Ralf Schreck erkennt Überreaktionen, zumal da die britische Börse sich besser gehalten hat als die kontinentaleuropäischen. Für die Kursentwicklungen seien offenbar nicht Sachverstand, sondern „Blindheit, treuer Glauben, Gier und Spekulationswut“ ausschlaggebend. Einmal mehr zeige sich, „was von angeblich vorrausschauenden Börsen zu halten ist.“
Ist die Panikmache also unbegründet, oder steht ein globaler Crash bevor? Gibt es überhaupt noch verlässliche Orientierungspunkte für Geldanleger?
Viele Trader vertrauen Charttechniken, obwohl es sich dabei großenteils um Kaffeesatzleserei handelt. Dirk Müller hält dagegen, dass die Entwicklung der Aktienkurse nicht mehr prognostizierbar sei. Als Ursachen identifiziert er den gestiegenen Einfluss schwarzer Schwäne und die Abkopplung der Kapitalmärkte von der Realwirtschaft. „Vor einigen Jahren ließen sich die Wirtschaft und damit der Dax noch halbwegs antizipieren“, konstatiert er.
Gleichwohl erwartet er, dass die politischen Entscheidungsträger auch bei dramatischen Ereignissen wie dem Brexit Lösungen finden, sodass negative Kursreaktionen kaum nachhaltig sind. Ebenso hält er einen Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik gegenwärtig für unrealistisch. Entsprechende Äußerungen der FED haben allenfalls eine höhere Volatilität bewirkt.
Wenn die Kapitalmärkte in naher Zukunft größere Turbulenzen erleben, dann ist dies zu einem beträchtlichen Teil auf Schuldenfinanzierung und Hochfrequenzhandel zurückzuführen. Die vom IWF konstatierten trüben Aussichten für die Weltwirtschaft sind zweifellos ein Unsicherheitsfaktor, mehr aber auch nicht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen allgemeinen Gewinnerwartungen und dem Preisniveau von Assets besteht augenscheinlich nicht.
Einkommenstransfer von Konsumenten zu Kapitalanlegern
Dennoch brauchen Anleger nicht ganz im Dunkeln tappen. Sie können sich auf einen langfristigen Trend verlassen, der überproportional steigende Kurse und Preise verheißt. Dieser erklärt sich aus der im Anlagesektor bestehenden Angebot-Nachfrage-Konstellation. Denn durch die wachsende Einkommensschere in den OECD-Staaten gelangen immer mehr Finanzmittel in den Besitz vermögender Haushalte, die nicht konsumiert werden. In der Folge steigt das Interesse an Geldanlagen, es entsteht ein Nachfrageüberhang auf dem Kapitalmarkt.
Dieser wird durch den Rückgang der Investitionsbereitschaft verstärkt, dessen wesentliche Ursache die mangelnde Kaufkraftentwicklung bei den Mittel- und Unterschichten ist. Die Nachfrage nach Endprodukten lässt sich nicht einmal mehr durch die Verschuldung privater und öffentlicher Haushalte auf ein Niveau anheben, bei dem die verfügbaren Finanzmittel für lukrative Investitionen absorbiert werden können. Andererseits bietet der wachsende Schuldenstand Gelegenheiten, einen Teil des anlagesuchenden Geldes für die Kreditierung von privatem und öffentlichem Konsum zu verwenden, soweit eine Verbriefung möglich ist. Damit wird aber der Umverteilungsprozess von Arm zu Reich weiter beschleunigt.
Der hier beschriebene Geldtransfer vom Konsumtions- in den Anlagebereich vollzieht sich unabhängig von der Politik der Notenbanken. Jedoch haben diese mittels Quantitive Easing und Niedrigzinspolitik den Regierungen ermöglicht, die im Zuge der Immobilienkrise entstandenen Verluste zu sozialisieren und damit den Status quo der Vermögens- und Einkommensverhältnisse zu zementieren. Gegenwärtig dient die Neuverschuldung von Staaten und Kommunen vor allem dem Zweck, Steuereinbußen zu kompensieren und die Finanzierung öffentlicher Ausgaben zu gewährleisten.
Ein weiteres von den Zentralbanken eingesetztes Instrument ist der verstärkte Ankauf von Werttiteln mittels Offenmarktgeschäften. Da in dessen Folge die Bilanzsummen beträchtlich gewachsen sind, hat sich der Anlagenotstand weiter verschärft.
