheinland-Pfalz eine entsprechende Initiative im Bundesrat startete, bewerteten die innenpolitischen Frontleute der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl und Ralf Göbel, diesen Vorstoß als "absurd". Ihre Begründung: "Das aktive und passive Wahlrecht kommt in Deutschland nur dem Staatsvolk zu, das heißt den Deutschen im Sinne des Artikel 116 Grundgesetz." Diese Argumentation nimmt Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 1990. Das hatte seinerzeit entschieden, dass die Einführung des kommunalen Wahlrechts von Migranten in den Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein, das 1989 beschlossen worden war, gegen die Verfassung verstoße. Zwar verwies das Gericht damals bereits auf die Diskrepanz zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung, machte aber ein kommunales Wahlrecht für Migranten von einer Grundgesetzänderung abhängig. Die kam dann auch zwei Jahre später - allerdings nur in Bezug auf EU-Ausländer. Mit dem Vertrag von Maastricht vom Februar 1992 wurde die so genannte Unionsbürgerschaft eingeführt, die die nationalen Staatsbürgerschaften ergänzt. Bestandteil ist das aktive und passive kommunale Wahlrecht für EU-Bürger. Ausländer aus Drittstaaten wie die größte Zuwanderergruppe in Deutschland, Menschen aus der Türkei, blieben weiter außen vor. Migranten zweiter KlasseWenn nun die einen Ausländer wählen dürfen und die anderen nicht, treibt das einen Keil in die Community der Zuwanderer. Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sieht in der Tatsache, dass EU-Bürger drei Monate nach Ankunft in Deutschland an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, Menschen mit türkischem Pass, die 15 Jahre hier wohnen aber nicht, eine "Diskriminierung nach Staatsbürgerschaft". Der NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) sieht das Problem der Ungleichbehandlung zwischen EU-Bürgern und Drittstaatlern anscheinend nicht und vertritt die Position, wer wählen will, soll die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Dabei würden viele vielleicht durchaus Deutsche werden, wenn sie dann nicht auf ihre alte Staatsbürgerschaft verzichten müssten. Denn das deutsche Recht sieht keine doppelte Staatsbürgerschaft vor. Auch wenn es Ausnahmen gibt, für die Türkei, Marokko oder Serbien gelten sie nicht. Etwa 4,6 Millionen Menschen in Deutschland stammen nicht aus Ländern der EU. Ihre durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug Ende 2006 mehr als 17 Jahre.Doch die Union auf Bundes- und Landesebene will weiterhin ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatler verhindern. Die erwähnten Abgeordneten Uhl und Göbel formulieren ihre Position recht plastisch: "In jedem Verein kann nur der mitbestimmen, der auch Vereinsmitglied ist und nicht jeder, der gelegentlich das Vereinslokal besucht." Ob die beiden CDU-Abgeordneten auch finden, dass jemand wie Öztürk, der seit 30 Jahren hier lebt, im "Vereinslokal" Deutschland nur ein Gelegenheitsbesucher ist?