Dem Tode geweiht tritt der etwa 30-jährige Said vor die Kamera des palästinensischen Terrorkommandos, bereit sein politisches Vermächtnis zu geben: "Wir müssen unseren Kampf fortsetzen und unsere Gegner niederringen." Es ist der vielleicht wichtigste Schritt auf dem Weg ins Jenseits und mit Sicherheit der emotionalste. Denn spätestens hier wird klar: Es gibt keinen Weg mehr zurück! Es sind die letzten Worte an die Nachwelt, an die eigene Familie, an Freunde und junge Kämpfer, die ihm bald folgen werden. Nur als Said endet, muss ihn der Kameramann bitten, das ganze noch mal zu wiederholen. Die Kamera hatte einen Aussetzer. Es ist eine äußerst komische Szene, denn das ganze Erhabene der Situation wird innerhalb von Sekunden auf den Kopf gestellt, ein Luftballon, gefüllt mit falschem Pathos, zerplatzt.
Said und sein Freund Khaled sind bestimmt, als Selbstmordattentäter nach Israel zu gehen. Dabei, so scheint es zuerst im Film, deutet wenig auf ihre Hoffnungslosigkeit hin. Die beiden jungen Palästinenser leben im Westjordanland, haben im Gegensatz zu vielen anderen Palästinensern einen Job (sie reparieren Autos in einer Werkstatt in Nablus), und Said lernt sogar die attraktive Suha kennen, die Tochter eines hoch angesehenen "Märtyrers", die vor kurzem aus dem Exil in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Eine Liebesgeschichte deutet sich an. Doch just an diesem Abend werden die beiden Männer von Mitgliedern ihrer Terrororganisation aufgesucht. Am nächsten Tag ist ein Bombenanschlag in Tel Aviv geplant, und sie sind als Attentäter "auserwählt".
Noch in derselben Nacht schleicht Said zu Suha, um ihren Autoschlüssel zurück zu bringen. Die beiden diskutieren über den Alltag und die israelische Besatzung. Während Suha für eine Menschenrechtsorganisation tätig ist und für gewaltlosen Widerstand eintritt, propagiert Said den bewaffneten Kampf, ohne sich jedoch als Attentäter zu offenbaren. Am nächsten Morgen werden Said und Khaled in das Versteck der Terroristen gebracht. Sie verlesen ihr Testament, man legt ihnen die Sprengstoffgürtel um und verkleidet sie als jüdische Siedler. Doch an der Grenze zu Israel taucht unerwartet ein Jeep der israelischen Armee auf und schlägt die beiden in die Flucht. Während Khaled zurückkehrt zu den Terroristen, wo ihm der Bombengürtel entfernt wird, läuft Said zu einer Bushaltestelle auf die israelische Seite.
Regisseur Hany Abu-Assad (Rana´s Wedding) hat sich in Paradise Now ganz auf die letzten 24 Stunden zweier Selbstmordattentäter konzentriert und sehr detailliert den kurzen Weg vom Alltag ins Jenseits beschrieben. Das ist ihm in eindrucksvollen Bildern gelungen. Dazu gehören vor allem die Aufnahmen der Attentatsvorbereitung, die dunkel gehalten sind und an expressionistische Filme erinnern. Und ebenso überzeugend beschreibt der Regisseur die Gefühlswelten, in die die beiden Attentäter geraten. Da ist zum einen Khaled (Ali Suliman), der fast euphorisch auf die Nachricht reagiert, dass er "auserwählt" ist, und der dann allmählich an seiner Mission zu zweifeln beginnt. Und zum anderen Said (Kais Nashef), der eher zweifelnd an die Aufgabe herangeht, fragt, "was denn danach passiert", dann aber immer mehr zum Überzeugungstäter mutiert. Nicht zuletzt, weil er in einem Flüchtlingslager aufwuchs und mit seinem Selbstmord "die Ehre seiner Familie" wieder herzustellen glaubt, da sein Vater als Kollaborateur einst von den eigenen Leuten hingerichtet wurde. Paradise Now führt die Motivation also nicht nur auf die Ohnmacht gegenüber der israelischen Besatzung zurück, sondern auch auf Demütigung und persönliche Minderwertigkeitsgefühle. Zudem bringt der Film die Normalität des Wahnsinns auf den Punkt, indem er zwei Selbstmordattentäter zeigt, die eigentlich ganz durchschnittlich wirken. Die weder politisch aktiv sind noch außergewöhnlich religiös. Allerdings erfahren wir nichts darüber, was denn die Gesinnung der Terroristen verändern könnte: Ein Ende der Besatzung des Westjordanlandes (wie in Gaza nach Abschluss der Dreharbeiten geschehen)? Die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch Israel? Oder erst wenn auch der letzte Jude ins Mittelmeer geworfen wurde? Immerhin deutet Hany Abu-Assad seine Distanz durch einige komische Szenen an. Und indem er die Terroristen ein letztes Abendmahl feiern lässt, beweist er ein Gefühl für starke Bilder und Marketing (ein bisschen Protestgeschrei kann wohl nicht schaden). Darüber hinaus schenkt der Regisseur dem dunklen Nablus einen Lichtblick - eine emanzipierte, intelligente junge Frau, die für den "moralischen Sieg" der Palästinenser kämpft. Doch wer hört im Nahen Osten schon auf Frauen?
