Liquiditätsabfluss in den Anlagesektor (2)

Teil 2 - Wachsende Einkommensunterschiede begünstigen reiche Haushalte, deren Konsum trotz Mehreinnahmen kaum steigt. Das Geld strömt in den Anlagesektor - mit bedenklichen Folgen

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Im ersten Teil wurde erklärt, wie überschüssige Liquidität entsteht. Wertpapierkurse werden nahezu unbegrenzt in die Höhe getrieben, während die Wirtschaft zu kontrahieren droht. Als nächstes soll untersucht werden, wie sich steigende Zinssätze auf die Kursentwicklung auswirken.

Da sich die im Modell errechneten Werte nicht mit der Realität decken, gibt es offenbar Wege, den im vorherigen Teil illustrierten Trend abzuschwächen. Diese sollen an späterer Stelle thematisiert und auf ihre Beständigkeit geprüft werden.

Kein zwingender Kursrückgang bei steigenden Zinssätzen

Dass steigende Zinssätze zu fallenden Kursen von Anlageobjekten führen, gilt im ökonomischen Mainstream als unbestrittener Tatbestand. Ein häufig angeführtes Erklärungsbeispiel betrifft Anleihefonds. Erhöht sich das Zinsniveau, dann werden auf dem Kapitalmarkt Obligationen mit einem besseren Ertrag angeboten. Im Portfolio mancher Anleihefonds befinden sich jedoch die alten, weniger ertragreichen Titel. Anleger werden solche Fondanteile abstoßen und sich Wertpapiere mit höheren Renditen besorgen. Bereits eine Zunahme der Verkaufsoptionen würde die Kurse der schlechter bestückten Fonds senken.

Wachsende Zinsen drücken auch deshalb den Preis von Anlagetiteln, weil auf dem Kapitalmarkt viel mit geliehenem Geld agiert wird. Vermindert sich die Differenz zwischen Kapitalerträgen inklusive Kursgewinnen einerseits und Zinskosten andererseits, dann nimmt das Verlustrisiko zu. Wer bei zu erwartenden Zinssteigerungen und relativ stagnierenden Kursen als erster seine Wertpapiere verkauft und sich entschuldet, kann unbeschadet davonkommen. Je mehr in Anlegerkreisen geunkt wird, dass sich das Zinsniveau anhebt, desto eher könnte ein Herdentrieb ausgelöst werden.

Der Glaube an ein inverses Verhältnis von Zinsen und Kursen beruht auf der impliziten Annahme, dass genügend Objekte bereit stehen, aus denen Anleger die jeweils ertragreichsten auswählen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn das Angebot erheblich hinter der Nachfrage zurückbleibt. Bietet ein Supermarkt gute und schlechte Äpfel an, würden die Kunden bei gleichem Preisniveau zur guten Ware greifen. Was geschieht aber, wenn diese zur Neige geht? Bei allgemeiner Knappheit könnten die schlechteren Äpfel sogar zu einem höheren Preis abgesetzt werden. Derselbe Effekt dürfte auf dem Kapitalmarkt eintreten, wobei es schwieriger wäre eine Preisschranke anzugeben, oberhalb derer sich kein Käufer mehr findet.

Nachdem der Markt von Anleihen mit höheren Zinserträgen geräumt ist, dürfte das Interesse für jene Titel steigen, die geringere Renditen abwerfen. Würde dann aber nicht das Zinsniveau allgemein sinken? In gewissem Umfang geschieht dies auch, wobei sich nicht einmal Negativzinsen als Hindernis erweisen. Allerdings orientieren sich Zinssätze primär an der Zahlungsfähigkeit der Kreditkunden, die von Banken und Rating-Agenturen beurteilt wird. Bei Unterschreitung eines gerechtfertigten Limits lassen sich Obligationen nur schwerlich auf dem Anlagemarkt absetzen.

