Krieg in der Ostukraine – wie lange noch ?

Ukraine. Warum gibt es keine Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Protokolls? Wer mauert hier und warum?

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Bei der Untersuchung der Motive der am Ukraine-Konflikt Beteiligten wird immer wieder auf wirtschaftliche und militärstrategische Interessen verwiesen. Für den durchschnittlichen Nachrichtenkonsumenten stellt sich der Konflikt dagegen als Machtkampf dar, bei dem er für jene Seite Partei ergreift, die vermeintlich die „bessere Sache“ vertritt.

Unabhängig davon, in welchem Umfang die Bürger eines Staates Opfer von Manipulation und Desinformation sind, hat ihre Meinung einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der politischen Elite. In Demokratien muss jeder Politiker allein schon im Interesse seiner Wiederwahl auf die Wünsche und Erwartungen der Bevölkerungsmehrheit eingehen. Aber auch in Gesellschaften mit autoritären Machtstrukturen kann keine Regierung auf Dauer gegen den Volkswillen agieren, ihr Legitimitätsbedarf ist oftmals sogar größer.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich die Politik von den Massen treiben lässt. Vielmehr gelingt es einer erfahrenen Politikerclique, den vermeintlichen Willen der Bevölkerungsmehrheit zu instrumentalisieren. Bei Bedarf werden Angstszenarien künstlich erzeugt, wobei den Medien eine besondere „Verantwortung“ zukommt. Je glaubwürdiger externe Bedrohungen erscheinen, je stärker sie das Schicksal des Einzelnen tangieren und je länger sie andauern, desto besser lassen sich Belastungen und Einschränkungen für die Bürger rechtfertigen.

Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, inwieweit die ukrainischen Konfliktparteien tatsächlich an einer Lösung interessiert sind.

Die Kiewer Regierung und der Westen

Der Ukraine stehen schwere wirtschaftliche Zeiten bevor. Der Einbruch bei den Exporten nach Russland ist alarmierend, zumal da es sich um Produkte höherer Veredelungsstufe handelt. Ein Ersatz durch vermehrte Exporte in westliche Länder ist mittelfristig nicht in Sicht. Ebenso fließen westliche Unterstützungsgelder recht spärlich, Soros‘ Forderung eines „Marshall-Plans“ für die Ukraine wird weitgehend ignoriert. Beschäftigungsrückgang und verminderte Einkommen sind quasi vorprogrammiert, und dies geschieht bei gleichzeitigen Verteuerungen, bedingt durch die Auflagen des IWF. Angesichts der Misswirtschaft der letzten Jahrzehnte bestehen zudem hohe Erwartungen auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen, deren Niveau im Vergleich zu den Nachbarländern zurückgeblieben ist.

Die Tatsache, dass die Macht der Oligarchen ungebrochen ist, weckt nicht gerade Vertrauen bei den Maidan-Oppositionellen. Ebenso kann sich der Unmut im Süden und im Osten der Ukraine, der sich durch die geringe Teilnahme an den Parlamentswahlen artikulierte, jederzeit in Protestaktionen Luft verschaffen.

Wenn auch eine militärische Einnahme der Ostukraine derzeit unmöglich ist, so ist ein schwelender Konflikt dennoch das Beste, was den Kiewer Machthabern passieren kann. Zum eigentlichen Gegner ist Russland auserkoren, das sich erst die Krim aneignete und jetzt die Ostukraine destabilisiere, um eine Westintegration des Landes zu erschweren. Mit dieser Argumentation lassen sich zum einen Proteste in den vornehmlich russischsprachigen Teilen des Landes unterdrücken, indem diese als von Moskau gesteuert und die Einheit der Ukraine gefährdend tituliert werden können. Zum anderen lassen sich höhere Verteidigungsausgaben begründen, die angesichts der russischen Aggression unvermeidlich seien und die zusammen mit den wirtschaftlichen Repressalien Russlands die Entbehrungen der Bürger verursachen würden. Wer den sinkenden Lebensstandard kritisiert, wird somit zum Vaterlandsverräter.