Gespräch mit Hany Abu-Assad
"Wir haben nur uns selbst"
FREITAG: Herr Abu-Assad, obgleich Sie kein einseitiges Bild zeichnen, sieht man doch, dass die Besatzung die Ursache dafür ist, dass diese Männer das Attentat begehen wollen. Sind Sie besorgt, dass ihr Film möglicherweise als Anti-Besatzungsfilm angesehen wird? HANY ABU-ASSAD: Ich werde nie einen Film machen, der zeigt, dass die israelische Besatzung die Ursache für alles ist, was schief läuft. Aber für mich ist ganz klar, dass sich durch die Besatzung Leute gezwungen fühlen, so etwas zu tun. Wir wollten einen Film machen, der zeigt, wie sich Menschen unter der Besatzung verändern, wie sie entwurzelt werden, wie sie Konflikte führen und auch wie sie gegen die Besatzung kämpfen. Das ist viel interessanter als die Besatzung als Ursache für alles Übel darzustellen.
Sie zeigen Selbstmordattentäter, die, im Gegensatz zu vielen Palästinensern, eine Lebensperspektive haben: Said und Khaled haben einen Job, für Said könnte sich gar eine Liebesgeschichte mit Suha entwickeln. Warum kann dennoch auch Suha das Selbstmordattentat nicht verhindern?
Unter den Palästinensern gibt es im Wesentlichen zwei Meinungen. Die einen sagen: Attentate sind nicht der richtige Weg, denn dann machen wir uns, die wir Opfer sind, zu Tätern. Die anderen sagen: Wir haben gar keine andere Wahl. Denn wir haben keine anderen Möglichkeiten, um zu kämpfen. Wenn wir zum Beispiel Flugzeuge hätten, dann könnten wir auch mit diesen zurückschlagen. Aber wir haben nur uns selbst.
Suha lehnt Gewalt ab und arbeitet stattdessen in einer Menschenrechtsgruppe. Welchen Einfluss haben Frauen in der palästinensischen Gesellschaft?
Die Rolle der Frauen in der palästinensischen Gesellschaft ist groß, sehr groß sogar. Allerdings stehen sie nicht im Vordergrund. Suha ist ein solcher Charakter. Ich habe tatsächlich einmal genau so eine Frau getroffen, deren Vater einst ein großer Kämpfer und Märtyrer war. Er wurde in den siebziger Jahren im Libanon umgebracht. Der Mossad hatte eine Spezialeinheit in sein Haus geschickt, die ihn erschoss. Und seine Tochter denkt heute genau so, wie wir Suha in unserem Film darstellen.
Wie sahen Ihre Recherchen für den Film aus?
Wir wollten ganz nah an der Realität sein. Paradise Now ist zwar eine fiktionale Geschichte, aber Ort und Zeit sind sehr real: Khaled und Said halten zum Beispiel ihre Abschiedsrede, fast genau an dem Ort, wo dies auch vor ihnen Attentäter taten. Auch darüber hinaus haben wir viel recherchiert. Aber während ich die Berichte über die Attentatsvorbereitungen las, ist mir immer wieder eine Sache aufgefallen: Es gibt nicht eine Person, die wie die anderen darüber denkt. Nicht eine. Und weil es so viele verschiedene Gedanken darüber gibt, werden wir es auch wohl nie ganz verstehen. Es wird für uns in gewisser Weise ein unverständliches Phänomen bleiben. Daher hatte ich auch das Gefühl, dass ich nur dann möglichst nah an die Realität komme, wenn ich meine eigene Vision entwickle. Deshalb habe ich all diese Berichte nur als Informationsquelle genutzt, um daraus meine eigene Geschichte zu machen.
Das Gespräch führte Bernd Sobolla
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