Zinssteigerungen werden bei der Existenz eines Nachfrageüberhangs nicht nur gebremst, sondern sie beeinträchtigen auch kaum den Absatz und die Preise der Anlageobjekte. Stattdessen verursachen höhere Zinssätze gegenteilige Effekte. Manche Konsumenten und Investoren verzichten auf Kredite, da sie befürchten, den Schuldendienst nicht stemmen zu können. Banken konstatieren wachsende Risiken und weisen Kreditkunden mit mäßiger Bonität ab. Indem das Verschuldungsniveau sinkt, vermindert sich aber die verfügbare Menge an Anlagetiteln. Da die Nachfrage unverändert bleibt, vergrößert sich auf dem Kapitalmarkt die Kluft zum Angebot, was weitere Preisschübe auslösen kann.

Wachsende Kurse trotz sinkender Renditen

Steigende Zinsen beeinflussen nicht nur die Kapitalmärkte, sondern haben ebenso Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Die Konsumnachfrage der Haushalte wird sowohl durch einen höheren Schuldendienst als auch durch eine geringere Neuverschuldung belastet. Die daraus resultierenden Absatzeinbußen senken die Renditen der Unternehmen und veranlassen sie, laufende Ausgaben zu vermindern und weniger zu investieren. Dies schlägt sich neben gewachsenen Zinskosten für Anleihen auf die aktuellen und künftigen Erträge nieder. Höhere Gewinne der Anleger aus dem Geldverleih gehen mit Einbußen bei anderen Kapitalanlagen einher, die oft beträchtlich größer sind.

Es sei im Folgenden angenommen, dass steigende Zinssätze die Kapitaleinkünfte um durchschnittlich 10 Prozent senken und das Wachstum der (verfügbaren) Arbeitseinkommen von einem Prozent tilgen. Die Kapitalrendite würde von 3 auf 2,7 Prozent fallen. Das Anlagevermögen, in dem sich die Ertragsfähigkeit des Kapitaleinsatzes widerspiegelt, wäre um 600 geringer.

Tabelle 3

Bevölkerungsgruppe ... 1 Prozent ... 99 Prozent ...... Summe

Arbeitseinkommen ............... 300 ............... 2700 ........... 3000

Kapitaleinkommen ................ 146 .................... 16 ............... 162

Gesamteinkommen .............. 446 ................ 2716 ............. 3162

Konsum ...................................... 112 ............... 2689 ............. 2801

Transaktionskasse .................... 22 .................. 538 .............. 560

Anlagevermögen ................. 4860 ................. 540 ............ 5400

Spekulationskasse ................. 486 .................... 54 ............... 540

Kassenveränderung .............. - 55 .................... - 6 ............... - 61

Verbleibende Geldmittel ..... 389 .................... 33 ............... 422

Wie die Tabelle 3 ausweist, verbleiben nach Abzug von Konsum und Kassenveränderung Geldmittel in Höhe von 422. Wurde bislang eine Emission von Anleihen der Unternehmen angenommen, die einem Zehntel der Veränderung des Anlagevermögens entspricht, so bedeutet dies jetzt bei gleicher Kalkulation einen Schuldenabbau von 60. Wird dazu ein Rückgang der Spekulationskassen von 6 berücksichtigt, steigt der Überschuss auf insgesamt 488. Der um 141 höhere Betrag im Vergleich zu den früheren Berechnungen beruht wesentlich auf der niedrigeren Bewertung des Anlagevermögens, wodurch der Spekulationskasseninhalt sinkt. Bleibt dieser Effekt unberücksichtigt, beträgt die Differenz immer noch 62.

Trotz des gefallenen Realwerts der Anlageobjekte würden die Kurse steigen, weil sich die überschüssige Liquidität vergrößert hat. Deren Wachstum erklärt sich dadurch, dass die Einkommen im Vergleich zu Tabelle 2 weniger abgenommen haben als die Aufwendungen für Konsum, Kassenhaltung und Investitionen. Die verbreitete Sichtweise, dass ein Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten allgemein zu fallenden Wertpapierkursen führt, gilt nicht mehr bei einem Nachfrageüberhang. Da eine Erhöhung der Zinssätze ausschlaggebend war, wird die Annahme bestätigt, dass wachsende Zinsbelastungen auf dem Anlagemarkt eher preistreibend wirken.

