China verstehen und als Chance begreifen

China als Kontrahent. Die während des Europabesuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit Italien vereinbarte Kooperation wirft die Frage auf, ob den Offerten Chinas zu trauen ist.

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In den vergangenen Jahrzehnten war es das Profitstreben der weltgrößten Konzerne, das sie zu einem Engagement in China veranlasste und den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes förderte. Sind es jetzt der Kredithunger und das Interesse an neuen Absatzmärkten, das EU-Staaten dazu bewegt, mit China zu kooperieren und es dadurch politisch zu stärken? Die USA und ihre Verbündeten Deutschland, Frankreich und Großbritannien werfen der italienischen Regierung vor, bei der Verfolgung eigener Ziele von westlichen Interessen und Werten abzurücken. Da es sich bei den Vereinbarungen zwischen Peking und Rom lediglich um eine Absichtserklärung handelt, überrascht die Vehemenz der Reaktion. Artikulieren sich hier Ängste vor einem Bröckeln der westlichen Dominanz?

Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas erscheint unaufhaltsam. Dessen kaufkraftbereinigtes Bruttoinlandsprodukt übertraf das US-amerikanische im Jahr 2017 bereits um 20 Prozent und dürfte inzwischen jenes der EU überrundet haben. Der chinesische Erfolg wird im Westen vielfach auf unlauteren Wettbewerb zurückgeführt, der den Export begünstigt. Der Regierung werden massive Eingriffe in das Wirtschaftsleben vorgeworfen: Die Wechselkurse würden manipuliert, gegen Patentschutzverstöße und die Kopie von Markenprodukten werde nicht energisch vorgegangen, Exportzuschüsse würden Dumpingpreise ermöglichen, der staatliche Sektor könne sich unbegrenzter Kreditierung erfreuen.

Ähnliche Praktiken beflügelten allerdings auch den Wirtschaftsaufschwung anderer Staaten Ostasiens. Bekanntermaßen beruhten die Exporterfolge Japans auf einer Bündelung der wirtschaftlichen Potentiale durch das Handels- und Industrieministerium (MITI) zum Zweck einer systematischen Eroberung ausländischer Märkte. Wettbewerbsverzerrende Maßnahmen gibt es gleichwohl im Westen: Der Marktzugang für ausländische Anbieter wird durch Normen, Standards und andere Bestimmungen erschwert, eigene Unternehmen werden mit Subventionen und staatlichen Aufträgen konkurrenzfähig gemacht. Erwähnt sei etwa die Schrittmacherfunktion von NASA, Pentagon und US-Geheimdiensten bei der Einführung und Verbreitung neuer Technologien.

Globales Kräfteverhältnis und Weltmachtambitionen

Weil wirtschaftlicher und politischer Aufstieg nicht zu trennen sind, wird China im Westen zunehmend als Hauptkontrahent begriffen. Daher ist nicht verwunderlich, dass Donald Trump trotz seines rüpelhaften Stils Unterstützung bei dem Bestreben findet, den Chinesen Zugeständnisse abzuringen. Ein rationales Abwägen möglicher Szenarien lässt es für die chinesische Seite ratsam erscheinen, einzulenken. In einem kürzlich vom nationalen Volkskongress verabschiedeten Gesetz werden ausländischen Investoren bessere Rahmenbedingungen sowie effektiver Schutz geistigen Eigentums zugestanden. Damit kommt die chinesische Führung westlichen Forderungen entgegen, wenn auch der Schritt vorgeblich im Rahmen einer Strategie der Marktöffnung bereits geplant gewesen sei.

Für die globale wirtschaftliche Kooperation sind Kompromisse unerlässlich. In ihnen widerspiegelt sich das jeweilige Kräfteverhältnis, das sich im Zuge wirtschaftlicher Veränderungen fortlaufend wandelt. Ein wichtiger Meilenstein für den chinesischen Machtzuwachs war die Gründung der asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) im Jahr 2016. Die Teilnahme führender europäischer Länder stieß auf den Widerwillen der USA, die befürchteten, dass ihnen die Kontrolle der globalen Finanzströme entgleiten könnte. Noch bedeutender dürfte das „One Belt one Road“-Projekt sein. Obwohl es vorrangig ökonomischen Zwecken dient, stärkt es gleichsam die chinesische Position bei globalpolitischen Verhandlungen und Absprachen.

Die Regime-Change-Aktivitäten der USA und ihrer westlichen Verbündeten, die neben „bunten Revolutionen“ und Sanktionen auch militärische Interventionen einschließen, werden in China als latente Bedrohung wahrgenommen. Demgemäß avanciert Russland zum gegenwärtig wichtigsten Verbündeten. Das Land verfügt zum einen über ein großes militärisches Potential, das die Expansionsgelüste der USA dämpft. Es ist zum anderen ein bedeutender Wirtschaftspartner dank umfangreicher Rohstoffe und eines wachsenden Markts für chinesische Produkte.

