Unklarheit über Putins Intentionen

Ukraine. Was will die russische Regierung? Welche Ziele verfolgt sie? Wie nah steht sie den Separatisten? Wie konsequent ist die Politik des Westens?

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Mit der Behauptung, der Kreml wisse ”nicht so ganz genau, was eigentlich seine Ziele sind“, liegt Gernot Erler durchaus richtig 1). Allerdings trifft dasselbe auch auf die westliche Seite zu. Und dies ist nur allzu verständlich: Die möglichen Optionen verändern sich naturgemäß mit der Einschätzung der militärischen Lage.

Gunnar Jeschke hat in seinem ausführlichen Artikel, erschienen am 31.8. im „Freitag“, die zurückliegenden Veränderungen wie folgt zusammengefasst: „Ende Februar wäre bei einer geschickteren Politik der Kiewer Regierung, der EU und der USA noch die territoriale Integrität der Ukraine einschließlich der Krim zu erhalten gewesen. Man hätte Russland damals glaubwürdige Garantien für die Autonomie, für Sewastopol und für die Zukunft seiner Schwarzmeerflotte, also für die Erhaltung des Status quo, geben müssen. Ende März wäre zumindest noch die Integrität der Ukraine ausschließlich der Krim zu haben gewesen, wenn man Russland Garantien bezüglich der Wirtschaftsbeziehungen mit der Ostukraine und den Ostukrainern Garantien für ihre politische Mitbestimmung gegeben hätte. Ende August ist noch eine unabhängige Ukraine ohne die Krim und die Oblaste Luhansk und Donezk zu haben. Wenn die EU ihre bisherige Politik fortsetzt, wird die Ukraine möglicherweise auch noch die Oblaste Charkiw, Cherson, Dnipropetrowsk, Mykolajiw, Odessa und Saporischja verlieren.“

Tatsächlich eröffnen die jüngsten Erfolge der Separatisten an der militärischen Front neue Perspektiven, denen sich offensichtlich auch Putin nicht verschließen möchte. Dies impliziert natürlich eine Fortsetzung kriegerischer Aktivitäten, was im Widerspruch zu den russischen Bemühungen um einen um sofortigen Waffenstillstand steht und damit an deren Glaubwürdigkeit rüttelt.

Ebenso vermindert jede politische Stärkung der Führungskräfte „Neurusslands“ die Möglichkeit, auf deren Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Bei der Recherche des Hintergrunds und der Russlandkontakte führender Personen kommt Jens Berger zu dem Schluss 3): „Die Separatisten im Donbass sind ein Spielball der Ultranationalisten rund um den Isborsky Club, der erst vor wenigen Tagen in Donezk seine erste „Außenstelle“ eingeweiht hat. Putin selbst hat auf sie keinen nennenswerten Einfluss, ihr Einfluss auf Putin ist umgekehrt jedoch auch marginal.“

So sind einige Zweifel angebracht, ob Putin sich tatsächlich auf ein Vabanquespiel einlässt, bei dem er schnell die Kontrolle verlieren kann. Und wie ein Blick auf die Karte zeigt, würde eine Teilung der Ukraine kaum dem russischen Interesse dienen, die Nato fern zu halten. Die Moskau am nächsten gelegenen Oblaste Tschernihiw und Sumy würden nämlich dem westlich orientierten Teil angehören 4).

Kommen wir jetzt zu den veränderten Intentionen des Westens. Nach Gunnar Jeschke hat „die EU … eigentlich keine Optionen und keinen Einfluss mehr auf die Lage. Sie verfolgt derzeit eine Politik minimaler Unterstützung der Kiewer Regierung, wobei das Minimum dadurch definiert ist, was die Politiker glauben für ihre Glaubwürdigkeitswahrung unbedingt tun zu müssen“ 2). Da militärische Optionen weiterhin als ausgeschlossen gelten, wird man sich dieser Einschätzung anschließen müssen. Möglicherweise besteht die Hoffnung, dass Kiew die gegenwärtige Position halten kann. Die anbietbaren Hilfen in Gestalt verdeckter Operationen, nicht-militärischer Ausrüstungen, logistischer Leistungen, der Übergabe von Luftaufklärungsdaten u.a. sind jedoch im Vergleich zur Unterstützung der Separatisten durch Russland minimal. Auch verschärfte Sanktionen dürften kaum dazu beitragen, die russische Seite zum Rückzug zu bewegen.

Verhandlungen mit den Separatisten, die man bisher unbedingt vermeiden wollte, erscheinen plötzlich als die bestmögliche Option, um einen Zusammenbruch des Kiewer Regimes mit all seinen Konsequenzen zu verhindern. Diese Einsicht ist für den Westen durchaus schmerzlich, denn noch vor zwei Wochen erwartete man die Einnahme der Separatistenhochburgen Donezk und Lugansk. Dabei halfen die westlichen Medien aktiv mit, die Leiden der Bevölkerung zu verharmlosen bzw. die Augen ganz zu verschließen.

Es ginge um die „Wiederherstellung der Ordnung“. Natürlich konnte man sich vorstellen, was anschließend passieren würde: Jeder, der die Separatisten vermeintlich unterstützt hat, wäre Drangsalierungen und Schikanen ausgesetzt. Im Rahmen von „Säuberungsaktionen“ würden Massenentlassungen im öffentlichen Dienst vorgenommen werden. Insbesondere ginge es darum, jene Personen aus einflussreichen Positionen zu entfernen, die möglicherweise Sympathien gegenüber Russland hegen.

Dass die Kiewer Regierung keine Skrupel kennt, hat sie durch die Ernennung des Oligarchen Igor Kolomoysky zum Gouverneur von Dnipropetrowsk, einem mehrheitlich russisch orientierten Oblast, offenbart. Auch könnte als sicher angenommen werden, dass ein rabiater Umgang mit der „Verliererseite“ bei westlichen Politikern und Medien kaum auf Kritik stößt. Vielmehr würde man Kiews Aktivitäten decken, damit sich eine Umorientierung in Richtung Russland, wie nach der Orangenen Revolution von 2004 geschehen, nicht wiederholt.

1) https://www.youtube.com/watch?v=I4_Pxa8mJQA&list=UUwyiPnNlT8UABRmGmU0T9jg

2) https://www.freitag.de/autoren/gunnar-jeschke/es-muss-denn-die-kalaschnikow-nun-entscheiden

3) http://www.nachdenkseiten.de/?p=22496

4) http://de.wikipedia.org/wiki/Ostukraine

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