Fortdauernder Nachfrageüberhang auf dem Kapitalmarkt
Geld ist ein Anlageobjekt wie jedes andere, allerdings ein schlechtes, zumal wenn ein inflationäres Umfeld besteht. Ein Geldbesitzer ist daher bestrebt, Assets zu erwerben, die einen regelmäßigen Ertrag erzielen oder deren Wert beständig steigt. Zur ersten Gruppe gehören Anleihen, Aktien und Immobilien, die Gewinne in Gestalt von Zinsen, Dividenden und Mieterträgen abwerfen. Zu den Letztgenannten gehören Objekte, die einerseits knapp und andererseits begehrt sind wie etwa Antiquitäten, Kunstgegenstände und Edelmetalle. Bei spekulativen Anlagetätigkeiten wie Devisenhandel, Warenkreditgeschäfte oder Handel mit Derivaten handelt es sich dagegen um Nullsummenspiele. Was einer gewinnt, verliert ein anderer, sodass der Wert des Gesamtvermögens der Anlegerschaft unverändert bleibt.
Wenn nun infolge wachsender Einkommensunterschiede vermehrt Geldmittel in den Besitz von Privatpersonen gelangen, die nach Anlageobjekten Ausschau halten, dann steigen wegen des unzureichenden Angebots Preise und Kurse. Zudem bleibt die Angebot-Nachfrage-Konstellation trotz erfolgter Handelsakte unverändert. Denn der Verkäufer ist in der Regel ein Fonds, ein Finanzinstitut, ein institutioneller Anleger oder ein vermögender Privathaushalt, der den erhaltenen Geldbetrag nicht in den Konsum steckt, sondern für anderweitige, möglicherweise gewinnträchtigere Objekte verwendet. Somit vagabundiert das Geld weiter im Anlagebereich.
Der Nachfrageüberhang bleibt auch dann bestehen, wenn die verfügbaren Finanzmittel langsamer wachsen als die Preise der Assets. Bei angenommenem gleichem Handelsvolumen hätte dies allenfalls Auswirkungen auf den Umfang der stattfindenden Transaktionen.
Zwar vermindern sich bei steigenden Nominalwerten von Anlageobjekten relativ die Kapitalerträge, im Vergleich zu Geldvermögen bleibt diese Alternative dennoch attraktiver. Ein weiterer Kurs- bzw. Preisanstieg ist also vorprogrammiert, und angesichts dieser Erwartungshaltung erscheint es nicht gerade sinnvoll, größere Geldbeträge zu horten. Der Prozess der Wertzunahme im Anlagesektor lässt sich als andauernder inflationärer Schub ohne Existenz von Korrekturmechanismen beschreiben. Für die Preisentwicklung existiert somit keine obere Schranke.
Garantierter Wertzuwachs von Anlagevermögen
Der Wertzuwachs von Anlagevermögen erfolgt keineswegs gradlinig. Da auf dem Kapitalmarkt viel mit geliehenem Geld agiert wird, erfahren einmal einsetzende Trends in der Regel eine Verstärkung. So sind massive Kurseinbrüche nicht auszuschließen. Diese können durch Spekulation verursacht werden, aber auch durch unerwartete Negativmeldungen.
Jedoch setzen steigende Kurse keineswegs eine prosperierende, ja nicht einmal eine wachsende Realwirtschaft voraus. Solange die Zentralbanken als „Lender of last resort“ den Regierungen weiterhin billiges Geld zur Verfügung stellen, ist das Risiko bei öffentlichen Schuldtiteln minimal. Zwar trägt die Staatsverschuldung mittlerweile Züge eines Ponzi-Schemas, aber die Alternative wäre ein massiver Einbruch von Konsum, Produktion und Beschäftigung. Kaum wird eine Regierung der Bevölkerung neue soziale und materielle Belastungen angesichts der großen Unzufriedenheit aufbürden wollen, die sich im Brexit und in der darauf folgenden Debatte Luft verschafft hat.
Ebenso können Aktien und Anleihen marktbeherrschender und global aufgestellter Unternehmen als sichere Anlage betrachtet werden. Da geschäftliche Risiken großenteils durch Outsourcing an Dienstleister und Zulieferer weitergereicht wurden, dürften die Gewinnerwartungen nicht einmal durch einen akuten Nachfragerückgang wesentlich beeinträchtigt werden. Dennoch sollte bei der Zusammenstellung des Portfolios beachtet werden, dass sich innerhalb der Wirtschaftszweige sowie zwischen Staaten und Kommunen laufend Kräfteverschiebungen ereignen, die maßgeblich die Gewinnsituation und damit den Kurswert beeinflussen können.