Umgekehrt fühlt sich der Westen durch ein erstarkendes China bedroht. Die Ängste vor einem „Drangs Asiens nach Westen“ haben eine lange Tradition. Erinnerungen an die Eroberungsfeldzüge von Hunnen, Mongolen, Osmanen und des „Iwan“ werden wach. Allerdings hatten die Chinesen den europäischen Kontinent niemals in kriegerischer Absicht betreten. Der verbreitete Argwohn erklärt sich eher aus den autoritären politischen Strukturen, die keine demokratisch legitimierten Entscheidungen zulassen. Zugleich werden den Bürgern elementare Menschenrechte vorenthalten, die in der UN-Charta festgeschrieben sind. Trotz seiner kritischen Haltung zur US-Politik steht daher für den Finanzexperten Dirk Müller außer Frage, dass der amerikanische Hegemon einem chinesischen vorzuziehen sei.

Indes gibt es keine Äußerungen von einflussreicher chinesischer Seite, die sich als Weltmachtstreben oder als Versuch, anderen Ländern das eigene System aufzwingen zu wollen, interpretieren lassen. Anders verhält es sich bei den USA, deren Präsidenten einen globalen Führungsanspruch aus der Überzeugung ableiten, „God‘s own country“ vorzustehen. Dass dies keine bloße Stimmungsmache ist, bezeugen strategische Entwürfe zur Erlangung und Aufrechterhaltung politischer Dominanz, wie sie in Zbigniew Brzezinskis „The Grand Chessboard“ und in Expertisen von Think Tanks zu finden sind, darunter solche, die dem State Department nahe stehen.

Den Chinesen kann nun unterstellt werden, ihre eigentlichen Ziele raffiniert zu verbergen. Dagegen spricht, dass ein fundamentaler Schwenk in der Außenpolitik Vertrauenskapital zerstört, die Kooperation erschwert und Widerstand provoziert. Zudem bedarf es propagandistischer Vorarbeit, damit die Bürger aggressive Aktionen der eigenen Regierung gegen vermeintliche Feindstaaten befürworten. Wie ein geschichtlicher Rückblick belegt, haben ambitionierte Herrscher vielmehr bewusst ihre Absichten und Ziele offengelegt, um eine wachsende Anhängerschaft zu gewinnen, die auch für gröbste Untaten einsetzbar war.

Außer bei dem historisch begründeten Anspruch auf Taiwan und einige dem Festland vorgelagerten Inseln hält sich die chinesische Regierung aus internen Angelegenheiten anderer Staaten heraus. Weder setzt sie diese unter Druck noch spricht sie Drohungen aus. Dass Peking trotz dieser prinzipiellen Position den Sanktionen gegen Nord-Korea und den Iran zugestimmt hat, erklärt sich aus der Befolgung des globalen Konsensus, der über die Nichtverbreitung von Atomwaffen erzielt wurde. Falls allgemein anerkannte Spielregeln wie im Fall des Ausschlusses Huaweis beim 5G-Netzausbau durch Australien und Neuseeland verletzt werden, ist China zuweilen auch bereit, mit wirtschaftlichen Gegenschlägen zu antworten.

Unterschiedliche Werte und Leitbilder

Die Volksrepublik China wird zweifellos autoritär regiert, die Entscheidungskompetenzen sind stark zentralisiert. Während Diktatoren im westlichen Einzugsbereich danach streben, der gesellschaftlichen Elite Macht und Reichtum zu verschaffen, ähnelt das chinesische System eher den Erziehungsdiktaturen des „realen Sozialismus“. Wurde der wirtschaftliche Aufstieg des Landes bis zum Ende der Kulturrevolution im Jahr 1976 durch ideologische Fesseln behindert, so orientierte sich China seitdem am Vorbild der Nachbarstaaten. Auch dort existierten anfangs autoritäre Strukturen, die sich offenkundig als hilfreich erwiesen, die Entwicklung der Volkswirtschaften zu beschleunigen und sich dem Niveau des Westens anzunähern. Noch heute finden sich in ost- und südostasiatischen Staaten Relikte aus jener Phase, sodass deren politische Systeme mit dem Begriff „gelenkte Demokratie“ versehen werden.

Eine eurozentrische Betrachtung neigt dazu, die chinesische Gesellschaft als entwicklungsbedürftig zu charakterisieren. Unterschlagen wird, dass die Zivilisationsgeschichte des Landes auf mehrere Jahrtausende zurückblicken kann. In diesem Zeitraum sind Leitbilder entstanden, die den Alltag und die Politik bis heute prägen: Garantierte Grundversorgung und ein glückliches Leben wiegen mehr als Privateigentum, Luxus und ein Maximum an Freiheit, gesellschaftliche Verantwortung und Konsenswille ersetzen repräsentative Strukturen und Pluralismus. Wenn die chinesische Regierung auf die Kritik an der Menschenrechtslage im Land mit Gegenvorwürfen antwortet, dann kann angenommen werden, dass eine große Mehrheit der Bürger ihre Position teilt.

