Kampf um die Zukunft der Ostukraine

Ostukraine: Noch ist es möglich, eine militärische Eskalation zu verhindern.

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Vergegenwärtigen wir uns die Ausgangslage: Sowohl die Kiewer Regierung als auch die Führung der Separatisten berufen sich auf den erklärten Willen der Bevölkerung der Regionen Donezk und Lugansk.

Tatsächlich war das Referendum vom 11.5. kein Votum für die staatliche Unabhängigkeit. Die gestellte Frage lautete: „Unterstützen Sie die Urkunde über die Souveränität der Republik Donezk (bzw. Lugansk)?“ 1). Wer mit „Ja“ stimmte, votierte möglicherweise für ein föderatives System.

Ebenso wenig kann aber behauptet werden, dass eine Bevölkerungsmehrheit hinter Kiew stünde. Wie auch in der westlichen Presse allgemein zugestanden wird, offenbarte das Ergebnis des Referendums ein tiefes Misstrauen der meisten Menschen im Osten der Ukraine gegenüber den Kiewer Machthabern.

Wenn der neue ukrainische Präsident Poroschenko eine Aussöhnung anstrebt, kann er nicht die Tatsache negieren, dass die Separatisten weiterhin breite Unterstützung genießen. Eine militärische Entscheidung, sollte sie überhaupt gelingen, würde die Fronten eher zementieren. Im schlimmsten Fall müsste Kiew mit andauernden Bürgerprotesten rechnen, vielleicht sogar mit Sabotageakten, die sich auf andere Regionen der Ukraine ausbreiten könnten. Die Lage ist auch sonst bedrohlich genug: Als Realpolitiker weiß Poroschenko natürlich, dass sein Versprechen, mittels der EU-Assoziierung Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen, auf tönernen Füssen steht.

Die Volkswehren in Donezk und Lugansk müssen ihrerseits befürchten, die Unterstützung der Bevölkerung allmählich zu verlieren. Versorgungsengpässe, Willkürmaßnahmen und die Bedrohung als Dauerzustand zermürben den Durchhaltewillen der Menschen. Zudem hat sich die vielerorts gehegte Hoffnung nicht erfüllt, dass Russland zu Hilfe eilen würde.

Was beide Konfliktparteien verbindet, ist der Glaube, die Bevölkerungsmehrheit hinter sich zu haben. Wäre dann nicht ein neues Referendum ein Weg aus der Krise? Keine Seite wird sich diesem in den Weg stellen können, wollte sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Sowohl Kiew als auch die selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk müssen bereit sein, sich dem Votum der Bevölkerung zu unterwerfen.

Für eine praktische Umsetzung wären folgenden Schritte möglich:

  1. Beide Seiten verzichten auf militärische Aktionen, bleiben aber in ihren jetzigen Positionen weiter stationiert. Insbesondere die Eroberung bzw. Rückeroberung weiterer Ortschaften oder Gebäude muss unterbleiben.
  2. Dem Zivilverkehr wird Bewegungsfreiheit in der gesamten Region ermöglicht. Wegkontrollen werden akzeptiert, sie sollen aber nicht zu Schikanen ausarten.
  3. Für die Propagierung der Alternative: Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zur Ukraine werden beiden Parteien gleiche Publikationsbedingungen, insbesondere Fernsehsendezeit, zugestanden.

Um eine überzeugende Alternative anbieten zu können, wird die Kiewer Regierung ein akzeptables Angebot über einen föderativen Staatsaufbau unterbreiten müssen. Aber auch die Separatistenführer müssen ein klares Konzept anbieten, wollen sie ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen.

Die Präsenz der OSZE würde sowohl den Waffenstillstand als auch die faire Vorbereitung des Referendums garantieren. Für den Zeitraum dorthin wäre etwa ein Monat angemessen.

Ebenso sollten sowohl der Westen als auch Russland im Voraus erklären, dass sie das Ergebnis des Referendums anerkennen und aktiv an dessen Umsetzung mitwirken werden.

In Abhängigkeit vom Ausgang des Votums der Bevölkerung wird entweder die Kiewer Regierung ihre Militäreinheiten abziehen oder es werden sich die Volkswehren von Donezk und Lugansk entwaffnen lassen.

1) http://german.ruvr.ru/news/2014_05_11/Referendum-in-der-Ostukraine-8036/

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