Ist die Ukraine-Krise lösbar?

Erste Schritte Die Gesprächskontakte in letzter Zeit lassen vermuten, dass an einer Lösung der Ukraine-Krise ernsthaft gearbeitet wird. Noch gibt es keine Annäherung der Standpunkte.

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Das Säbelrasseln ist auch nach dem Treffen von Kerry und Lawrow, zumindest auf westlicher Seite, nicht abgeebbt 1). Nach offiziellen Verlautbarungen ist es vor allem die Konzentration russischen Militärs nahe der ukrainischen Grenze, die den Westen irritiert und die eigenen Drohgebärden als rechtfertigt erscheinen lässt. Tatsächlich wäre der Westen hilflos, wenn – ähnlich wie auf der Krim - bewaffnete Bürgerwehren die Macht in der Ostukraine übernehmen würden. Dabei sei dahingestellt, ob und wie Russland daran beteiligt ist. Dies könnte einerseits als wahrscheinlich gelten. Andererseits würde der Westen, auch wenn es sich nicht durch Fakten belegen liesse, Moskau die Rolle des Drahtziehers unterstellen.

Wiederholte Äusserungen Putins und Lawrows sprechen eine andere Sprache. Man ist sich offensichtlich der Tatsache bewusst, dass bei einem solchen Szenario ein militärischer Konflikt auf dem Boden der Ukraine nicht auszuschliessen wäre. Und davon könnte auch Russland betroffen sein, etwa durch Terroranschläge. Auch deshalb ist man an keiner Eskalation des Konflikts interessiert, weil diese unweigerlich Wirtschaftssanktionen implizieren würde.

Überhaupt bestreitet Moskau, Massnahmen zu ergreifen, die als militärische Bedrohung ausgelegt werden könnten. So hat das russische Aussenamt in der letzte Woche darauf hingewiesen, dass westliche Militärbeobachter, die sich gegenwärtig im Rahmen der OSZE-Vereinbarungen in Russland aufhalten, keinerlei aggressive Vorbereitungen festgestellt hätten 2).

Daher spricht einiges dafür, dass der Verweis auf eine vermeintliche russische Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze eher politisch-propagandistischen Zwecken des Westens dient. Erst einmal wird die Existenz der Nato legitimiert, sozusagen als Schutzschild gegen angebliche russische Expansionspläne. Ausserdem wird das in zwei Jahrzehnten aufgebaute Vertrauen zwischen Westeuropa und Russland erschüttert, mit weitreichenden Konsequenzen für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Kooperation 3). So sind Verunsicherung und Distanz bereits im Vorfeld effektiver Sanktionsbeschlüsse erkennbar. Schliesslich beflügelt der „Schulterschluss“ zwischen der EU und den USA die Verhandlungen über das TTIP-Freihandelsabkommen 4).

Neben der Forderung nach einem Rückzug russischer Truppen von der Grenze zur Ukraine ist auch die zweite Bedingung Kerrys, Moskau solle mit Kiew in einen direkten Dialog eintreten, suspekt. Schliesslich ist bekannt, dass Moskau die ukrainische Regierung nicht anerkennt und daher wenig Interesse hat, sie durch „Verhandlungen auf Augenhöhe“ aufzuwerten.

Dagegen bieten die Vorschläge Lawrows durchaus eine Grundlage für einen Kompromiss ohne Gesichtsverlust: der Ausschluss rechtsextremer Kräfte aus der Regierung und anderen höheren Ämtern, ein föderalistischer Staatsaufbau mit gewissen Autonomierechten für die Regionen mit russischsprachiger Mehrheit und die Verpflichtung der Ukraine, keinem Militärbündnis beizutreten. Es sei daran erinnert, dass diese Ideen zuerst auf westlicher Seite geäussert wurden, etwa von Henry Kissinger 5) und Günter Verheugen 6).

Hinsichtlich des Anschlusses der Krim an die russische Föderation ist kein Kompromiss in Sicht. Tatsächlich existieren mehrere Konfliktregionen im europäischen und kaukasischen Raum, bei denen die russische und die westliche Seite jeweils entgegengesetzte Standpunkte vertreten, ohne dass dies die Kooperation beeinträchtigen hätte. Eine allgemein akzeptierte Lösung des Krim-Konflikts ist tatsächlich nur als Resultat russisch-ukrainischer Verhandlungen möglich. Diese kann aber Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/nato-hilfe-fuer-osteuropa-sorgt-fuer-unbehagen-in-koalition-a-961542.html

2) http://de.ria.ru/security_and_military/20140328/268136295.html

3) https://www.freitag.de/autoren/soenke-paulsen/die-ukraine-ist-der-black-swan

4) http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ukraine-krise-befluegelt-ttip-gespraeche-mit-amerika-12860343.html

5) http://www.spiegel.de/politik/ausland/krim-ukraine-henry-kissinger-hat-vorschlag-zur-beilegung-der-krise-a-957890.html

6) http://cooptv.wordpress.com/2014/03/19/spd-politiker-gunter-verheugen-am-dienstag-im-deutschlandfunk-zum-verhaltnis-eu-rusland/

Zu meiner Person: Ich habe in den 70er Jahren Politische Wissenschaft an der FU Berlin studiert, mit Staatsexamens-Abschluss 1981. Seitdem lebe ich in Finnland.

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