Die Einschränkung persönlicher Freiheiten in China wird mit dem Primat gesellschaftlicher Interessen begründet, das recht exzessiv ausgelegt wird. Jedoch werden Bürgern auch anderswo die in der UN-Menschenrechtscharta aufgelisteten individuellen Rechte verwehrt. Obwohl sie in westlichen Staaten formell jedem zustehen, entscheidet vielfach die Größe des Geldbeutels über die Möglichkeiten, sie wahrzunehmen. In ärmeren Weltregionen befindet sich das Gros der Bevölkerung in einer nahezu rechtlosen Position, die sich von jener der Chinesen nicht unterscheidet. Wird das ebenso in der UN-Charta enthaltene Postulat eines allgemeinen Zugangs zu Arbeit, Bildung und Grundversorgung betrachtet, dann können auch Kritiker nicht umhin, der chinesischen Führung Verdienste zuzubilligen.

Ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung von Gesellschaftssystemen ist der Zufriedenheitsgrad der Bevölkerung. Dieser liegt in China unvergleichlich höher als in westlichen Staaten. Wie die BBC im Jahr 2012 ermittelte, wurde die staatliche Wirtschaftspolitik von 91 Prozent der Bürger positiv beurteilt, bei nur 43 Prozent in Großbritannien. Die Zahlen dürften sich seitdem nicht merklich verändert haben, zumal der von westlichen Ökonomen mehrfach vorausgesagte Wirtschaftseinbruch nicht stattgefunden hat. Die positiven Resultate der Umfrage mögen zu einem gewissen Teil durch die verbreitete Medienzensur begründet sein, die es ermöglicht, Verhältnisse zu beschönigen und Missstände zu vertuschen. Auf Dauer dürfte es jedoch keiner Regierung gelingen, die Bürger des Landes zu täuschen. Misstrauen und Unzufriedenheit würden sich ausbreiten und die Zuspruchswerte in den Keller drücken.

Sowohl im Westen als auch in China begreifen sich die meisten Bürger als unpolitisch. Trotz größeren Angebots an Nachrichten, Analysen und Meinungen dürfte der westliche Normalbürger daher kaum besser informiert sein als ein chinesischer Medienkonsument. Personen, die politisch interessiert und engagiert sind, fühlen sich von Restriktionen verständlicherweise stärker betroffen. Wenn sie Kritik an chinesischen Verhältnissen üben, dann geraten sie leicht in das Fahrwasser eines Überlegenheitsanspruchs westlicher Werte. Anstatt sich auf die Aussagen oppositioneller Kräfte zu stützen, die ausländischen Einflüssen unterliegen, sollten sie sich mit landesinternen Debatten zur Lokalisierung und Beseitigung von Missständen befassen.

Was in China per Dekret umgesetzt wird, besorgen im Westen vielfach gesellschaftliche Strukturen. Die freie Meinungsäußerung wird tendenziell ausgebremst, wenn sie sich kritisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen befasst. Noch höher werden die Hürden, wenn Bürger zu politischer Umsetzung schreiten.

Historisch begründeter Argwohn

Es ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass China von seiner rigiden Position abweicht und etwa alternative Medien zulässt. Dennoch gibt es hoffnungsvolle Entwicklungen. Wie der Rechtsanwalt Rolf Geffken in einem Vortrag über Arbeitskämpfe und Gewerkschaften in China berichtete, werden illegale Streiks in der Privatwirtschaft von der Parteiführung oft wohlwollend quittiert. Vielerorts wurde spontan entstandenen Arbeiterräten später gewerkschaftlicher Status gewährt. Beeindruckt zeigt sich Geffken von einer Regierungskampagne, in der die Belegschaften aufgefordert werden, die ihnen im neuen Arbeitsvertragsgesetz gewährten Rechte aktiv wahrzunehmen.

Trotz solch ermutigender Berichte ist zu konstatieren, dass in China weiterhin individuelle Freiheiten beschnitten und politische Aktivitäten unterbunden werden, sobald gesellschaftliche Machtstrukturen in Frage gestellt werden. Was hält die Staatsführung davon ab, nach der wirtschaftlichen Öffnung die politische voranzutreiben und „mehr Demokratie zu wagen“? Die Konzentration politischer Macht ist angesichts der seit Jahrtausenden währenden Herrschaft unterschiedlicher Despoten offenbar zum Normalzustand avanciert. Die auf der Lehre der „Diktatur des Proletariats“ basierende Führungsrolle der kommunistischen Partei fügt sich gut in diese Tradition ein. Zudem scheint die Geschichte zu lehren, dass bei einer Schwächung der Pekinger Zentrale ein Souveränitätsverlust des Landes droht.