Geldanleger brauchen sich keine Sorgen machen, falls sie in der Lage sind, Kurseinbrüche auszusitzen, die etwa durch Krisen, Spekulation, Natur- und Umweltkatastrophen oder andere dramatische Ereignisse verursacht werden. Solange an den Fundamenten neoliberaler Wirtschaftspolitik nicht gerüttelt wird, wird der Wert ihrer Vermögen immer neue Höhen erklimmen.
Kommentare 5
"Dennoch brauchen Anleger nicht ganz im Dunkeln tappen." Nein, das überlassen wir lieber den anderen 90% der Bevölkerung, denen die nicht Anleger sind, sondern derweil ausgenommen werden wie die Weihnachtsgänse , nämlich "solange an den Fundamenten neoliberaler Wirtschaftspolitik nicht gerüttelt wird".
Mein lieber Dscholly! Auch wenn das, was sie hier schreiben, in etwa der Realität entspricht, was raten sie denn im allgemeinen der Mehrheit der Nichtanleger in dieser austeritätsgeschwängerten Anlageblase? Einen Bürgerkireg oder eher einen Steuer- und Mietzahlungsboykott?
Der „liebe Dscholly“ beschreibt das, was „in etwa der Realität entspricht“. Er hegt dabei die geheime Hoffnung, dass „die anderen 90 % der Bevölkerung“ allmählich begreifen, dass das neoliberale System ihren Interessen zuwiderläuft. Dazu leistet er seinen bescheidenen Beitrag.
Es mag ja erst einmal sexy klingen, tollkühne Aktionen vorzuschlagen, die dann von Einzelnen befolgt würden. Der staatliche Gewaltapparat wird sich jedoch kaum die Gelegenheit nehmen lassen zuzuschlagen. Ein besserer Weg ist Sich-Informieren und Argumentieren, um Freunde und Nachbarn sowie über alternative Medien ein größeres Publikum zu überzeugen. Das Brexit-Abstimmungsergebnis beweist, dass Erfolge möglich sind.
... ja ja , das war fast alles selbsterklärend. "... dass das neoliberale System ihren Interessen zuwiderläuft", nämlich den unseren als vor allem "Nichtanleger", hätte man allerdings als Meinung duchaus mal deutlich rauslassen können. Warum Sie sich ganz im gegenteil quasi ausschließlich an den Anlegen wenden bliebt unverständlich. Soll das formalistische Ironie sein?
Der Artikel wurde zuerst bei Cashkurs.com veröffentlicht, daher wende ich mich an Anleger. Dort werden täglich kritische Positionen zu Wirtschaft und Politik veröffentlicht. Auch wenn ich den von Dirk Müller und seinem Team vertretenen geldtheoretischer Ansatz nicht vertrete, teile ich seine Kritik am kapitalistischen System und dessen politischen Protagonisten.
Ja, auch unter Anlegern finden sich Personen, die sich für gesellschaftliche Veränderungen im Interesse der Bevölkerungsmehrheit einsetzen. Dies mag begründet sein in Idealismus, in Sorge um die Zukunft des Nachwuchses oder in Angst um die Folgen zunehmender gesellschaftlicher Instabilität. Anleger als Verbündete zu gewinnen, ist schon deshalb ein Vorteil, da sie als „Insider“ über wertvolle Informationen verfügen.
"Anleger als Verbündete zu gewinnen, ist schon deshalb ein Vorteil, da sie als „Insider“ über wertvolle Informationen verfügen."
So so, Anleger als verbündete gegen das Kapital. Das müsste man als neu bezeichnen. Eigentümer überlegen sich also mit welcher Strategie man das Eigentum am besten, heißt konflikfreisten und möglichst ohne Kolateralschaden abschafft? ... oder wie man den Nichteigentümern und Nichtanlegern nahelegt, der Arbeit fernzublieben, sich selbstbewusst um ihren eigenen Kram zu kümmern, nicht mehr dem Kapital zuzuarbeiten, Banken zu meiden ...
... und über was für wertvolle Informationen verfügen die Anleger?
Wissen die zB. wer genau die rechtsrsadikalen Parteien finanziert, damit die dafür sorgen, dass sich die Anleger keine "Sorgen um die Zukunft des Nachwuchses" machen brauchen?