Umverteilung als mögliche Lösung

Steigende Aktienkurse werden häufig als Zeichen für eine prosperierende Wirtschaft interpretiert. Politiker sind geneigt, dies eigenen Verdiensten zuzuschreiben. Daher sind schwerlich Initiativen zu erwarten, die den Trend nach oben brechen könnten. Mit der Höhe des Kursniveaus nimmt dennoch die Angst vor einer Überhitzung auf den Wertpapiermärkten zu. Dabei wird eine Inflation der Anlageobjekte gewöhnlich als Blasenbildung interpretiert, obwohl es sich meist um das Resultat eines fortdauernden Nachfrageüberhangs handelt. Solange die globale Finanzarchitektur standhält, wird es jedoch kaum zu den mancherorts befürchteten massiven Einbrüchen der Vermögenspreise kommen.

Die eigentlichen Gefahren entstehen durch den Entzug von Liquidität aus dem Wirtschaftskreislauf, der die Realwirtschaft trifft. Da es augenscheinlich nicht genügend Anlageobjekte gibt, in die überschüssiges Geld fließen kann, bestehen nur zwei Lösungswege: Entweder müssen Geldmittel umverteilt oder neue Anlagebereiche erschlossen werden. Im ersten Fall wäre die Politik gefordert. Durch eine höhere Besteuerung von Gewinnen und Erbschaften oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer könnte Liquidität im notwendigen Umfang abgeschöpft und den 99 Prozent zugeteilt werden.

Wie groß der Umverteilungsbetrag im vorliegenden Modell sein muss, zeigt Tabelle 4. Die Besteuerung orientiert sich dabei am Wert des Anlagevermögens. Um den gesamten Überschuss absorbieren zu können, ist eine Belastung von 5,5 Prozent erforderlich. Die vom reichsten Prozent zu entrichtete zusätzliche Steuer beträgt in diesem Fall 303. Sie ist in der Tabelle von dessen Einkommen subtrahiert und den 99 Prozent zugeschlagen worden. Da auch die Bessergestellten innerhalb der Gruppe der 99 Prozent über Kapitalanlagen verfügen, wird ein Betrag von 34 intern umverteilt. Der Konsum des vermögenden Prozents soll unverändert bleiben, während er bei den 99 Prozent mit dem Einkommenszuwachs steigt.

Tabelle 4

Bevölkerungsgruppe ... 1 Prozent ... 99 Prozent ...... Summe

Besteuerung .............................. 303 ................... 34 ................ 337

Gesamteinkommen ................ 165 ............... 3048 .............. 3213

Konsum ....................................... 117 .................3018 .............. 3135

Transaktionskasse .................... 23 .................. 604 ............... 627

Anlagevermögen .................. 5508 ................... 612 ............. 6120

Spekulationskasse ................... 551 ..................... 61 ................ 612

Kassenveränderung .................. 11 ..................... 67 .................. 18

Verbleibende Geldmittel ......... 37 .................. - 37 .................... 0

Ein höherer Konsum erfordert zusätzliche Investitionen, sodass sich das Anlagevermögen vergrößert. Es können Unternehmensanleihen emittiert werden, zugleich wird die Spekulationskasse aufgefüllt. Wachsen Konsum und Anlagevermögen mit demselben Prozentsatz, dann vermindert sich der umzuverteilende Betrag nach der bei Tabelle 3 verwendeten Berechnungsgrundlage auf 250. Gemessen an dem gestiegenen Wert der Kapitalanlagen entspricht dies einer steuerlichen Belastung von 3,8 Prozent.

Politik im Kapitalinteresse

Anstatt die überschüssigen Geldmittel durch eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften und Anlagevermögen im erforderlichen Umfang abzuschöpfen, handeln Politiker gerade gegenteilig. Der verbissene Kampf um Investoren und Großsteuerzahler zwingt Regierungen zu immer neuen Zugeständnissen. Um im Standortwettbewerb bestehen zu können, werden Steuerermäßigungen, Bürgschaften, Subventionen und Zuschüsse gewährt. Steuerflüchtlingen werden Straffreiheit und Steuernachlässe angeboten, damit sie ihre Vermögen repatriieren.