Der Argwohn der Regierenden wurde durch die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989 verstärkt. Anlässlich des 30. Jahrestages beschreibt Peter Frey die Hintergründe, die bis in die 60er Jahre zurückreichen. Den USA gelang es während der Präsidentschaft Nixons, die Gegnerschaft Chinas zur Sowjetunion zu nutzen und das Land für den Westen zu öffnen. Seit Beginn der 80er Jahre wandelte sich Chinas Außenpolitik jedoch in eine pragmatische Richtung. Die US-amerikanische China-Politik war fortan von dem Bestreben inspiriert, eine Annäherung an die Sowjetunion zu verhindern.

Zu diesem Zweck wurden die historisch ersten NGOs ins Leben gerufen, die sich auf Gene Sharps Konzept „friedlicher Revolutionen“ und „gewaltfreien Widerstands“ stützten. Frey verweist in diesem Kontext auf eine Äußerung von Allen Weinstein, den Gründungsvater des National Endowment for Democracy (NED): „Vieles von dem, was wir heute tun, wurde vor 25 Jahren verdeckt von der CIA erledigt“. Während der Unruhen im Jahr 1989 begab sich Gene Sharp persönlich nach Peking, wo er führende Oppositionelle traf und sie bei der Koordination der Protestaktionen unterstützte.

Obwohl die gesellschaftlichen Machtstrukturen der Volksrepublik China zu keinem Zeitpunkt ernsthaft bedroht waren, war der Schaden immens. Zum Ärger der poltischen Führung kamen die Aktivisten aus einer Bevölkerungsgruppe, die dazu auserwählt war, künftig verantwortungsvolle Aufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft zu übernehmen. Noch gravierender wog der Ansehensverlust im Ausland, der die wirtschaftliche Öffnung erschwerte und die Entwicklung in den Folgejahren beeinträchtigte.

Das China-Bashing wurde seitdem zu einem nicht wegzudenkenden Bestandteil westlicher Medienberichterstattung. Unter Berufung auf NGOs wird der Pekinger Regierung die Unterdrückung ganzer Völkerschaften unterstellt. Dabei wird besonders auf die Uiguren Bezug genommen, die in der strategisch wichtigen Region Nordwestchinas beheimatet sind. Die von Peking durchgeführten Umerziehungsmaßnahmen, die vielerorts mit einer vorübergehenden Internierung einhergehen, sind tatsächlich als fragwürdig anzusehen. Da andererseits ethnischen Minderheiten weitgehende Sonderrechte gewährt werden, gilt die chinesische Nationalitätenpolitik für den asiatischen Raum als beispielhaft.

Wo Widerstand aufflammt, handelt es sich bei den Führungspersonen oft um Kräfte, die Privilegien verloren haben oder einem traditionellen Gesellschaftsmodell anhängen. Mit Unterstützung westlicher Geheimdienste bemühen sie sich um eine Eskalation von Konflikten, die etwa durch Zuwanderung ethnischer Chinesen oder durch unverhältnismäßige Übergriffe der Ordnungshüter entstehen. Die letzten größeren Unruhen ereigneten sich im Vorfeld der Olympischen Spiele im Jahr 2008, wobei die Opfer nicht Tibeter, sondern wirtschaftlich erfolgreiche Zugewanderte waren. Sie erinnerten an die wiederholten Pogrome gegen die chinesische Minderheit in südostasiatischen Ländern.

Wenn der westliche Applaus für gewalttätige Aktionen Oppositioneller dem Zweck dienen soll, die Durchsetzung fundamentaler Menschenrechte zu beschleunigen, so erreicht er gerade das Gegenteil. Die Vermutung liegt nahe, dass es bei den antichinesischen Kampagnen weniger um die Lage der Menschen geht als vielmehr um die Stigmatisierung eines lästigen globalen Konkurrenten. Faktisch wird den Reformgegnern innerhalb der chinesischen Führung in die Karten gespielt.

Die Unterdrückung kritischer Stimmen mag die Herrschaftsverhältnisse stabilisieren, sie verschüttet aber auch intellektuelles Potential, das für die Entwicklung dienlich wäre. China scheint daher weiter auf Impulse aus dem Ausland angewiesen zu sein, die nicht nur die Wirtschaft, sondern gleichsam gesellschaftliche Werte betreffen. Dabei geht es etwa um Umweltschutz, Technologiekritik, neue soziale Organisationsformen und alternative Forschungsbereiche. Ein etwaiger Argwohn von Führungskadern wird durch das hohe Maß an Interesse und Neugierde wettgemacht, mit dem ausländische Erfahrungen aufgenommen werden.