Eine Umsetzung der Minsker Vereinbarung könnte zum Einfrieren des Konflikts führen und damit das Argument einer akuten Bedrohung durch Russland fragwürdig erscheinen lassen. Darüber hinaus würde den Separatisten die Möglichkeit geboten, ihre Herrschaft zu konsolidieren, was bisher durch das Andauern der militärischen Aktionen erfolgreich verhindert werden konnte.

In den politischen Kreisen des Westens geht es gegenwärtig weniger um das Schicksal der Ukraine selbst als vielmehr um die Frage, ob Russland weiterhin „bestraft“ und geschwächt werden soll. Wer dafür votiert, greift unkritisch Stellungnahmen der Kiewer Regierung auf, die Russlands aggressives Verhalten „beweisen“. Die Ukraine wird zum Opfer russischer Machtpolitik erklärt, welche ihren Ursprung in panslawistischen Ideen habe bzw. auf eine Wiederherstellung der Sowjetunion orientiere. Klischees über Putin oder über den russischen Menschen, der angeblich demokratieunfähig sei, werden aufgegriffen.

Wenn der Konflikt um die Ostukraine auch geeignet ist, die Stimmung gegen Putins Russland am Kochen zu halten, so kann der Westen eine Schwächung der Kiewer Regierung durch massiven Druck von unten nicht riskieren. Angesichts des Unwillens, der Ukraine finanziell unter die Arme zu greifen, fokussieren sich alle Erwartungen auf die Privatwirtschaft. Die Bereitschaft zu privaten Investitionen setzt aber stabile Verhältnisse voraus, darunter die Einstellung des militärischen Konflikts im Osten des Landes. So ist davon auszugehen, dass die westliche Seite Kiew dazu drängen wird, den Status quo im Donbass anzuerkennen.

Die Separatisten und Russland

Das Andauern von Kampfhandlungen, unter denen die Zivilbevölkerung leidet, hat bisher die Abneigung der Bevölkerung gegenüber den Kiewer Machthabern verstärkt. Da die Separatisten auf einen eigenen Staat hinarbeiten, ist ihnen diese Stimmungslage durchaus dienlich.

Eine Eroberung größerer Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk erscheint angesichts des militärischen Kräfteverhältnisses unrealistisch, sodass entsprechende Drohgebärden kaum ernst zu nehmen sind. Diese finden ihr Pendant in den Verlautbarungen ukrainischer Politiker, die ihrerseits als Ziel die militärische „Befreiung der Ostukraine von Terroristen“ deklarieren.

Die Rebellenregierungen können aber der Bevölkerung nur begrenzt Opfer zumuten, ohne ihre Machtposition zu gefährden. Insbesondere wird von ihnen erwartet, einigermaßen akzeptable Lebensbedingungen zu gewährleisten, und hierbei sind sie auf die materielle Unterstützung Russlands angewiesen.

Da bei den Wahlen nur Parteien zugelassen wurden, die für die staatliche Unabhängigkeit votierten, bleibt unklar, ob sich nicht auch zahlreiche Bürger eine Autonomieregelung als Lösung vorstellen können. Dies ist ja bekanntlich auch die offizielle russische Option. Dennoch hat Russland bislang darauf verzichtet, die Separatistenführer direkt zu kritisieren oder als Gegenleistung für Hilfslieferungen politisches Einlenken zu verlangen.

Offensichtlich hat sich in Moskau die Überzeugung durchgesetzt, dass die Chancen auf eine schrittweise Entschärfung des Konflikts infolge des Wahlausgangs in der Ukraine deutlich gesunken sind. Anstatt an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten, wird die ukrainische Regierung aufgefordert, mit den Separatisten auf Augenhöhe zu verhandeln. Deren Wahlen werden respektiert, neue Hilfskonvois werden auf den Weg gebracht, vermutlich wird über inoffizielle Kanäle auch militärische Unterstützung gewährt. Vieles weist darauf hin, dass Russland gegenwärtig bestrebt ist, den Konflikt „einzufrieren“. Dafür spricht auch das wiederholte Insistieren auf eine Einstellung der Kampfhandlungen und die Errichtung der im Minsker Protokoll vorgesehenen entmilitarisierten Zone.

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