Dass die Regierungen der wirtschaftlich dominierenden Staaten nicht in der Lage sind, an einem Strang zu ziehen, erklärt sich aus Interessendivergenzen. So profitieren die USA und Großbritannien mittels ihrer Finanzplätze von wachsenden Einkommensunterschieden, wodurch sich Rückschläge für die Realwirtschaft kompensieren lassen. Ebenfalls können sich wettbewerbsfähige Volkswirtschaften wie die deutsche und die einiger ostasiatischer Staaten weitgehend schadlos halten, wenn sich auch ein wachsender Widerstand seitens der Defizitländer bildet.

Da sich eine konzertierte Aktion im globalen Maßstab als unmöglich erweist, ist es für einzelne Akteure opportun, auf eine Beggar-thy-neighbour-Politik zu setzen. Um die Wirtschafts- und Finanzelite nicht zu verprellen, halten sich politische Entscheidungsträger zudem mit Kritik und Initiativen gegen Steueroasen und Finanzspekulationen zurück. Ein zu lautstarkes Rütteln am Status quo käme einem wirtschaftlichen Suizid gleich.

Anlageobjekte durch Privatisierung

Da eine Umverteilung von Reich zu Arm gegenwärtig keine realistische Option ist, wird versucht, den Anlagenotstand durch Erhöhung des Volumens der Anlageobjekte zu beheben. Als erfolgreich erweisen sich Privatisierungen, wenn auch meist als Motiv angegeben wird, von den vermeintlichen Segen privatwirtschaftlicher Konkurrenz profitieren zu wollen.

Privates und staatliches Eigentum, dessen ursprünglicher Zweck die Befriedigung von persönlichen und gesellschaftlichen Bedürfnissen war, wird in eine Profitquelle umgewandelt. Öffentliche Dienstleistungen, die bislang von Staaten und Kommunen in Eigenregie produziert wurden, werden durch ein entsprechendes Angebot von Privatunternehmen ersetzt. Sowohl die ehemaligen Betreiber als auch Privatpersonen werden zu Käufern, die keinen Einfluss auf die Preisgestaltung haben.

Manche Staaten verfügen über Produktivvermögen und Kapitalanlagen, die jährliche Erträge abwerfen. Soweit es sich - wie etwa bei Erdöl-Exporteuren - um Überschussvolkswirtschaften handelt, werden Staatsfonds eher aufgestockt als geplündert. Andere Länder besitzen größere Anteile an Versorgern wie Elektrizitäts- und Wasserwerken, Verkehrsbetrieben und Unternehmen der Telekommunikation. Wenn diese an private Akteure veräußert werden, wird meist weniger eine Stärkung des Wettbewerbs angestrebt als vielmehr eine Sanierung der öffentlichen Kassen.

Privatisierungen erhöhen zum einen das Angebot an Anlageobjekten direkt, zum anderen vermittelt über eine zusätzliche Nachfrage auf dem Gütermarkt. Letztere setzt voraus, dass die Verkaufserlöse für öffentliche Ausgaben verwendet werden. Die Effekte sind jedoch einmalig und begrenzt. Überdies ist das Potential mittlerweile weitgehend ausgeschöpft. Stattdessen werden zunehmend Forderungen erhoben, Privatisierungen rückgängig zu machen, da die versprochenen Einsparungen und Qualitätsverbesserungen ausgeblieben sind. Wenn auch politische Entscheidungsträger einen solchen Schritt scheuen, lässt sich Staatseigentum angesichts des breiten Widerstands immer schwieriger verscherbeln.

Angebotszuwachs durch Wertpapierverkauf

Der Rückgang der Rohölpreise während der letzten Jahre hat einige Förderländer gezwungen, die über einen längeren Zeitraum angehäuften Überschüsse abzubauen. Um die gewachsenen Defizite zu finanzieren, werden Wertpapiere auf dem Kapitalmarkt verkauft. Mancherorts verdichten sich Pläne, in Staatsbesitz befindliche Ölgesellschaften an die Börse zu bringen.

Das Anlagevermögen kann auch vergrößert werden, indem Personengesellschaften in Aktiengesellschaften umgewandelt oder neue Aktien ausgegeben werden. Eine gegenteilige Wirkung erzielen Aktienrückkäufe. Diese haben sich in den letzten Jahren vor allem in den USA großer Beliebtheit erfreut.