Entscheidungsstrukturen in China und im Westen

Die Unterschiede zwischen China und dem Westen treten besonders bei einem Vergleich der gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen zutage. In der Regierungstätigkeit westlicher Staaten widerspiegeln sich die Machtverhältnisse unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die jeweils eigene Interessen verfolgen. Mehrheiten werden gesucht, Kompromisse angestrebt und vertraglich besiegelt. Freie Meinungsäußerung und ein gewisses Maß an Transparenz sind in diesem Prozess unverzichtbar. Allgemeine Wahlen, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz bilden das notwendige Gerüst.

Es wird angenommen, dass sich auf diese Weise der Mehrheitswille bestmöglich durchsetzt. Dagegen betont der Sozialwissenschaftler Ullrich Mies, dass relevante Entscheidungen im Westen hauptsächlich von den gesellschaftlichen Eliten getroffen werden. Innerhalb dieses engen Kreises herrschen tatsächlich Pluralismus und demokratische Prozeduren.

In China sieht die Regierung ihre primäre Aufgabe darin, die Lebensqualität der Bürger zu erhöhen und zu sichern. Die dazu erforderlichen Schritte und Etappen werden jeweils auf Parteitagen vorgestellt. Was als Ausdruck einer breiten demokratischen Willensbildung proklamiert wird, ist in Wahrheit das Werk von Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Die Herangehensweise ist recht pragmatisch, ideologische Argumentationen haben nach den traumatischen Erfahrungen der Kulturrevolution keine Chance. Die Stimmungen und Erwartungen der Bevölkerung werden eruiert und von den Verfassern der Beschlussvorlagen im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren berücksichtigt.

Die Überlegenheit des westlichen politischen Systems wird damit begründet, dass Willkür und Korruption weitgehend ausgeschlossen werden. Dies scheinen globale Untersuchungen zu bestätigen, die für die Industrieländer des Westens einen deutlich geringeren Korruptionsgrad feststellen. China befindet sich immerhin im Mittelfeld, es lässt die meisten Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas hinter sich. Als Korruption werden allgemein Geld- oder anderweitige Zuwendungen angesehen, die mit dem Ziel getätigt werden, Gegenleistungen zu erhalten. Das im Westen verbreitete Zuschanzen von Jobs an Familienangehörige und Bekannte fällt allgemein nicht darunter, obwohl der finanzielle Nutzen oft um ein Vielfaches größer ist.

Durch Transparenz, pluralistische Strukturen und eine relative Unabhängigkeit der Medien sind in den westlichen Staaten Kontrollmöglichkeiten gegeben, über die China nicht verfügt. Wiederholte Anti-Korruptions-Kampagnen und gelegentliche Schauprozesse dürften keinen vergleichbaren Effekt erzielen. Ein wichtiges Drohmittel sind Jobverlust und damit einhergehende Einkommenseinbußen. Hier dürfte der Westen ebenfalls im Vorteil sein, wenn auch China zunehmend in die Position gelangt, Staatsbediensteten ordentliche Gehälter zu zahlen.

Für die chinesische Seite spricht hingegen der gesellschaftlich-moralische Druck, dem die Bürger stärker unterliegen als etwa in den USA. Werden Verantwortliche in der Pekinger Führung oder in lokalen Behörden der Korruption verdächtigt, dann nehmen westliche Beobachter implizit an, dass die Mittel für ein luxuriöses Leben verwendet werden. In China gilt jedoch die Zur-Schau-Stellung von persönlichem Reichtum in einem armen Umfeld als moralisch verwerflich. Die Autorität staatlicher Repräsentanten würde erheblich leiden, es käme zu Unzufriedenheitsbekundungen. Dies nachzuvollziehen dürfte Vertretern der älteren Generation nicht schwerfallen, da Werte wie Genügsamkeit, Verantwortungsgefühl und Gerechtigkeitsempfinden das Leben in großen Teilen Europas prägten, bevor sie im Zuge der neoliberalen Wende sukzessive verdrängt wurden.

Gründe für den wirtschaftlichen Erfolg Chinas

Zur Erklärung des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas werden mehrere Gründe genannt: kulturelle und zivilisatorische Grundlagen, der Fleiß der Bürger, die Größe des Marktes, geschicktes politisches Taktieren. Dies mag alles zutreffen. Dennoch wäre der seit den 80er Jahren einsetzende ökonomische Aufschwung ohne externe Unterstützung kaum derart kräftig verlaufen, zumal er sich auf eine starke Exportorientierung stützte.

Die geschäftlichen Kontakte und Marketing-Erfahrungen chinesisch-stämmiger Experten aus Hongkong, Taiwan und Singapur bildeten einen wesentlichen Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg. Nur allmählich gelang es den Festlandchinesen, Einfluss auf die Exportproduktion und die Handelsbeziehungen zu bekommen. Der Sozialphilosoph William Thompson schätzte in seinem Werk "Die pazifische Herausforderung" die Auslandschinesen als erfolgreichste und dynamischste Volksgruppe bereits zu einer Zeit ein, als Japan noch allgemein als Wirtschaftsmacht der Zukunft galt. Gleichsam den europäischen Juden sind sie über viele Länder verstreut, in denen sie jeweils wichtige Positionen im Wirtschaftsleben bekleiden.

