Teilung der Ukraine – eine Win-win-Situation?

Teilung als Lösung. Mit zeitlicher Distanz zu den Maidan-Ereignissen kehrt Rationalität zurück. Eine Konfliktlösung wird dennoch ausgeschlossen: die Gründung zweier ukrainischer Staaten.

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Es gibt Themen, die braucht man nur anzudeuten, und schon gibt es einen lauten Aufschrei. Eine solche „heilige Kuh“ sind Überlegungen über eine Aufteilung der Ukraine. So beschwören alle am Konflikt Beteiligten die staatliche Einheit, die man um keinen Preis gefährdet sehen möchte.

Im Hintergrund stehen jene traurigen Erfahrungen, die Deutschland jahrzehntelang bewegten und die in Korea und auf Zypern heute noch Alltag sind. So erinnern sich wohl auch jene westlichen Politiker, die Verständnis für Putins „Heimholung“ der Krim zeigen, an Willy Brandts Worte: „Es wächst zusammen, was zusammen gehört“.

Ist eine Teilung der Ukraine dann überhaupt erstrebenswert, ist sie realistisch? Man könnte auf die friedliche Trennung von Tschechen und Slowaken verweisen, aber derartige Vergleiche hinken im Allgemeinen. Die Slowakei hatte schon zuvor einen autonomischen Status, und es gibt Unterschiede der Sprache wie auch der Religion. Eine Trennung in West- und Ostukraine würde hingegen kulturell-historisch und ökonomisch zu begründen sein.

Ausgangslage

Die politische Ausgangssituation ist dadurch gekennzeichnet, dass es gegenwärtig in der Ukraine keine ernst zu nehmende politische Kraft gibt, die glaubwürdig sowohl die Interessen des westlichen als auch des östlichen Teils vertreten könnte. Und hier sind kaum positive Veränderungen zu erwarten, ja die Wahl eines EU-freundlichen Präsidenten wird die Lage voraussichtlich noch verhärten.

Zwar besteht bei vielen ukrainischen Bürgern der feste Glaube, eine Zuwendung zum Westen führe zu Freiheit und Wohlstand. Als erster Schritt wurde die Öffnung der EU-Märkte für ukrainische Produkte im Zuge des Assoziierungsabkommens bejubelt. Solange aber gewisse Qualitätsstandards, Normen und andere EU-Vorschriften nicht erfüllt werden, ist ein beträchtlicher Teil der ukrainischen Produktion nicht marktfähig. So wird die EU - wie im Fall anderer Neumitglieder – Mittel bereitstellen müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern. Ziel ist es, Privatinvestoren zu einem Engagement zu bewegen, in dessen Folge die Ukraine an westliches Kapital und Know-How gelangt und dadurch ihre Produktion auf Weltmarktniveau heben kann. Interesse soll nicht nur durch ein niedriges Lohnniveau und reichliche natürliche Ressourcen geweckt werden, sondern auch durch Rechtsicherheit und ein stabiles soziales Klima.

Was sich in der Theorie vielversprechend anhört, führte in den neuen EU-Mitgliedsstaaten Mittel- und Osteuropas zu einem massiven Einbruch der heimischen Produktion, zu einem hohen Grad an Unterbeschäftigung und zu einem breiten sozialen Abstieg. Auch wenn manche Statistiken einen „Fortschritt“ suggerieren, dokumentiert die „Abstimmung mit den Füssen“ die tatsächlichen Verhältnisse. So hat seit 1990 jeder sechste Este sein Land verlassen, jeder fünfte Bulgare und jeder vierte Lette 1). Dennoch begehrt die Bevölkerungsmehrheit nicht auf, sei es wegen der Bereitschaft zu vermeintlich notwendigen Opfern für die Erringung von nationaler Unabhängigkeit und Freiheit, sei es weil man die Entwicklung als „alternativlos“ begreift.

Misstrauen im Ostteil

Diese Auffassung mag von den meisten Menschen in der Westukraine geteilt werden, aber kaum im Ostteil. Erst einmal misstraut man dort der Kiewer Regierung, und wohl nicht zu Unrecht. Das Gros westlicher Hilfsgelder wird vermutlich in Projekte der Westukraine oder in die Taschen regierungsnaher Oligarchen fließen. Sobald der Ostteil in den Strudel der Zerstörung seiner industriellen Basis gerät, zeigt der Blick über die östliche Grenze, dass es eine „Alternative“ gibt. Schon gegenwärtig ist das Pro-Kopf-Einkommen in Russland mehr als dreimal so hoch wie in der Ukraine 1). Massive Bürgerproteste als Folge sozialer Verelendung setzen aber nicht nur die Kiewer Regierung unter Druck, sondern verschrecken auch potentielle Investoren.