Schließlich kann die Zentralbank das Angebot an Anlageobjekten erhöhen. Hierzu dienen Offenmarktgeschäfte, die zu dem Zweck getätigt werden, dem Markt Liquidität zu entziehen. Zwar würden die Anlagemärkte allmählich ins Lot kommen, der Realwirtschaft hilft dies jedoch wenig. Da die Konsumgüternachfrage hinter den Einkommen zurückbleibt, sehen sich Unternehmen gezwungen, die Produktion zu senken. Ausgangsmaterialien werden weniger nachgefragt, Belegschaften abgebaut und Investitionen zurückgestellt. Die wirtschaftliche Regression dürfte im darauffolgenden Jahr fortdauern, weil sich bei den vermögenden Haushalten erneut überschüssiges Geld ansammeln würde.

Die Europäische Zentralbank (EZB) agiert aktuell gerade gegenteilig. Einerseits wird erkannt, dass eine restriktive Geldpolitik die Realwirtschaft in die Enge treibt. Andererseits wird hingenommen, dass sich der Anlagenotstand auf dem Kapitalmarkt verschärft. Seit der Finanzkrise wurde im Rahmen eines Wertpapierkaufprogramms der Gesamtbetrag von 2,2 Billionen Euro in die Märkte gepumpt. Nach offizieller Lesart soll durch ein Fluten der Märkte mit Liquidität das Zinsniveau gedrückt werden, um die Investitionsbereitschaft der Unternehmen zu stärken.

Dass das Programm trotz sichtbaren Misserfolgs bis heute fortgesetzt wird, nährt den Verdacht, dass andere Intentionen dahinterstehen. Auffallend werden in großem Stil Obligationen gekauft, die sich nur schwer auf den Anlagemärkten absetzen lassen. Sie betreffen jene Volkswirtschaften der Euro-Zone, in denen sich angesichts der zu starken Währung chronische Schwächen offenbaren. Da ein direkter Erwerb nach dem Statut der EZB ausgeschlossen ist, werden Staatsanleihen über Sekundärmärkte bezogen. Es sind Zweifel angebracht, ob sie sich jemals über Offenmarktgeschäfte veräußern lassen.

Umwandlung des Liquiditätsüberschusses in Anleihen

Lässt sich überschüssiges Geld nur in recht beschränktem Umfang durch Privatisierungen oder Eigentumswechsel absorbieren, so bietet der Export von Gütern und Kapital ein weitaus größeres Potential. Da die Aufnahmefähigkeit des nationalen Markts begrenzt ist, wachsen mit steigendem Export zwangsläufig die Außenhandelsüberschüsse. Über die gleichzeitig transferierten Geldmittel wird im Ausland Kaufkraft kreiert, damit die Produkte von den dortigen Haushalten erworben werden können.

Dass dies keine dauerhafte Lösung ist, dürfte evident sein. Zum einen leidet die Kreditwürdigkeit ausländischer Handelspartner, sodass zunehmend Zahlungsausfälle zu befürchten sind. Zum anderen bildet sich in jenen Ländern wachsender Widerstand, da der Güterimport die eigene Produktion und Beschäftigung bedroht.

Geht es hierbei letztendlich um schuldenfinanzierte Nachfragestimulierung, dann lässt sich diese ebenso im Inland umsetzen. Damit überschüssige Liquidität abgeschöpft werden kann, müssen Kredite jedoch verbrieft werden. Nur durch eine Umwandlung in Wertpapiere sind sie für Anleger zugänglich. Bankkredite an private Kunden werden hingegen meist durch eine Erhöhung des Geldvolumens finanziert. Dabei wächst zwar das Gewinnpotential einer Bank, sodass Aktienbesitzern höhere Dividenden zuteilwerden. Es entstehen aber im Gegensatz zu Obligationen von Staaten, Kommunen und Privatunternehmen keine neuen Anlageobjekte.

Wie groß muss nun die Neuverschuldung bemessen sein, damit das überschüssige Geld vollkommen absorbiert wird? Es ist leicht einsichtig, dass die Höhe der zu verbriefenden Schulden im Modell gerade der in Anschluss an Tabelle 4 errechneten Besteuerungssumme von 250 entspricht. Dabei wird angenommen, dass sich allein die Konsumenten aus der Gruppe der 99 verschulden. Dieser Gruppe können prinzipiell auch Staaten und Kommunen zugeschlagen werden, da sie sich im Rahmen der angestellten Betrachtungen nicht von Privathaushalten unterscheiden. An die Stelle von Einkommen treten Einnahmen aus Steuern und Gebühren, der Konsum wird durch öffentliche Ausgaben ersetzt.