Zwei weitere Faktoren, die sich im Vergleich mit dem Westen als vorteilhaft erweisen, sind das große Vertrauen der Bürger und die Langfristigkeit wirtschaftlicher Entscheidungen. Das kürzlich eingeführte Punktesystem, mit dem sozial verträgliches Verhalten belohnt und entsprechend schädliches bestraft wird, wurde von der chinesischen Bevölkerung positiv aufgenommen. Eine Angst vor Missbrauch besteht augenscheinlich nicht. Die wirtschaftlichen Ziele werden weiterhin in Fünfjahresplänen fixiert, die im Unterschied zur sozialistischen Phase heute mehr als Orientierungsrahmen dienen. Überdies werden die Entwicklungstrends für einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten skizziert, um den Infrastruktur- und Forschungsbedarf frühzeitig feststellen zu können.

Die staatlichen Regulierungsmaßnahmen, die Förderung von Export und Forschung, Infrastrukturinvestitionen und der Ausbau sozialer Leistungen weisen Ähnlichkeiten mit dem "Rheinischen Kapitalismus" auf, wie er in der Bundesrepublik Deutschland während der Nachkriegsjahrzehnte praktiziert wurde. Trotz großer Unterschiede der gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen und der zu bewältigenden Herausforderungen bildet die an Keynes orientierte Wirtschaftspolitik offenbar den gemeinsamen Nenner. Eine Grundvoraussetzung für deren Gelingen ist das Primat der Politik.

Erfolgreicher Widerstand gegen neoliberalen Druck

Im Westen führte die neoliberale Wende seit den 80er Jahren zu einem tendenziellen Machtverlust politischer Instanzen. Staaten gerieten in Konkurrenz zueinander und sahen sich gezwungen, potentielle Investoren durch Vorleistungen, Steuerermäßigungen, günstige Kredite und Bürgschaften zu ködern. Damit Großsteuerzahler ihre Vermögen nicht in Steueroasen verschieben, wurden sie durch geringere Steuersätze und Verzicht auf Vermögensbesteuerung günstig gestimmt. Bei einer Repatriierung von Geld- und Anlagevermögen wurden Straffreiheit und Steuernachlässe zugesagt.

China gelang es, sich dem Druck global agierender Kapitalgesellschaften weitgehend zu entziehen. Als 1997 die Asien-Krise ausbrach, war es dank hoher Devisenreserven kaum betroffen und konnte die Exporte in der Folgezeit erheblich steigern. Einen weiteren Schub bewirkte der Eintritt in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001. Der wachsende Mittelzufluss ermöglichte die Realisierung ehrgeiziger Infrastrukturvorhaben, was ausländische Investoren trotz Auflagen und Restriktionen zu einem verstärkten Engagement animierte. Einheimisches Kapital konnte akkumuliert werden, es wurden neue Wirtschaftsbereiche erschlossen, Produktionsstätten wurden in zurückgebliebene Regionen des chinesischen Hinterlands verlagert.

Obwohl sich die Lebensqualität nahezu aller Bürger verbesserte, sind die Einkommensdifferenzen in China weiterhin groß. Sie erklären sich zum einen aus der gezielten Förderung privater Kapitalbildung, die für das hohe Wirtschaftswachstum dienlich war. Zum anderen gibt es bis heute erhebliche Entwicklungsgefälle sowohl zwischen den Provinzen wie auch zwischen Großstädten und ländlichen Gegenden. Der Gini-Koeffizient, der die Verteilung der Einkommen beschreibt, überschreitet die Werte der meisten europäischen Länder. Dass er in den letzten zehn Jahren im Sinken begriffen ist, zeugt von erfolgreichen Schritten hin zu einer gerechten Verteilung.

Dagegen besteht in nahezu allen westlichen Industrieländern ein Trend zunehmender Einkommens- und Vermögensunterschiede. Er erklärt sich zum einen aus den Zugeständnissen der Regierungen an Kapitaleigner, die als unverzichtbar gelten, um in der globalen Standortkonkurrenz zu bestehen und Steuerflucht zu verhindern. Zum anderen zwingen Arbeitslosigkeit und die Androhung von Produktionsverlagerungen die Bezieher geringer Einkommen in einen verschärften Wettbewerb mit der Folge von Geldeinbußen. Betroffene sind nicht nur Lohnempfänger, sondern auch Kleinunternehmer und manche Mittelständler.

