50. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen Zum Jubiläum schaute das älteste und größte Kurzfilmfestival auf seine reiche Vergangenheit zurück, ohne den Blick von der Gegenwart abzuwenden
Die beiden Figuren stehen vor dem Raumschiff, das gerade zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte auf dem Mars gelandet ist. Sie schwenken patriotisch die amerikanische Fahne und stemmen diese dann in den Boden. Ein Riss bildet sich um sie herum, und die Fläche, auf der sie stehen, geht samt Fahne unter. Water on Mars heißt der Kurzfilm von Horst Da Luz. Das Werk spiegelt genau das wider, was Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Eröffnung der 50. Internationalen Kurzfilmtage am letzten Donnerstag formulierte: "In Oberhausen, das war immer so, hat Unkonventionelles wirklich eine Plattform. Wer hier herkommt, sucht nicht Unterhaltung, sondern Auseinandersetzung: künstlerisch, inhaltlich, aber eben auch politisch."
Wahrscheinlich war der Kanzler nie zuvor auf dem Fil
zuvor auf dem Filmfest. Dennoch brachte er in wenigen Sätzen das Wesentliche auf den Punkt. Zudem verlieh die Stahlkonstruktion des Oberhausener Gasometers, wo die Eröffnung stattfand, seinen Worten ein Echo, wie es kein Film ungewöhnlicher hätte machen können. Und irgendwie wurde damit sogar ein Bogen zur Eröffnung vor 50 Jahren geschlagen. Der Startschuss der "1. Westdeutschen Kulturfilmtage", so der damalige Titel, fand 1954 600 Meter unter der Erde statt - in der Zeche Oberhausen. Ein Event-Coup, über den die Medien auf der ganzen Welt berichteten, und mit dem die Industriestadt zugleich eine Verbindung schuf zwischen Tradition und Erneuerung, Arbeit und Kultur. Das war damals wichtig. Gingen die Kurzfilmtage doch auf eine Initiative des deutschen Volkshochschulverbandes zurück, in dem Hilmar Hofmann, der spätere Präsident des Goethe-Instituts, Filmreferent war und dann auch bis 1970 Festivalleiter wurde. "Die Dozenten der Volkshochschulen suchten damals Filmmaterial", erinnert sich Hofmann. "Und dann haben wir die wichtigsten Kurzfilme gesammelt, die im Dritten Reich nicht gezeigt werden durften. Daraus entstand das Festival."Lange dauerte es nicht, bis die Kurzfilmtage aus der dunklen Zeche ins Bewusstsein der Filmwelt aufstiegen. Und nicht zu Unrecht gelten sie - das älteste und größte Kurzfilmfestival der Welt - als Ausgangspunkt für viele Filmemacherkarrieren: Namen wie Roman Polanski und Helma Sanders-Brahms stehen dafür, Alexander Kluge und Werner Schröter, Jan Svankmajer und Alexander Sokurow, Christoph Schlingensief, Eija-Liisa Ahtila oder Chris Cunningham.Ging es den Gründern vor allem um Bildung, wandelte sich das Festival bereits Ende der 50er Jahre zu einer politischen Plattform: "Wege zum Nachbarn" lautete das Motto nun. Wobei mit Nachbarn vor allem auch die osteuropäischen Länder gemeint waren. In Zeiten des Kalten Krieges führte das bald dazu, dass Oberhausen das Image des Roten Festivals erhielt und sich die Adenauer-Regierung jahrelang weigerte, das Filmfest zu unterstützen.Ein noch radikalerer Einschnitt kam 1962 mit dem "Oberhausener Manifest": "Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen!" Mit diesen Worten propagierten 26 junge deutsche Filmemacher, unter ihnen Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni, den Wandel in der deutschen Filmszene, forderten filmische Vergangenheitsaufarbeitung und politische Diskussionen. Der Mythos Oberhausen war geboren.In den sechziger Jahren war Oberhausen besonders wegen der Ostkontakte immer auch ein politisches Filmfest, aber Experimentalfilme spielten eine unbedeutende Rolle: Das New American Cinema wurde kaum wahrgenommen, Werke von Medienkünstlern wie Werner Nekes oder Ernst Schmidt wurden abgelehnt. Und 1968 kam es zur Krise, als der von der Auswahlkommission angenommene Film Besonders wertvoll von Hellmuth Costard, in dem ein sprechender Penis das neue Filmförderungsgesetz attackiert, wegen Pornografieverdachts wieder aus dem Programm genommen wurde. Fast alle deutschen Regisseure zogen daraufhin ihre Filme zurück. Zu einem Experimentierfeld für ungewöhnliche Ausdrucksformen und radikale Ästhetik entwickelten sich die Kurzfilmtage vor allem in den siebziger Jahren. Allerdings bekam das Festival in dieser Zeit ein etwas elitäres Image, was noch dadurch unterstrichen wurde, dass Oberhausen lange Zeit den Videofilmemachern verschlossen blieb. Video galt als einfaches, billiges und leicht reproduzierbares Medium, das den Unikatcharakter von Filmen in Frage stellt, und hatte so lange einen schweren Stand. Erst Mitte der achtziger Jahre unter der Leitung von Karola Gramann ändert sich das langsam.Seit Lars Henrik Gass die Festivalleitung 1997 