Unüberwindbare Hindernisse für einen Schuldenabbau

Schulden werden nicht zu dem Zweck gemacht, Anlegern Objekte in Gestalt von Anleihen zu verschaffen. Entweder soll ein Bedarf gedeckt oder eine Investition getätigt werden, die sich als gewinnträchtig erweist. Letzteres Motiv betrifft neben Spekulanten vor allem Unternehmen. Deren Entscheidungen stützen sich allgemein auf Rentabilitätskalkulationen, die Zinsen und Tilgungsraten der Kredite berücksichtigen.

Ebenso wird bei einer Verschuldung von privaten und öffentlichen Haushalten häufig von Zukunftsinvestitionen gesprochen, etwa in „Humankapital“ oder in die Infrastruktur. Ob sie sich auf Dauer auszahlen, lässt sich meist kaum verlässlich ermitteln. Eine Amortisierung ist auch nicht zwingend, da kein Ertragsdruck besteht. Dient die Kreditaufnahme unmittelbar der Deckung eines persönlichen oder gesellschaftlichen Bedarfs, dann werden künftige Einnahmen für die Gegenwart verplant. Dies mag zuweilen sinnvoll sein, es verlangt aber Verzichte zu einem späteren Zeitpunkt.

Bei öffentlichen Anleihen drängt sich der Eindruck auf, dass eine Rückzahlung gar nicht beabsichtigt ist. Da vielfach neue Kredite aufgenommen werden, um alte zu bedienen, trägt der Verschuldungsprozess zunehmend Merkmale eines klassischen Ponzi-Schemas. Für Käufer von Staatsobligationen ist dies augenfällig kein Hindernis. Ihnen genügt es, wenn Staaten, Länder und Kommunen in der Lage sind, ihren Schuldendienst zu leisten.

Eine öffentliche Kreditaufnahme gilt seit dem Durchbruch des Keynesianismus als akzeptabel und oftmals sogar als wünschenswert. Dabei war ursprünglich ein Abbau der Schulden in Hochkonjunkturphasen vorgesehen. Dass dies möglich ist, begründete Keynes mithilfe des Staatsausgabenmultiplikators. Da Privathaushalte einen Teil ihrer Gelder sparen, während Regierungen ihre Finanzmittel vollständig ausgeben, können bei einer Anhebung der Staatsquote zusätzliche Einkommen generiert werden. Sowohl Steuern als auch geliehenes Geld haben diesen Effekt. Bei einer richtigen Zeitpunktwahl ließen sich Mittel zum Zweck der Entschuldung abschöpfen, ohne die Konjunktur abzuwürgen.

Nun hat der keynesianische Ansatz seinen Praxistest nicht bestanden. Dass Schulden nirgendwo signifikant abgebaut wurden, ist externem Druck geschuldet, dem politische Entscheidungsträger gewöhnlich ausgesetzt sind. Da Staatsverschuldung ein globales Phänomen ist, können sich Politiker Ignoranz leisten und unbeschwert die Erwartungen von Wählerschaft, internationalen Institutionen und multinationalen Konzernen erfüllen. Das keynesianische Konzept musste scheitern, weil gesellschaftliche und globalwirtschaftliche Interessenlagen und Machtstrukturen unberücksichtigt blieben.

Abstieg der gesellschaftlichen Mittelschichten

Da die Bonität von Kommunen und Staaten mit dem Verschuldungsgrad abnimmt, werden die Zinssätze anziehen müssen. Andernfalls würden Anleger die Anleihen wegen zu hohen Risikos meiden, ähnlich wie sich Immobilien in Geisterstädten nicht verkaufen. Wäre das Zinsangebot bei Staatsanleihen zu niedrig, dann würde dies dennoch nicht zu einer Aufstockung der Spekulationskassen führen. Vielmehr würde sich das Interesse auf den Erwerb anderer Anlageobjekte fokussieren und dort weitere Preisschübe verursachen. Solange Wertpapierkurse im Steigen begriffen sind, dürften Anleger eher bestrebt sein, Liquidität abzubauen.