Wie bereits Karl Marx konstatierte, sind Kapitalgesellschaften allgemein bemüht, sich dem Konkurrenzdruck zu entziehen. Gegenwärtig werden immer größere Teile der globalen Wirtschaft von Oligopolen beherrscht, die Märkte aufteilen, das Angebot kontrollieren und potentielle Rivalen am Aufstieg hindern. Als Käufer ziehen die großen Konzerne Nutzen aus der Konkurrenz der Anbieter, beim Verkauf können sie Monopolpreise durchsetzen. Während marktwirtschaftliche Mechanismen in China ihre produktivitätssteigernde Wirkung entfalten, werden sie im Westen in zentralen Wirtschaftsbereichen tendenziell eliminiert.

Chinas Außenwirtschaftspolitik als Alternative zum Neoliberalismus

Wie global agierende Kapitalgesellschaften ihre Marktmacht nutzen, um sich zu Lasten von mittelständischen Unternehmen und Konsumenten zu bereichern, so könnte China eine vergleichbare Praxis in Bezug auf schwächere Handelspartner unterstellt werden. Dass sich Peking für den globalen Freihandel stark macht, bedeutet jedoch nicht, dass es andere Staaten zwingt, ihre Märkte zu öffnen. Das Prinzip der Nichteinmischung verbietet es, fremde Regierungen unter Druck zu setzen.

Die Beibehaltung von Kapitalverkehrskontrollen und Zöllen durch ein Land mag das chinesische Interesse an einer Kooperation senken. Ebenso lässt sich vermuten, dass staatlich kontrollierte Unternehmen ihre Lieferungen vornehmlich aus Ländern beziehen, die sich nicht am China-Bashing beteiligen. In diesen Fällen handelt es sich dennoch um keine direkte Einflussnahme wie etwa bei der westlichen Schützenhilfe für jene Teile der nationalen Eliten, die sich am bereitwilligsten den Interessen ausländischer Privatinvestoren unterwerfen.

Während Entwicklungshelfer aus dem Westen die humanitären Folgen neokolonialer Ausbeutung ausbügeln und eine positive Presse erhalten, wird China häufig der Kooperation mit brutalen Herrschern bezichtigt. Gleichwohl wird dem chinesischen Engagement in schwach entwickelten Ländern durch westliche Medien Anerkennung gezollt. Dabei wird die Sorge artikuliert, dass der Westen seinen Einfluss verlieren könnte. Der Pekinger Regierung wird die Verfolgung von Eigeninteressen vorgeworfen, was von dieser nie abgestritten wurde. Sie könne zudem den strategischen Vorteil nutzen, sich selbst aus der Armut hochgearbeitet zu haben und nicht als Kolonialmacht vorbelastet zu sein. Ein gewichtiger Grund für das Kooperationsinteresse vieler Staaten dürfte aber auch sein, dass sie sich dem Würgegriff westlicher Konzerne und des IWF entziehen wollen.

Die zwischenstaatlichen Prinzipien der EU unterscheiden sich von den chinesischen grundlegend. Deren mächtige Politiker und Wirtschaftsführer verfolgen mit dem Hebel der "vier Grundfreiheiten" das Ziel, eine Dominanz über kleine und wirtschaftlich schwache Mitglieder zu erlangen. Als Folge erzwungener Marktöffnung werden nationale Produzenten verdrängt und Arbeitsplätze beseitigt, woraufhin die Steuereinnahmen sinken. Die Staaten sind zunehmend auf Kredite und EU-Transferzahlungen angewiesen, was sie politisch erpressbar macht. Um Investoren anzulocken, werden den Regierungen neoliberale Konzepte wie Lohnkürzungen, flexible Arbeitsbedingungen und ein Abbau sozialer Leistungen angeraten. Der Ökonom Paul Steinhardt sieht die EU als Blaupause für eine kapitalgetriebene Globalisierung.

Das wirtschaftliche Engagement Chinas im Ausland umfasst nicht nur die Finanzierung und Umsetzung von Infrastrukturprojekten in schwach entwickelten Ländern, sondern auch Direktinvestitionen und den Erwerb von Unternehmensanteilen. Wie der Publizist Werner Rügemer in seinem kürzlich erschienenen Werk „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“ anhand verschiedener Fälle belegt, erweisen sich chinesische Firmenübernahmen in Deutschland als durchaus vorteilhaft für Belegschaften und Steuerbehörden. Anfängliche Bedenken der gewerkschaftlichen Vertretungen in den betroffenen Produktionsstätten konnten weitgehend zerstreut werden.

Anders als bei Private-Equity-Investoren ist das Engagement chinesischer Unternehmen langfristig ausgerichtet. Das treibende Motiv ist nicht die Erzielung schneller Profite, sondern der Erwerb von dauerhaft gewinnbringenden Anlagen und der Zugang zu fortgeschrittenen Technologien. Während westliche Privatinvestoren bestrebt sind, den Wert ihrer Kapitalanlage durch Zerlegung der Unternehmen, Entlassungen, Steuereinsparungen und Zurückdrängung gewerkschaftlicher Aktivitäten hoch zu putschen, eröffnen sich Betrieben in chinesischem Besitz oft neue Exportmärkte in deren Mutterland.

