Russische Friedenstruppen für die Ostukraine?

Ostukraine Die Kämpfe sind erneut aufgeflammt, in Kiew wird die militärische Eroberung des Ostens offen propagiert. Kann Russland sich auf Dauer raushalten?

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Das zunehmende Säbelrasseln Kiews verstärkt in Russland Befürchtungen, dass dort ein entscheidender militärischer Schlag gegen die abtrünnige Ostukraine vorbereitet wird. Die von Poroschenko befohlene Teilmobilmachung in drei Wellen, die Erhöhung der eigenen Waffenproduktion sowie Meldungen über die Lieferung militärischer Ausrüstungen aus „befreundeten“ Staaten lassen kaum einen anderen Schluss zu. Die wiederholten Attacken auf zivile Objekte in den letzten Tagen weisen Merkmale von False-Flag-Operationen auf, die dem Ziel dienen könnten, daheim und bei den westlichen Verbündeten Empörung hervorzurufen und militärische Aktionen gegen die Separatisten zu legitimieren.

Aber auch die Gegenseite fühlt sich militärisch stark, sodass ihre Aktivitäten alles andere als rein defensiver Natur sind. Wenn auch Russland den Zustrom von Waffen und Kämpfern in die Ostukraine zulässt bzw. verdeckt fördert, so geschieht dies eher im Interesse einer Deeskalation des Konflikts. Die Querelen innerhalb der Führungskreise der „Volksrepubliken“ offenbaren jedoch, dass Moskaus Einfluss beschränkt ist. Zwar halten sich die Separatistenführer in letzter Zeit mit Äußerungen zur staatlichen Unabhängigkeit erkennbar zurück. Andererseits haben sie sich gerade mit diesem Mandat wählen lassen und dabei jene politischen Kräfte an einer Kandidatur gehindert, die für eine Autonomie innerhalb der Ukraine votierten. So bestehen bei der russischen Regierung begründete Zweifel, dass die gegenwärtige Zurückhaltung nur taktischer Natur ist und die Pläne einer Gründung „Neurusslands“ - auch unter Einsatz militärischer Mittel – weiterhin verfolgt werden.

Der hohen Kampfmoral der Separatisten zum Trotz zeigt eine realistische Betrachtung des militärischen Kräfteverhältnisses, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Kiew angesichts seiner um ein Vielfaches größeren Ressourcen eine Entscheidung zu seinen Gunsten erzwingen kann. Sollte tatsächlich ein Gemetzel drohen, dann wird Russland nicht einfach nur zuschauen können. Erinnert sei an Putins Worte im ARD-Interview vom November letzten Jahres: „Das heißt, dass Sie wollen, dass die ukrainische Regierung dort alle vernichtet, sämtliche politischen Gegner und Widersacher. Wollen Sie das? Wir wollen das nicht. Und wir lassen es nicht zu.“

Vor diesem Hintergrund sind auch die verstärkten russischen Bemühungen zu verstehen, die Lage in der Ostukraine zu beruhigen. Ein Einfrieren des Konflikts ist zwar nicht im längerfristigen Interesse Russlands, aber angesichts der weiterhin bestehenden Differenzen mit dem Westen sind kaum andere Lösungen gegenwärtig denkbar. Die westliche Bereitschaft, dazu aktiv beizutragen, ist angesichts des Spektrums an – sich partiell widersprechenden - Positionen innerhalb der Politikerelite der EU für Moskau gegenwärtig schwer abschätzbar. Trotz mancher versöhnlicher Töne ist die russische Führung sichtlich enttäuscht, dass sich bisher kein einflussreicher westlicher Politiker zu klaren Aussagen durchgerungen hat. So wird Kiew weder aufgefordert, seine Kriegsrhetorik zu unterlassen, noch verlangt man erkennbare Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft. Auch über die Verschleppung und die fehlende Kooperation bei der Aufklärung der Schüsse auf dem Maidan, des Gewerkschaftshausbrands in Odessa und des Absturzes der MH 17 geht der Westen stillschweigend hinweg.

Sollte sich die Lage in der Ostukraine zuspitzen, dann könnte Russland sich ähnlich in die Ecke gedrängt fühlen wie im letzten Frühjahr, als es angesichts der Gefahr einer Nichtverlängerung des Pachtvertrags des Sewastopol-Stützpunktes die Separation der Krim betrieb. Dabei muss es sich nicht unbedingt um einen unüberlegten „spontanen“ Schritt, etwa hervorgerufen durch emotionale Betroffenheit oder durch den Druck der Straße, handeln. Das Ansehen Russlands und seiner politischen Führung ist infolge der westlichen Medienkampagne eh nahe dem Nullpunkt, so dass hier kaum ein weiterer Imageverlust mehr möglich ist. Und angesichts der negativen wirtschaftlichen Folgen dürfte es der EU schwer fallen, eine einheitliche Front für schärfere Sanktionen zu schmieden.

Bisher waren von offizieller russischer Seite keine so deutlichen Warnungen wie in der Stellungnahme von Vizeaußenminister Grigori Karassin zu vernehmen, wo Kiew direkt beschuldigt wird, einen Waffengang vorzubereiten. Ist dies möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Moskau das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen gewillt ist, sollte es nicht gelingen, in Kooperation mit dem Westen Kiews Kriegspläne zu vereiteln?

Bei einem Überraschungsschlag könnte die russische Armee die in den Oblasten Donezk und Lugansk befindlichen ukrainischen Militäreinheiten „blockieren“ und gleichzeitig deren Nachschub abschneiden. Um den Schein einer ausschließlich humanen Aktion zu wahren, aber auch um ungestörter die eigene Agenda betreiben zu können, würden gleichzeitig die Verbände der Separatisten entwaffnet werden. In Folge wären beträchtliche Hilfsleistungen erforderlich, die bei mangelndem Kooperationswillen Kiews nur in Abkopplung von den wirtschaftlichen und finanziellen Verbindungssträngen zur Restukraine möglich wären.

Würde Russland damit nicht seine wiederholt geäußerten Bestrebungen, die Einheit der Ukraine zu erhalten und die Beziehungen zum Westen zu normalisieren, vollends aufgeben? Dies wäre nicht der der Fall, wenn

1) Russland bereit wäre, seine Armeekräfte abzuziehen, falls an deren Stelle OSZE-Einheiten als ausschließlich auf dem Territorium der Oblaste zugelassenes Militär treten würden

2) Regionalwahlen angestrebt würden, die westlichen Standards genügten, d.h. bei vorausgehender uneingeschränkter Tätigkeit politischer Parteien und unter OSZE-Überwachung

3) eine Autonomie innerhalb der Ukraine als einzige Lösung akzeptiert würde.

Weder die Ukraine noch die Nato würde effektiven Widerstand leisten können oder wollen, sodass anzunehmen ist, dass es bei Protestbekundungen bleibt. Wenn auch eine neue antirussische Propagandawelle durch die westliche Medien fegen würde, so wäre die Lage in der Ostukraine zumindest militärisch beruhigt. Auch wären Moskaus Konditionen für den Westen nicht unerfüllbar. Da die Kriegstreiber beider Seiten ausgeschlossen wären, könnten sich in der Folge günstigere Voraussetzungen für eine Konfliktregelung unter der Schirmherrschaft der OSZE ergeben.

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