Infolge höherer Zinsen steigt der Schuldendienst der öffentlichen Haushalte, sodass weniger Mittel für reguläre Ausgaben verbleiben. Die gesellschaftliche Nachfrage geht zurück, was die Wirtschaft belastet, sodass sich Investitionen und Kreditvolumen vermindern. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage von Anlageobjekten wächst und zwingt öffentliche Haushalte zu immer höherer Schuldenaufnahme, damit die in den Anlagemarkt drängende Liquidität absorbiert werden kann. Die Bonität der Staaten sinkt daraufhin weiter, was zu steigenden Zinssätzen für Staatsobligationen führt. Der Zirkel ist damit geschlossen.

Ähnlich gravierend sind die Auswirkungen auf die Eigentumsverhältnisse der Bürger. Gesellschaftliche Absteiger, die Wertpapiere oder andere renditeträchtige Objekte wie Immobilien besitzen, müssen diese sukzessive veräußern. Zwar profitieren sie vom höheren Preisniveau, doch bald sind die Mittel aufgebraucht. Dagegen sind für gesellschaftliche Aufsteiger, die ihre Ersparnisse anlegen wollen, die Anlageobjekte zunehmend unerschwinglich. Es vollzieht sich ein Enteignungsprozess, der die Konzentration von Vermögen in den Händen weniger beschleunigt. Haushalte der gesellschaftlichen Mittelschichten müssen sich nicht nur immer häufiger mit prekärer Beschäftigung abfinden, sondern verlieren zugleich Ersparnisse und persönliches Eigentum.

Die Rücklagen der Privathaushalte sinken, Wohneigentum wird durch Mietverhältnisse ersetzt. Dadurch wird die Konsumnachfrage beeinträchtigt und in deren Folge die Investitionstätigkeit. Es vollzieht sich auch hier ein Teufelskreis, der die weiteren Schritte Verminderung der Anlageobjekte, Vermehrung der überschüssigen Geldmittel, noch stärkere Kurssteigerungen und schließlich weitere Vermögenskonzentration durchläuft.

Ferner wird die Volkswirtschaft durch Spekulation mit Rohstoffen, Lebensmitteln und Immobilien belastet. Je knapper das Angebot an Anlagetiteln in Relation zur verfügbaren Geldmenge ist, desto mehr Mittel streben in Bestände des Gütermarkts. Die steigende Volatilität der Kurse überträgt sich in Gestalt zunehmender Preisschwankungen auf die Realwirtschaft.

Dennoch erscheinen Ängste vor einer bevorstehenden Hyperinflation nicht begründet. Bei drohenden Versorgungsengpässen bis hin zu Hungersnöten dürfte es Regierungen und internationale Organisationen überwiegend gelingen, das Preisniveau durch eine Aktivierung von Reserven zu glätten. Auch soll die Reaktionsfähigkeit der Märkte nicht unterschätzt werden, da sich bei Knappheit die Gewinnmargen erhöhen. Auf Angebotsengpässe folgt daher meistens ein Überangebot mit Preissenkungseffekten. Befürchtungen eines drohenden Überschwappens der Inflation im Anlagebereich auf die Realwirtschaft verkennen den Tatbestand, dass beide Märkte unterschiedliche Züge tragen.

Eine Umverteilung zu Gunsten der Konsumentenseite bietet offenbar die einzig tragbare Lösung. Der bequemste und effektivste Weg ist eine größere steuerliche Belastung vermögender Haushalte. Mittels höherer Steuereinnahmen ließen sich Privathaushalte entlasten und öffentliche Leistungen ausbauen. Staatliche Mittel könnten für Zukunftsinvestitionen, für ökologische Zwecke und zur Unterstützung armer Volkswirtschaften verwendet werden. Zwar garantiert ihre Vermehrung keinen nachhaltigen Einsatz, aber sie ist unerlässlich für eine prosperierende Wirtschaft.

Der Artikel ist zuerst auf dem Heise-Portal "Telepolis" erschienen.

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