Die neue Systemkonkurrenz

China bietet sich als Stütze für wirtschaftliche und politische Akteure an, die den neoliberalen Zwängen entkommen wollen. Zwar werden alte Abhängigkeiten gegen neue eingetauscht, diese sind aber vor allem wirtschaftlicher Art und implizieren keine Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten. Die chinesische Seite schreibt weder vor, wie Staaten zu regieren sind, noch auf welche Werte sie sich stützen oder welches Gesellschaftssystem sie wählen sollen. Der politische Handlungsspielraum der Regierungen bleibt weitgehend unbeeinträchtigt. Forderungen wie Vollbeschäftigung, nachhaltiges Wirtschaften, eine Erhöhung der Lebensqualität und eine Angleichung der Einkommen sind real durchsetzbar. Die Erhebung von Steuern kann sich am gesellschaftlichen Bedarf orientieren.

Unter chinesischer Führung wird sich perspektivisch ein wachsender Block von Staaten herausbilden, die sich von der Profitmaximierung als alleinigem Zweck und Motiv wirtschaftlicher Tätigkeit abwenden. Im Gegensatz zu neoliberalen Bestrebungen wird jedem Land die Freiheit zugestanden, sein politisches System und sein Wirtschaftsmodell selbst zu bestimmen. Es kann den Kapitalverkehr einschränken und Zölle erheben, um nationale Produzenten zu schützen. Immigration kann limitiert oder gefördert werden.

Regierungen sollten jedoch berücksichtigen, dass häufige Veränderungen der für die Außenwirtschaft maßgeblichen Bestimmungen Händler und Investoren verunsichern. Ebenfalls erscheint es opportun, restriktive Maßnahmen nur für eine Übergangszeit anzuwenden, in der konkurrenzschwache Produktionsstätten entweder auf das globale Wettbewerbsniveau angehoben oder sozialverträglich abgewickelt werden. Ein Abbau von Zöllen und anderen Restriktionen ist schon deshalb anzustreben, damit die Volkswirtschaft von globalen Produktivitätsfortschritten maximal profitieren kann. Im Zuge dieser Einsicht wird sich der Freihandel tendenziell durchsetzen. Der Prozess vollzieht sich dabei gemäß volkswirtschaftlichen Erfordernissen und nicht durch externe Zwänge.

Die mächtigsten Verteidiger der neoliberalen Agenda dürften jene Staaten sein, die in den 80er Jahren deren Initiatoren waren: die USA und Großbritannien. Einerseits ist ihre aufgeblähte Finanzwirtschaft der größte Profiteur wachsender Einkommensunterschiede, da vermögende Privathaushalte ihr Anlagekapital vergrößern und mehr Finanzdienstleistungen nachfragen. Andererseits hat die Realwirtschaft der Länder den Anschluss an die führenden Nationen verloren. Da die Infrastruktur weitgehend veraltet ist und das berufliche Leistungsvermögen der Bürger unter dem Abbau qualifizierter Arbeitsplätze gelitten hat, droht ein Absinken in die Zweitklassigkeit.

Der Konflikt zwischen beiden Blöcken wird die internationale politische Arena in den nächsten Jahrzehnten beherrschen. Es bleibt zu hoffen, dass er friedlich ausgetragen wird. Diese neue Systemkonkurrenz betrifft wohlgemerkt nicht Gesellschaftsordnungen, sondern die Prinzipien des Umgangs der Staaten miteinander: Die eine Seite strebt nach Dominanz durch politische Einflussnahme und wirtschaftlichen Druck, die andere hält sich strikt an das Völkerrechtsprinzip der Nichteinmischung. Im ersten Fall ist das primäre Ziel der uneingeschränkte Marktzugang globaler Kapitalgesellschaften, im zweiten die Erhaltung der staatlichen Souveränität. Gegeneinander stehen das Primat der Wirtschaft und das der Politik, aus denen ein recht unterschiedliches Maß an Handlungsfähigkeit nationaler Regierungen resultiert.

Eine Befreiung aus neoliberalen Zwängen muss nicht abrupt geschehen. Durch einen Ausbau der Kooperation mit Staaten des von China geführten Blocks können alte Abhängigkeiten allmählich reduziert werden, sodass der Wechsel zum „Systemkonkurrenten“ ohne größere wirtschaftliche Rückschläge erfolgen kann. Dies macht es für Staaten attraktiv, Schritte in eine solche Richtung zu wagen. Es erklärt zugleich das Bestreben der westlichen Führungsmächte, schon den Anfängen zu wehren. Eine Abkehr vom Neoliberalismus unter der Ägide Chinas hat vielerorts bereits begonnen. Im Rahmen des „One Belt one Road“-Projekts wurden mit Griechenland, Ungarn und Portugal die ersten EU-Staaten erfasst, und mit Italien folgt nun das erste wirtschaftliche Schwergewicht des Westens.

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