Braucht die EU ein schwaches Russland?

Ukraine/EU/Russland: Die antirussische Propaganda hat ein neues Niveau erreicht. Geht es überhaupt noch um die Zukunft der Ukraine, oder soll nicht vorrangig Russland gebrandmarkt werden?

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Schärfere, erstmals auch wirtschaftliche EU-Sanktionen; das Den Haager Yukos-Urteil; Schuldzuweisungen für den Absturz von MH17; Vorwürfe eines Bruchs des INF-Vertrags; Gerüchte über Unzufriedenheit russischer Oligarchen mit Putin. Diese gerade einmal innerhalb einer Woche publizierten Nachrichten legen nahe, dass Russland nun nicht mehr mittels der Ukraine-Krise, sondern direkt geschwächt und isoliert werden soll. Handelt es sich dabei um eine späte Rache für das Scheitern der Pläne im vergangenen Herbst, Assads Syrien den letzten Stoß zu versetzen?

Wie in der Syrien-Frage stehen auch jetzt die EU bzw. die in ihr dominierenden politischen Kräfte nahezu geschlossen hinter den USA. Zwar gibt es immer wieder Unterschiede hinsichtlich der Tonlage wie auch bei Art und Umfang des Engagements. Dennoch lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass es sich eher um eine „Strategie der zwei Geschwindigkeiten“ als um einen antagonistischen Interessenskonflikt innerhalb des westlichen Bündnisses handelt.

Was ist eigentlich aus den früheren Äußerungen der Bundesregierung geworden, man müsse die Vertreter der Ostukraine in den Verhandlungsprozess mit einbeziehen und eine allgemein akzeptierte föderale Lösung anstreben? Sind die Deutschen einfach nur eingebrochen, oder waren jene Statements von Anfang an nicht ernst gemeint? Wollte man nur die Lage beruhigen und Zeit gewinnen, wie dies offensichtlich auch beim temporär begrenzten Waffenstillstand der Kiewer Regierung der Fall war?

Wie die seit der letzten Woche veränderte Rhetorik offenbart, wird endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Und die Medien erweisen sich wieder einmal als exzellente Wegbereiter. Die Beziehungen zu Russland sind nun vollends vergiftet worden, sodass den geplanten Sanktionen allenfalls noch die Rolle eines formalen Nebenakts zukommt. Wie damals die Schüsse auf dem Maidan, so soll diesmal der Absturz eines Passagierflugzeugs die Trendwende eingeleitet haben. Sollen wir wirklich glauben, dass hartgesottene Politiker sich von emotionalen Stimmungen leiten lassen? Oder stehen unsere Politiker derart unter US-amerikanischem Druck, dass sie sich verschärften Sanktionen nicht verschließen können und allenfalls eine Gelegenheit nutzen, um die Bürger auf negative Konsequenzen einzustimmen?

Die kritischen Stellungnahmen zur NSA-Abhöraffäre und zu den TTIP-Verhandlungen belegen, dass sich die EU durchaus gegenüber den USA behaupten kann. Was ist dann das Motiv? Die wirtschaftliche Stärke wie auch das bedeutende Handelsvolumen zwingen die EU geradezu, als imperialistische Macht zu agieren. Hinter dem Wortschwall von Demokratie und Menschenrechten verbergen sich vielfach knallharte wirtschaftliche Interessen, insbesondere die Sicherung von Absatzmärkten und der Zugangs zu Rohstoffquellen. Kann dann eine Schwächung Russlands nicht auch im Interesse führender EU-Kreise sein? Das Wirtschaftspotential Russlands ist schier unermesslich, und es war ja in den 90er Jahren fast gelungen, dort auf Dauer Fuß zu fassen. Warum also nicht wieder, nach einer „farbigen“ Revolution oder durch Kooperation mit einem reumütigen Putin? Ein geschwächtes Russland würde aber auch die Durchsetzung westlicher Interessen in anderen Teilen der Welt erleichtern. Insbesondere würde China einen potentiellen Partner verlieren.

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