Die finanziellen wie auch die ideellen Kosten für den Westen werden jeden Rahmen sprengen. Auch ist zu erwarten, dass Moskau „Öl ins Feuer gießt“. Die Anhebung der Gaspreise für die Ukraine auf das Niveau des Vertrags von 2009, den Julia Timoschenko unterzeichnete und für den sie ihre spätere Haftstrafe erhielt, ist ein erster Beleg 2). Es sei daran erinnert, dass ca. 60 % des ukrainischen Exports von Ländern des post-sowjetischen Raums abgenommen wird 3). Russland könnte sich auf dem Weltmarkt nach preisgünstigeren Importprodukten umschauen anstatt weiterhin einen „politischen Aufpreis“ zu zahlen.

Vorteile einer Teilung

Es ist offenbar für den Westen weitaus billiger, den relativ homogenen Teilstaat „Westukraine“ hochzupäppeln. Aber auch für die Entscheidungsträger in Kiew wäre es vorteilhafter, den Ostteil loszuwerden. Dieser könnte zu einem „Fass ohne Boden“ werden, dazu noch ein Pulverfass. Das Bestreben, die eigene Klientel im Westteil zu bedienen, steht in Widerspruch zu den Kosten für die „Befriedung“ der östlichen Gebiete.

Gleichermaßen würde Russland von einer Teilung der Ukraine profitieren. Die Ostukraine könnte in die eurasische Zollunion integriert werden, und einer Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation würde nichts im Wege stehen. Auch ließe sich der Konflikt um die Krim im Einvernehmen mit diesem Teilstaat lösen, da sie diesem ja zugeschlagen würde, und ebenso wäre eine Landverbindung zu Transnistrien vorhanden. Und wenn die Nato trotz gegenteiliger Beteuerungen näher an die russische Grenze heranzurücken beabsichtigt, wäre die Ostukraine eine Art Pufferzone. Die vierte Konfliktpartei schließlich, die ostukrainische Bevölkerung und ihre politischen Repräsentanten, würden eine Eigenstaatlichkeit am meisten begrüßen. Dies dokumentieren die anhaltenden Massenkundgebungen in den dortigen Großstädten.

Szenario für die Zukunft

Eine Teilung sollte unbedingt friedlich und in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen. Das ehemalige Jugoslawien steht hier als drohendes Negativbeispiel. Auch müssen die Rechte der Minderheiten in beiden Teilstaaten respektiert werden. Die geographische Trennungslinie würde sich weitgehend an der Stimmenverteilung bei der „Schicksalswahl“ 2004 orientieren 4).

Ist die Zwei-Staaten-Lösung wirklich nötig, oder würde nicht eine Autonomie für die östlichen und südlichen Teile der Ukraine ausreichen? Hier ist Skepsis angebracht, zumal da die Kiewer Regierung föderalistische Strukturen bisher ablehnt 4). Auch eine Veränderung der ukrainischen Verfassung auf Druck des Westens würde Kiew kaum davon abhalten, den Einfluss der dann autonomen Regionen im Osten und Süden weitestmöglich zu beschneiden. Tief sitzendes Misstrauen, die sozialen Auswirkungen der EU-Direktiven wie auch „Brandbeschleuniger“ aus Russland würden die negative Stimmung in der Ostukraine weiter aufladen.

Noch bewegen sich die Feindseligkeiten auf beiden Seiten auf einem erträglichen Niveau. Somit besteht die berechtigte Hoffnung, dass nach vollzogener Teilung ein Versöhnungsprozess einsetzen könnte. Eine intensive wirtschaftliche und kulturelle, aber auch politische Kooperation erscheint durchaus im Bereich des Möglichen, trotz unterschiedlicher außenwirtschaftlicher Orientierung.

Ein Festhalten an der staatlichen Einheit birgt hingegen ein derart großes Konfliktpotential, dass es einer allgemein anerkannten Schlichtungsinstanz bedarf. Diese könnte der ukrainischen Gesellschaft selbst entspringen oder auf einer gemeinsam von westlichen und russischen Vertretern getragenen „Schirmherrschaft“ beruhen. Da beide Alternativen für die nächste Zeit wenig realistisch sind, bleibt zu hoffen, dass der innerukrainische Konflikt die momentane, vornehmlich verbale Ebene nicht verlässt.

1) Angaben nach Wikipedia

2) http://de.ria.ru/business/20140403/268199460.html

3) http://en.wikipedia.org/wiki/Economy_of_Ukraine

4) http://de.wikipedia.org/wiki/Westukraine

5) http://de.ria.ru/post_soviet_space/20140402/268193172.html

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