übernommen hat, widmen sich die Kurzfilmtage intensiv der Wechselbeziehung zwischen Musikvideos, Popkultur und Kurzfilm. Inzwischen hat die Videokunst weitgehend den klassischen Kurzfilm abgelöst und wird selbst allmählich von der Digitaltechnik verdrängt. Doch ob Zelluloid, Video oder digitales Filmemachen, das Format ist in Oberhausen heute zweitrangig. Bei aller retrospektiven Rückschau auf die große Vergangenheit ging es während den 50. Kurzfilmtagen doch vor allem um Gegenwart und Zukunft des Films jenseits des Mainstreams. Thematisch drehten sich die Filme vor allem um Migration, menschliche Konstellationen, Grenzgänge und Außenseiter.Die Experimentalfilmer Matthias Müller und Christoph Girardet zum Beispiel zeigen in ihrem Werk Mirror das Stimmungsbild einer Zwischenwelt, in der eine Frau, ein Mann sowie Gäste einer Abendgesellschaft auftauchen und wieder verschwinden, Blicke ihre Ziele verlieren und ein Dutzend leerer Stühle schließlich übrig bleibt. Auch Susan Dantas Film Mother Tongue handelt von der Überwindung von Raum. Allerdings eher im kulturell-geographischen Sinn: Ein koreanisches Mädchen bespricht Kassetten für ihren in Australien lebenden Vater und schickt sie ihm zu. Bis sie eines Tages schließlich mit ihrer Mutter dem Vater folgt. In Grand Littoral von der französischen Fotografin Valérie Jouve hingegen begegnen sich zwar Menschen in einer Landschaft, die durch Autobahnen und Eisenbahnschienen zerschnitten ist. Aber sie treten nicht miteinander in Kontakt. Alles wird übertönt vom Lärm der Umgebung. Und in Picture Paradise untersuchen Katrin Siegrist und Tina Hennefarth das Verhältnis zwischen Mensch und Bild, indem sie 15 Frauen und Männer zu Bildern befragen, die millionenfach reproduziert wurden und an ihren Wänden hängen: vom Elvis-Poster über Berglandschaft und Palmenstrandfototapete bis hin zum Ferrari.Aber solche Werke sind dem 81-jährigen deutsch-kroatischen Filmemacher Vlado Kristl, der in Oberhausen bereits 1962 dabei war, zu unpolitisch: "Die Auswahl ist heutzutage viel zu willkürlich", polterte er auf der Podiumsdiskussion, "von Oberhausen geht kein Aufbegehren mehr aus. Das Auswahlkomitee müsste sich den großen gesellschaftlichen Fragen stellen. Aber es wird nur Fernsehware präsentiert!" Festivalleiter Lars Henrik Gass kann sich darüber nur wundern: "Die Leute, die das kritisieren, haben nur einen kleinen Teil des Filmprogramms gesehen. Und Oberhausen ist einer der wenigen Orte, wo deren Filme überhaupt gezeigt werden." Kristl selbst formuliert das große Aufbegehren mit seinem Film Weltkongress der Obdachlosen. Der fiktive Kongress findet in der Dunkelheit vor einem Hochhaus statt, vor dem sich eine Schattengestalt bewegt, während das Kommen der Obdachlosendelegationen der ganzen Welt verkündet wird. Eine witzige Idee, aber großes politisches Aufbegehren sieht anders aus.Treffend ist die Kritik am Auswahlprogramm nur in einem Punkt: Werke, die aktuelle Globalisierungsprobleme thematisieren, spielten eine marginale Rolle. Bei rund 5.000 Einreichungen sollte man eigentlich glauben, dass sich mehr Filmemacher dem wichtigsten Problem unserer Zeit widmen. Dass es aber in Oberhausen keine politischen Filme mehr gebe, ist falsch. Allerdings ist die Zeit, da Gesellschaftskritik mit Flüstertüte und Revolutionsbanner verkündet wurde, nun wirklich vorbei. Die Filmemacherin Corinna Schnitt schafft es viel subtiler: In ihrem Film Living a beautiful life lässt sie ein gut aussehendes Ehepaar in einer Villa von Los Angeles davon erzählen, dass sie alles, aber wirklich alles haben, was sich Durchschnittsbürger ersehnen: Geld, Beruf, Karriere, Haus, Kinder, Kleider, Hausangestellte, Freunde, Partys und so weiter. Bis die Protagonisten - gnadenlos glücklich - zu Abziehbildern einer Schönen-Neuen-Welt-Farce mutiert sind.Der kanadische Beitrag L´Axe du mal - Axis of evil von Pascale Lièvre schließlich zeigt, wie ein junges Paar vor den Niagara-Fällen ein Liebeslied singt. Allerdings mit exakt den gleichen Worten, mit denen US-Präsident Bush dem Terrorismus einst den Krieg erklärte: "Nordkorea sammelt Massenvernichtungswaffen an, der Iran führt Aufrüstungsprogramme durch und exportiert den Terror, der Irak demonstriert sich feindselig gegenüber Amerika ..." Die Protagonisten strahlen sich dabei an, ihre Stimmen klingen nach ewiger Liebe, im Hintergrund rauscht das Wasser. Manchmal ist das Absurde viel vernichtender als jede Kritik. Auch dafür steht Oberhausen heute.Anlässlich des Jubiläums ist im Hatje Cantz Verlag das Buch kurz und klein - 50 Jahre Internationale Kurzfilmtage Oberhausen erschienen. Es umfasst rund 320 Seiten im Großformat und kostet 19,80 Euro.
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